Journalistenausbildung
Gestaltungswille statt Depression
Online- und Multimedia-Journalismus? Für viele deutsche Journalisten eine Überforderung. Das lässt sich durch fundierte Ausbildung ändern. Doch auch das Selbstverständnis der Akteure braucht ein Upgrade.
von Marlis Prinzing
Haben Sie sich schon mal gefragt, was ein Journalist in fünf Jahren können muss, um seinen Job gut zu machen?
Derzeit werden laut dem Deutschen Journalisten-Verband etwa 2.600 Volontäre in verschiedenen Mediengattungen ausgebildet. Der Medienstudienführer listet zudem rund 600 Studiengänge und Weiterbildungen für Journalisten (www.medienstudienfuehrer.de). Klassische Kompetenzen bleiben im Journalistenberuf weiterhin wichtig. Dazu zählen profunde Kenntnisse des Mediensystems und Medienrechts sowie Strukturwissen über die Trends des Medienwandels. Ebenfalls unabdingbar bleibt auch Fachwissen, vor allem in Wirtschafts- und Politikfragen. Hinzu kommen zentrale Vermittlungskompetenzen; deren wichtigste: komplexe Sachverhalte zutreffend und verständlich darstellen sowie interessant erzählen.
Das allein genügt aber nicht mehr. Es bedarf eines Sets weiterer, den Medientrend reflektierender Fähigkeiten. Alexandra Stark, Studienleiterin am Medienausbildungszentrum (MAZ) in Luzern, ermittelte in ihrer NMJ-Masterarbeit zusätzliche Kompetenzen, die Journalisten helfen, unter den Vorzeichen des Medien-wandels gute Arbeit abzuliefern (S. 43).
Amateurhafte Twitter-Nutzung
Viele Ausbilder jonglieren derzeit gerne mit Begriffen wie Newsroom, Konvergenz und Social Media und etliche Redaktionen nutzen inzwischen Twitter. Sie setzen den Microblogging-Dienst aber meist für Eigenwerbung ein, zudem häufig amateurhaft und nach Gutdünken. Zu diesem Schluss kommt die von der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen initiierte Studie »Twitter und Journalismus«, für die im Mai und Juni 2010 insgesamt 70 Internet-Redaktionsleiter befragt wurden. Professioneller Multimedia-Journalismus sieht anders aus: Seine Macher verstehen Funktionsprinzipien, sie kennen die Ansprüche der User und wissen, wie im Netz Wertschöpfung betrieben wird.
Mehr solcher Journalisten wünscht sich Frank Hänecke, ebenfalls Studienleiter am MAZ, und fordert deshalb eine Ausbildung zum »Dr. mult. Media« (NZZ, 6.4.2010). Sie soll Journalisten hervorbringen, die »keine Berührungsängste vor interaktiven, dialoggetragenen Medien haben«, sich in Multimedia-Strukturen zurechtfinden und in der Lage sind, beim Aufspüren relevanter Themen auch die sozialen Netzwerke auszuwerten.
Hänecke argumentiert quasi »pro domo«: Das MAZ ist neben drei weiteren Einrichtungen Mitträger des berufsbegleitenden Master-Studiengangs »New Media Journalism« (www.newmediajournalism.net), den der kürzlich in den Ruhestand verabschiedete Leipziger Journalistikprofessor Michael Haller initiierte. Das Studium will Wissenschaft und Praxis sowie journalistische und medientechnische Kompetenz mit Managementwissen verbinden.
Es gibt weitere Beispiele. Die Akademie für Publizistik in Hamburg bietet Kurse zu Audio Slideshows, Mobile Reporting, Webdocumentary und Community Management an; die Jade-Hochschule in Wilhelmshaven hat in ihrem Journalistik-Curriculum »Informatik« zu einem Studienschwerpunkt gemacht. Diese Angebote werden jedoch eher vereinzelt genutzt. Auch ist nicht gesichert, ob ein Weiterbildungskurs tatsächlich einen Kompetenzsprung bringt. Fest steht: Zu viele Journalisten hierzulande sind ungenügend auf die Anforderungen des Online- und Multimedia-Journalismus vorbereitet.
»Es fehlen technische sowie konzeptionelle Fertigkeiten«, sagt Bernhard Debatin im Gespräch mit Message. Er hat eine Professur für Multimedia Policy an der renommierten E. W. Scripps Journalistenschule der Universität Ohio und lehrte jahrelang in Berlin und Leipzig. In Deutschland werde noch zu sehr aus der Perspektive der ehemaligen Leitmedien gearbeitet, glaubt Debatin. Man produziere Inhalte für Print oder Rundfunk und stelle diese mit geringen Veränderungen ins Netz. Wirklich multimedial werde selten produziert.
Was lässt sich von Ohio lernen? …
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