Netzwerk Recherche
Kommunizieren wie der Teufel
Das Netzwerk Recherche vergibt die Verschlossene Auster an die Atomindustrie. Die Begründung: EON, RWE, Vattenfall und EnBW kommunizieren »gefährlich einseitig« und »marktmächtig«.
von Niklas Schenck
Der erste Schlag galt den Hausherren. Er habe heftige Debatten vernommen, ob sich das Netzwerk Recherche die verschlossene Auster nicht kurzfristig selbst verleihen solle, sagte Laudator Heribert Prantl. Ein Seitenhieb auf die Kommunikation des Recherchevereins rund um den Rückzug seines Mitgründers und Vorkämpfers Thomas Leif bei der turbulenten Mitgliederversammlung am Abend zuvor. Und Prantl, Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, stichelte weiter: Aber sicher habe das Netzwerk die Preisverleihung an sich selbst nur »um ein Jahr verschoben«.
Dann jedoch ging Prantl über zum Eigentlichen, zur Attacke auf die Preisträger 2011, auf RWE und Vattenfall, EON und EnBW. Die verschlossene Auster sei ein Preis für Unternehmen oder Organisationen, die Kommunikation verhinderten oder blockierten. Das könne man von der Atomindustrie zwar nicht behaupten. Denn: »Die Atomindustrie kommuniziert wie der Teufel. Sie schreibt mehr Pressemitteilungen als ein Birkenbaum Blätter hat«, sagte Prantl.
Warum die Atomindustrie den Preis jedoch trotzdem verdient? »Ich scheiß Dich so was von zu mit meinem Geld. Du hast keine Chance«. Dieses Zitat aus einer Unterhaltung zwischen Großunternehmer und Reporter im Film »Kir Royal« machte Prantl zum Motto seiner Preisrede und zu seinem Hauptargument. Vor allem aber erklärte er ausführlich, für welche Fehler den Energieriesen der Preis nicht verliehen werde. Sie erhielten ihn nicht für ihre ganzseitigen Anzeigen in allen großen deutschen Tageszeitungen im August 2010. Auch nicht dafür, dass sie eine Meinung vertreten, die der Preisgeber für falsch halte. »Er wird ihnen auch nicht verliehen dafür, dass sie wider jede Vernunft an einer gefährlichen Technik festhalten«, sagte Prantl. Vielmehr würden sie für »gefährlich einseitige, marktmächtige Information« ausgezeichnet, für die Manipulation der Strombörse EEX und für die Verharmlosung von Gefahren, etwa wenn sie Unfälle als Störfälle maskierten. Prantl geißelte exzessive Lobbyarbeit der Atomindustrie, etwa in der Person des CDU-Bundestagsabgeordneten Joachim Pfeiffer. Der ist wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion und laut Prantl »einer der wichtigsten und verlässlichsten Verbündeten der Energiekonzerne im Parlament«.
Dank an die kritische Öffentlichkeit
Allein einer kritischen Öffentlichkeit sei es zu verdanken, dass die Konzerne mit ihren finanzstarken Informationskampagnen letztlich nicht erfolgreich gewesen seien, so Prantl. »Da darf die Politik auch mal Danke sagen.«
Nach Otto Schily und der Hypo-Vereinsbank, nach Mehdorn, Putin und dem Internationalen Olympischen Komitee nun also die Atomkonzerne. Nun war Guido Knott, der Sprecher des Energiekonzerns EON, dran. Er verzichtete darauf, die Querelen des Netzwerks für billige Tiefschläge zu nutzen und ließ auch inhaltliche Fragen links liegen. Statt auf der Wankelmütigkeit der Regierung herzumzuhacken, wie Prantl prophezeit hatte, konzentrierte er sich auf die Angriffspunkte, die ihm die Jury bot. Knott meinte die Vergabekriterien für die Verschlossene Auster träfen auf die Atomindustrie gar nicht zu. Und spottete zurück: »Was nicht passt wird passend gemacht«.
Die Jury habe»Offenbar sollten wir die Auster unbedingt erhalten. Nur schade um den Preis, der damit zum Spielball politischer Interessen einiger Verlage und Meinungsmacher verkommt.« Das öffentliche Eintreten der Atomkonzerne für die Sicherheit ihrer Anlagen möge zwar nicht allen gefallen. »Aber dass wir mit diesen Positionen nicht den Mainstream der veröffentlichten Meinung treffen, kann die ›Auszeichnung‹ nicht rechtfertigen.«
Prantl wolle offenbar selbst ein Urteil sprechen, statt den Konzernen den Gang vor ordentliche Gerichte zuzugestehen, klagte Knott und blieb dabei so höflich, dass keiner zu buhen wagte. Er schloss mit einer freien Interpretation von Reich-Ranicki: »Ich nehme diesen Preis entgegen, aber ich nehme ihn nicht an«. Wieder blieb es still; keine Buhrufe trotz Wortklauberei, die Wucht von Prantls Rede irgendwie verpufft.
Soweit der taktische Kampf im Ring, der kein eindeutiges Votum erlaubte. Nur gut, dass Kuno Haberbusch noch ein paar Treffer für die Jury beisteuerte. Auch der Finanzunternehmer Carsten Maschmeyer sei ein Kandidat gewesen, erzählte er, bevor er Knott und seine Kollegen auf die Bühne bat. Die Jury habe sich aber letztlich gegen Maschmeyer entschieden, weil er sich nur manchen Medien verweigert habe, nicht allen. Wo da der Unterschied zu den Atomkonzernen lag, erklärte er zwar nicht. Stattdessen sammelte er noch ein paar einfache Punkte ein. »Es gibt eine gemeinsame Gegenrede, die vier Energiekonzerne haben sich abgesprochen«, sagte er und grinste, »das hatten wir ja schon immer vermutet – ein Kartell«. Lachen im Saal.
»Störung der Totenruhe«
Anders als frühere Preisträger hatten die vier Stromkonzerne mit ihrer Anwesenheit in Hamburg nicht viel zu verlieren. Heribert Prantl selbst hatte in seiner Laudatio laut überlegt, ob eine Preisverleihung nach dem inzwischen beschlossenen Atomausstieg nicht einer Störung der Totenruhe gleichkomme – und sich sogleich selbst beruhigt. »Die Auster wird schließlich für ein Lebenswerk verliehen.«
Ein paar Lacher und (rhetorisch gesehen) ein knapper Punkterfolg für die Preisverleiher vom Netzwerk Recherche. Ein K.O.-Sieg sieht anders aus.
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