Hells Angels
»Missbrauchte Rechercheure«
Kein Gegencheck, keine Ortsbesichtigung: Am Beispiel der Hells Angels schildert Stern-Reporter Kuno Kruse das Versagen der Medien. Seine These: Viele Journalisten lassen sich von den Strafverfolgern benutzen.
Präzise, machmal fast zu knapp formuliert Kuno Kruse seine Antworten in unserem Interview. Der Journalist, der die Taz mitbegründete und für Die Zeit und Spiegel berichtete, hat gerade einen aufreibenden Redaktionsschlusstag hinter sich.
Wenn er über die Hells Angels schreibt, fühlt er sich nicht zu ihnen hingezogen, schon gar nicht wegen der Harley-Romantik. Kruse rollte das letzte Mal im Jugendalter auf einer 125 ccm Vespa durch die Gegend, einen Motorradführerschein will er nicht machen. Und doch interessieren ihn die Maximen der Hells Angels, die ihre Western-Idee von Freiheit und Brüderlichkeit zu leben versuchen.
Kruse möchte in erster Linie Menschen beschreiben, die anders sind – und doch nicht fremd erscheinen. Er folgt dem, was sich hinter der Fassade verbirgt. Stereotype interessieren ihn wenig, dienen höchstens als Aufhänger für Recherchen. Zu seinen enttäuschenden Rechercheerfahrungen im Zusammenhang mit den Hells Angels gehört auch, dass die meisten Journalisten, auch investigative, sich instrumentalisieren lassen.
Message: Die Hells Angels produzieren in diesen Wochen wieder viele dicke Schlagzeilen. Treiben es die Rocker besonders wild?
Kruse: Nicht mehr als in früheren Jahren …
Allein in den letzten zehn Tagen kam es zur Selbstauflösung in Hannover, ging es um eine Razzia in Schwerin, einen Angriff auf den Staatsanwalt in Tübingen, ein Vereinsverbot in Flensburg, Abtauchen in den Untergrund in Potsdam oder um den Satanskult eines HA-Häuptlings in einer Reutlinger Kirche. »Rocker-Hochzeit schockt Gläubige«, schreibt die Bild. Und die solide Märkische Allgemeine berichtet über den »Rockerkrieg«.
Der große Rockerkrieg ist beendet, in Tübingen haben die Hells Angels ihre Sicht des tätlichen Angriffs auf den Staatsanwalt in Anzeigen abgedruckt, weil sie bei den Journalisten kein Gehör fanden, und beim Hochzeitszug säumten 200 schaulustige Christenmenschen die Straße. Von den wilden Kerlen geht offensichtlich eine große Faszination aus, was die dann auch zu einer idealen Projektionsfläche macht. In all diesen Berichten aber finden Sie nur die Sicht der Polizei und die der Staatsanwälte, die von den Journalisten blind übernommen werden. Und die erzeugen insgesamt den Eindruck: Die Hells Angels sind schwer kriminell.
Während Sie einfühlsame Geschichten über die Hells Angels schreiben, die von hoher sozialer Kompetenz, Fairness und Gradlinigkeit erzählen, fast so, als seien die Rocker die eigentlichen Gutmenschen.
»Gutmenschen«, das würde ich nicht unterschreiben. Dass ich indessen ein ganz anderes Bild der Hells Angels zeichne, das ist schon richtig. Also, es sind einige gute Jungs darunter.
Wie kommt es, dass Sie ein so markant anderes Bild vom selben Objekt, den Hells Angels, zeichnen als fast alle anderen Medien?
Als ich vor vier Jahren in das Thema einstieg, machte ich, was jeder Journalist beim Stern oder beim Spiegel oder Zeit tut: Ich ließ mir aus der Dokumentation alle bislang erschienenen Berichte zum Thema geben, um mich einzulesen. Und da fiel mir auf, dass die meisten im Grunde Ein-Quellen-Texte sind: Für die Rocker sprach der Vertreter der Gewerkschaft der Polizei oder des Landeskriminalamtes. Keiner der Berichterstatter war mal zu den Rockern gegangen, um den Gegencheck zu machen.
Die Behörden haben ja auch einen Glaubwürdigkeitsbonus, weil sie dem Behörden- und Beamtenrecht zufolge wahrheitsverpflichtet sind: Sie dürfen nicht lügen. Naheliegend, dass die Journalisten mit Behördeninformationen vertrauensselig umgehen.
Naheliegend schon, aber deswegen dennoch irreführend. Denn die Tatsache, dass Behördenvertreter nicht lügen dürfen, heißt ja nicht, dass sie die ganze Wahrheit sagen.
Einseitigkeit durch Verschweigen: War es das, was Ihnen am Beispiel der Hells Angels auffiel?
Es war auch dieses Aufblasen von Unterstellungen und Verdächtigungen, offenbar, um Großrazzien und Verhaftungen zu rechtfertigen, die sich dann später vor Gericht oftmals als unhaltbar herausstellten. In den Medienberichten werden die Polizeiaktionen weiter hochgeschrieben. Die Nachricht, dass es vor Gericht zum Freispruch kam, schrumpft dann zur winzigen Meldung.
Und wie sind Sie vorgegangen?
Ich habe mir verschiedene Veranstaltungen ausgesucht, die öffentlich waren. Dort habe ich mich umgesehen, Clubmitglieder angesprochen und Leute kennengelernt.
Das sind meist stimmungsvolle Publikumsveranstaltungen, dazu da, den Hells Angels das Image eines arglosen Biker-Freizeit-Vereins zu geben. Über die Geschäftspraktiken der Jungs als Bordellbesitzer wird dort nicht geredet.
Natürlich nicht, aber man kommt trotzdem ins Milieu hinein. Nach und nach bekam ich die Einladung, verschiedene Clubs zu besuchen. Dort habe ich Clubmitglieder näher kennengelernt, habe sie auch zu Hause besucht, um zu sehen, in welchen Milieus die leben und wie sie ihr Geld verdienen. Aber ich habe dann später auch einige Bordelle gesehen, mit mehreren Frauen gesprochen.
Haben Sie die Leute ausgesucht oder wurden Ihnen diese von den Pressekontaktleuten der Hells Angels vermittelt?
Das ergab sich nach einigen Mai-Tai-Cocktails. Aber die Leute, die ich dann dort getroffen hatte, fand ich dann typisch für das Clubleben.
Der Obermacker Frank Hanebuth in Hannover oder der Fotograf Lutz Schelhorn in Stuttgart, die in Ihren Geschichten einen großen Auftritt haben, sind ja nicht gerade typisch für die Hells.
Doch, in gewisser Weise schon. Nehmen wir den Stuttgarter Club, den es schon seit dreißig Jahren gibt. Deren Mitglieder arbeiten nicht im Rotlicht-Milieu, sondern haben bürgerliche Berufe, viele sind Handwerker. Dort kann man den Spirit der Leute, deren Moralvorstellungen und Rituale gut studieren. In Hannover ist es wiederum anders, dort arbeiten viele im Steintorviertel, also dem Rotlichtmilieu. Die nennen sich »Red Light Crew« und agierten dort oft als Schutz- und Ordnungsmacht. Das ärgerte vermutlich die Polizei, die sich durch Hanebuths Leute herausgefordert sah.
Wenn Sie Ihre Recherchen in der Szene der Hells Angels auf den Punkt bringen: Was ist insgesamt falsch an den Medienberichten? Über die üblichen Berichterstattungsfehler – falsche Namen, falsche Zuordnungen, verfälschte Zitate – wollen wir hier nicht reden.
Den generellen Fehler sehe ich darin, dass die meisten Journalisten die Tendenz der Strafverfolgungsbehörden unreflektiert übernehmen, die Verdächtigen kriminalisieren und zu Schuldigen machen, noch ehe überhaupt über eine Anklageerhebung entschieden worden ist.
Dazu fallen einem manche Beispiele ein. Die Geschichte des TV-Moderators Andreas Türck, dem vor acht Jahren eine Vergewaltigung angehängt wurde …
… der unschuldig ist, aber durch diese angeblichen Enthüllungen beruflich vernichtet wurde.
Oder der Wettermoderator Kachelmann. Über seine angeblichen Sexpraktiken hat die Staatsanwaltschaft Mannheim manch Obskures durchsickern lassen und ihn regelrecht vorgeführt, noch ehe es überhaupt zur Klageerhebung kam.
Es gäbe noch viele weitere Beispiele. Sie zeigen mir, dass sich gerade die Rechercheure instrumentalisieren lassen von den Strafverfolgern, die oftmals ganz eigene Interessen verfolgen, die nicht der Fallaufklärung und Schuldüberführung dienen. Diese Rechercheure sind im Grunde »embedded«, die folgenden Informationen, die ihnen zugespielt werden. Sie bringen diese Infos ohne Überprüfung, weil sie stolz sind, etwas Exklusives zu haben. Und oftmals auch, weil sie sich als investigativ feiern können.
Diese Pseudorecherche hat in Deutschland eine große Tradition. Viele Skandale gehen auf vermeintliche Whistleblower zurück, deren Informationen unüberprüft als große Enthüllung publiziert wurden. Von den Hitler-Tagebüchern über das Waldheim-Telegramm und weiter zur Barschel-Affäre, die zur Schubladen-Affäre wurde. Um nur ein paar spektakuläre Fälle zu nennen. Viele Rechercheure haben sich im Laufe der Jahre ein Netz von Informanten gesponnen und warten wie die Spinne im Netz, dass ein dicker Brocken hängenbleibe, den man als Enthüllung feiern kann.
Da ist was dran. Viele Rechercheure werten nur Akten aus. Die pingelige Überprüfungsarbeit auch am Ort des Geschehens – man erinnert sich an die Fusselarbeit der zwei Reporter der Washington Post im Falle Watergate – erspart man sich leider oftmals. Das hat mitunter zur Folge, dass die Journalisten die Interessen ihrer Informanten nicht durchschauen. Man kann das beim Thema Hells Angels fast exemplarisch nachvollziehen.
In welche Interessen haben sich hier die Journalisten einspannen lassen?
Mal ist es die Profilierungssucht eines Behördenleiters. Oder er braucht wegen einer anderen Fehlleistung einen Erfolgsnachweis. Oder der Innenpolitiker braucht für die nächsten Wahlen einen spektakulären Auftritt, nach dem Motto: Die tun was! Man kann dies an der Kronzeugenregelung sehr gut beobachten. Weil die Strafverfolger vielen Hells Angels keine Straftaten nachweisen können, haben sie schwerstkriminelle Straftäter zu Kronzeugen aufgebaut. Diese Kronzeugen bekommen ja vom Staat eine neue Identität und werden lebenslänglich alimentiert. Sehr attraktiv. Dafür müssen sie aber auch was liefern, am besten Insiderwissen und die Beobachtung schlimmer Straftaten. Damit das klappt, schminkt das LKA den kriminellen Zeugen um und erklärt ihn für hoch glaubwürdig. Das führt zu grotesken Situationen. In Flensburg wurde ein ganz übler, frauenquälender Zuhälter von der Anklagebehörde regelrecht zum Softie umgeschminkt.
Immerhin gibt es mitunter Journalisten, die solche Machenschaften aufdecken. Zum Beispiel in Frankfurt, wo die Medien zuerst über eine aufregende »Großrazzia« der Polizei berichteten und die dortigen Hells Angels als Drogendealer vorverurteilt wurden. Thomas Ruhmöller hat dann in der Frankfurter Neuen Presse enthüllt, wie das Landeskriminalamt sich einen Kriminellen als Kronzeugen aufgebaut hat – einen Mann zudem, dem eine der Kriminalbeamtinnen auch intim verfallen war.
Das ist eine passende Schablone. Für jene Großrazzia wurden ja zweitausend Polizisten aus drei Bundesländern in Trab gesetzt. Daraus ergab sich ein hoher Rechtfertigungsdruck gegenüber der Öffentlichkeit, indem Unsinniges über angebliche Taten der Hells Angels behauptet wurde. Diese Bilder bleiben in den Köpfen der Bürger, auch wenn sich später herausstellt, dass alles nur behauptet worden war. Ich will damit die Hells Angels keineswegs verteidigen, sondern konstatieren, dass hier der Recherchejournalismus weithin versagt. Er druckt zugesteckte Behauptungen als großartige Sensation und feiert sich in der Rolle des investigativen Journalisten.
Das ist dann ja auch ein Geben und Nehmen.
Das ist üblich, und man nennt das Landschaftspflege. Wenn wir eine polizeifreundliche Sicht bringen, dann bekommen wir beim nächsten heißen Fall vielleicht wieder was Exklusives gesteckt. Ich kenne dieses Spiel von vielen Kollegen, will hier aber keine Namen nennen.
Allerdings sind der faktizierenden Überprüfungsrecherche in solchen Milieus enge Grenzen gesetzt. Oftmals stehen krasse Behauptungen gegen noch krassere Dementi.
Ja, aber das wäre schon ein großer Gewinn: wenn die andere Seite zu Wort käme. Einige wenige Zeitungen machen das ja. Der Bericht in der Süddeutschen Zeitung zum Verbot des Clubs der Hells Angels in Flensburg zum Beispiel referierte unaufgeregt beide Seiten. Offenbar hat der Berichterstatter erkannt, dass da zwei Interessen gegeneinander stehen.
Bei Ihrer Reportagenarbeit gehen Sie nochmals anders vor: Sie erleben und beschreiben diese dem Mainstream fremde Lebenswelt, indem Sie Empathie entwickeln.
Ich will die Leute nicht verharmlosen, da hat bald jeder Zweite was auf dem Kerbholz. Aber wir Journalisten sollten nicht fortgesetzt Vorurteile bedienen, sondern genau hinsehen. Das gilt besonders für die Randgruppen der Gesellschaft, über die man gern schreibt, ohne sie wirklich zu kennen.
Inzwischen haben Sie Expertenstatus. Hilft Ihnen das bei der Recherche?
Keine Frage. Das zeigte sich mir gerade bei der Kronzeugengeschichte. Wären die Beamten des LKA besser im Bilde, hätten sie das Bluff-Gerede des Flensburger oder Frankfurter Zeugen sofort durchschaut. Beide haben sehr viel Unsinn erzählt, den jeder erkennt, der weiß, wie die Clubs organisiert sind, welche Regeln und Riten dort ausnahmslos gelten. Oder nehmen wir als Beispiel diese ominöse Gestalt »Ulli«. Mit Hilfe eines Ghostwriters wurde unter dem Titel »Bad Boy Ulli – der Höllenritt« ein Bestseller publiziert. Wer sich auskennt, sieht, dass die wichtigsten Teile in dem Buch gar nicht stimmen. Zum Beispiel hat er den Club nicht aus besserer Einsicht verlassen, wie er in Interviews behauptet, und es wurde auch keine Intrige gesponnen, wie er im Buch sagt. Tatsächlich wurde er wegen Drogenhandels von seinen Kameraden hochkantig aus dem Club geworfen. Drogen sind absolut verboten bei den Hells Angels. Dann wurde ihm das Patch, also die Weste der Hells Angels, abgenommen, weil die nach deren Verständnis Eigentum des Clubs bleibt und nur von Clubmitgliedern getragen werden darf.
Das war aber nicht schriftlich im Regelwerk fixiert?
Nein, bei den Hells Angels gelten viele Regeln, die jedem Mitglied auch ungeschrieben tief im Blut sind. Und mit Austritt aus dem Club geht das Patch an den Club zurück. Dieser Ulli ging dann Monate später zur Polizei und machte vermeintlich enthüllende Aussagen über die kriminellen Aktivitäten seiner Ex-Kumpane. Und schon ging der Zirkus los, man verurteilte die Hells wegen räuberischer Erpressung. Hört man sich die Aussagen aller sonst Beteiligten an, gab es einen ganz anderen Konflikt, nämlich den Streit zwischen Ulli und seinen beiden Drogendealern, die wiederum einem russischen Konsortium 30 Kilo Koks entwendet hätten. Da sei es angenehm für Ulli gewesen, in das Schutzprogramm des Kronzeugen zu kommen. Und er habe dort wilde Geschichten erzählt, die von der Öffentlichkeit gern genommen wurden. Ulli wurde zum Aussteigerhelden gepusht und durch die Talkshows durchgereicht. Keiner der Journalisten hat irgendetwas überprüft.
Fehlgeleiteter Recherchejournalismus, der seine Aufgabe nicht wahrnimmt, vielmehr unterhaltsame Storys erzählen will – ist es das?
Wir Journalisten haben unsere besonderen Rechte in den Landespressegesetzen bekommen, damit wir staatliches Handeln kritisch begleiten, kontrollieren können. Davon sehe ich nicht viel. Natürlich gibt es Rechtsbrüche auch in der Szene und in Clubs wie den Hells Angels. Aber es ist sehr viel gravierender bei den Strafverfolgungsbehörden und den Verfassungsschützern, wenn es Rechtsbrüche gibt. Hier müssten die investigativ arbeitenden Kollegen ansetzen. Das Versagen der Ermittlungsbehörden quer durch die Bundesländer im Fall des rechtsterroristischen NSU in Zwickau zeigt es überdeutlich. Hier sollte der Journalismus seine Aufgabe wahrnehmen – statt es sich mit dem Auswerten von Ermittlungsakten bequem zu machen.
Also den Behörden und Informanten nicht blind vertrauen …
… ja, mit dem eigenen kritischen Verstand fängt jede Recherche an.
Die Fragen stellten Message-Herausgeber Michael Haller und Redakteurin Antje Glück.
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