Auftakt
Zwischen Boom, Stabilität und Wandel

Gibt es auch in anderen Regionen der Welt eine Zeitungs- und damit Journalismuskrise? Werden auch dort alternative Einnahmemodelle gesucht? Message fragte Kollegen aus Japan, Indien und Brasilien zu den Entwicklungen in ihren Heimatländern.

INDIEN

Unser indischer Zeitungsmarkt geht klar nach oben. Allein im letzten Jahr wuchs er um mehr als sechs Prozent. Das ist im Vergleich zu dem düsteren Trend der Printmedien in westlichen Ländern sehr ermutigend. Unserer Zeitungsindustrie geht es deshalb gut, Journalisten finden relativ leicht Arbeit, weil die Werbebudgets der Firmen, jüngst zum Beispiel durch den Cricket World Cup, im Aufwind sind. Außerdem liegt es noch an der geringen Verbreitung von Internet und den niedrigen Zeitungspreisen in Indien.

Und wir haben einen ganz starken Lokalisierungstrend bei den Nachrichten. Im letzten Jahr wuchsen Zeitungen in Regionalsprachen wie Hindi, Telugu oder Bengali um bis zu zwölf Prozent. Hier können lokale Geschäfte wie Restaurants oder Einkaufszentren zielgerichtet Anzeigen schalten. Besonders erfolgreich sind diese Zeitungen bei den Lesern in kleineren Städten und auf dem Lande. Dort gab es bisher noch nicht so viele Zeitungen, vor allem in Dörfern ist deren Reichweite gering. Das bietet viel Wachstumspotenzial. Auch der noch nicht saturierte Markt, das Einkommenswachstum und das steigende Alphabetisierungsniveau tragen ihren Teil zum Erfolg der Presse bei.

Für das Jahr 2015 wird prognostiziert, dass sich die Einnahmen aus englischsprachigen und lokalsprachlichen Zeitungen decken werden. Englischsprachig Zeitungen werden mehr in den Metropolen gelesen.

Nirmalya Banerjee ist Politikredakteur der Times of India in Kolkata.

JAPAN

Dass die Presse in Japan boomt, würde ich nicht sagen. Sie steht aber besser da als in Deutschland. Dafür gibt es mehrere Gründe: Der Anzeigenmarkt ist zwar eingebrochen, aber die Auflagen der Zeitungen bleiben gleich. Große Entlassungswellen von Journalisten sind bisher ausgeblieben. Im Jahr 2011 gab es 119 Tageszeitungen, nur drei weniger als 2000.

Die Japaner haben auch ein anderes Verständnis, wenn sie Geld für Journalismus ausgeben. Sie sind es gewöhnt, Printmedien zu lesen und dafür zu bezahlen. Das sehe ich an meiner eigenen Familie. Die Glaubwürdigkeit von Printprodukten ist in der öffentlichen Wahrnehmung immer noch sehr viel höher als von Onlinemedien. Dennoch hat zum Beispiel unsere Zeitung ihr Onlineangebot ausgebaut und sogar eine Paywall eingeführt. Die Morgenausgabe von Nikkei hat eine Auflage von drei Millionen, die Abendausgabe liegt bei 1,6 Millionen. Unsere Zeitung gehört zu den größten Blättern des Landes.Die höchste Auflage in Japan hat die Tageszeitung Yomiuri Shimbun mit zehn Millionen Exemplaren, gefolgt vom Qualitätsblatt Asahi Shimbun. Außerdem steht die japanische Presse relativ gut da wegen unserer Sprache. Während deutsche Wirtschaftszeitungen direkt mit der Financial Times konkurrieren, lesen nur wenige unserer Leser englischsprachige Zeitungen, auch wenn deren Anteil zunimmt.

Shogo Akagawa ist Deutschland-Korrespondent der japanischen Wirtschaftszeitung Nikkei.

BRASILIEN

Der Journalismus ist weltweit unter Druck. Es ist der Profit, der heute alles dominiert. Bei uns in Brasilien ist es nicht anders. Dem Mediensektor geht es zwar scheinbar gut – von 2010 auf 2011 stiegen die Auflagen der Zeitungen um mehr als vier Prozent – aber gleichzeitig sinken die Anzeigeneinnahmen. Und das bekommen wir Journalisten als Erstes zu spüren.

Brasiliens Wirtschaft geht es vergleichsweise gut seit der Ära von Fernando Henrique Cardoso, der bis 2002 unser Präsident war. Damals sank die Inflation, die Wirtschaft stabilisierte sich, und Brasilien vermochte viel zu exportieren. Aber der Medienmarkt hat sich stark fragmentiert. Die Anzeigen konzentrieren sich nicht mehr wie früher auf die großen drei Tageszeitungen O Globo, Folha de São Paulo und O Estado de S.Paulo, sondern verteilen sich auf andere Medien wie Kabel- und Satellitenfernsehen oder das Internet. Und trotz des spürbaren Auflagenzuwachses sank das Anzeigenaufkommen um zwei Prozent – und dann werden plötzlich allein in Rio de Janeiro 200 Journalisten entlassen! Das war erst im letzten Jahr. Früher gehörten die Tageszeitungen einzelnen Familien, und es ging eher darum, eine Position und eine Stimme in der Gesellschaft zu haben. Heute haben einige Familienunternehmen ihre Zeitungen verkauft, und jetzt steht meist nur noch der Profit im Vordergrund.

Außerdem durchlebt Brasilien einen gesellschaftlichen Wandel. Früher arme Familien gehören heute zur Mittelschicht, sie sind gebildeter und können mehr konsumieren. Das bringt den traditionellen Zeitungen zwar mehr Leser, aber der Anstieg ist vergleichsweise gering. Denn ein höheres Einkommen bedeutet nicht zwangsläufig, dass sich die Leute Zeitungen kaufen. Sie schauen lieber fern oder nutzen das Internet. Oder hören Radio – das ist in den abgelegenen Gegenden wie den Amazonasgebieten das verlässlichste Medium.

Adriana Carranca arbeitet im Ressort Internationales für die brasilianische Tageszeitung O Estado de S.Paulo.

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