Blogs und Journalismus
Macht euch vom Sockel!
Bisher thronten die Journalisten über allem. Sie besaßen das Informationsmonopol. Die Blogger wollen das ändern. Und Journalisten müssen deren Grundsätze übernehmen. Ein Appell.
von Roy Greenslade
Die Debatte über den Nutzen des Bloggens für den Journalismus endet immer wieder in einer Sackgasse. Das liegt hauptsächlich daran, dass zu wenig Leute – oder sagen wir besser: zu wenig Journalisten – das Thema ernst nehmen. Auf Fachkonferenzen wird das Bloggen gern als trauriger Egotrip abgetan. Ein Wert als Dienst an der Öffentlichkeit wird nicht erkannt.
Die Blogosphäre ist keine Form von Anarchie, keine Kakophonie von egoistischen, boshaften Stimmen. Natürlich gibt es so etwas auch, das lässt sich nicht leugnen. Aber auf die Blogosphäre in ihrer Gesamtheit trifft es nicht zu. Warum sollten Menschen, die Tag für Tag am Computer sitzen und ihre Meinungen austauschen, eine Bedrohung für die uns vertraute Zivilisation sein?
Es steht jedenfalls fest – und das wird beim direkten Bloggen am deutlichsten – dass die Leute mehr Kontakt miteinander haben als je zuvor. Ohne jedes Zutun einer Institution bilden Menschen eine Cyber- Community, in der sie sich endlos über ihre Interessen austauschen können.
Dominiert und doziert
Ich sage dies einleitend zu meiner Darlegung, warum Journalisten, und insbesondere Printveteranen wie ich selbst, den Bloggern so misstrauisch gegenüberstehen. Bisher verbrachten wir Journalisten unser Leben damit, Gespräche zu dominieren.
Nein, das ist natürlich falsch. Wir haben uns überhaupt nicht unterhalten. Wir haben doziert. Wir haben die Informationen zur Verfügung gestellt, von denen die Leute gezehrt haben, um ihre eigenen Gespräche zu führen. Mal abgesehen von dem einen oder anderen Leserbrief war uns weitgehend unbekannt, worum es in diesen Gesprächen ging. Wir gingen zum nächsten Thema über. Wir waren die weltlichen Priester, die darüber entschieden, welche Informationen das einfache Volk erhalten sollte, und die ihm sogar sagte, wie es darauf zu reagieren, was es zu denken und was zu tun hatte. Dienstleistung erfüllt. Job erledigt. Wie schlau wir waren. Wie privilegiert.
Unsere Vormachtstellung bröckelt
Diese alte Konstellation – und viele Herausgeber und Journalisten halten an ihr fest – definiert Nachrichten als einseitigen Informations fluss. Wir erhielten sie. Wir sammelten und publizierten sie. Dass die Leute unsere Zeitungen kauften, unsere Programme verfolgten, war uns Rechtfertigung genug.
Blog gen stellt dieses Mo dell auf den Kopf. Es gibt den Leu ten die Mög lich keit, die von uns gelieferten Informationen zu hinterfragen. Es ermöglicht ihnen, ihre eigenen Nachrichten zu produzieren. Es gibt ihnen einen Platz, um ihre eigenen Ansichten darzulegen. Die Gemeinde hat keinen Respekt mehr vor den Priestern. Unsere Vormachtstellung bröckelt.
Zu Recht weisen Journalisten darauf hin, dass es zumeist kein perfektes Beispiel einer harmonischen Zusammenarbeit von Journalisten und Bloggern gibt. Das ist so, weil der Journalismus tiefergehende Veränderungen erfährt, als Traditionalisten sich das vorstellen mögen. Auch ich habe mich dieses reaktionären Denkens schuldig gemacht.
Das Ende der Medienmogule
Ich sagte einst gerne voraus, dass zukünftige Nachrichten organisationen aus einem kleinen Kern von »professionellen Journalisten« im Zentrum mit Bloggern (alias Amateur-Journalisten oder Bürgerjournalisten) an der Peripherie bestehen würden. Anders ausgedrückt: Wir Professionellen würden weiterhin den Laden schmeißen.
Inzwischen bin ich mir hinsichtlich dieses Modells ganz und gar nicht mehr so sicher. Erstens frage ich mich, ob wir Pro fessio nellen so wertvoll sind, wie wir meinen. Zweitens, und grundsätzlicher, frage ich mich, ob eine »Nach richtenorgani sation« überhaupt ein so perfektes Modell ist, wie wir annehmen.
Das Wachstum der Medien während des letzten Jahrhunderts wurde von der Expansion der großen Medienhäuser dominiert, also im Grunde vom Aufstieg der großen Medienmogule, egal ob sie individuelle Existenzgründer waren oder großen Unternehmen vorstanden.
Es ist absolut denkbar, dass die digitale Revolution den Medienmogul zu gegebener Zeit beiseite fegen wird.
Demokratische digitale Revolution
Obgleich ich die marxistische Lehre schon vor langer Zeit verworfen habe, habe ich ein Verständnis für diejenigen behalten, die Revolutionen ursprünglich unterstützten.
In den meisten Fällen war die Mehrheit begeistert von der Idee, die bestehende Ordnung umzustürzen, weil sie aufrichtig an die Demokratie glaubte (und dann natürlich von einer neuen Form des Totalitarismus enttäuscht wurde).
Das Gute an der digitalen Revolution ist, dass sie im Kern demokratisch ist. Doch wie es politische Revolutionen so an sich haben, sehen die Etablierten sie als Anarchie und Gefährdung.
Genau genommen ist Demokratie, das weiß sicher jeder, eine eher unordentliche Angelegenheit. Sie ist oft chaotisch. Sie ist oft unlogisch. Sie gehorcht keinen Regeln. Ich glaube, Journalisten begreifen dieses Grund prinzip nicht. Bloggen, obgleich im Geiste demokratisch, stellt eine Bedrohung für die etablierte Ordnung des Journalismus dar.
»Sie und wir«
Ich wurde durch einen Blogeintrag von Adam Tinworth zu diesem Beitrag angeregt. Tinworth schreibt:
»Die meisten Medienleute verstehen nicht, dass Bloggen ein Community-Vorgang ist. Sie betrachten es als Methode der Publikation. (…) Sie sehen es bestimmt nicht als Gespräch oder Austausch. (…)
Beim Blog gen geht es um persönliche Meinungen, die aufeinander wirken, und nicht um persönliche Stimmen, die belehren wollen. Und das übersehen die Medien gewöhnlich. (…)
Die traditionellen Medienleute begreifen eine Community sehr oft als einen Nebenschauplatz, wo die Leser hingehen, während die Journalisten auf dem wahren Schauplatz bleiben. Sie konzentrieren sich auf Inhalte, nicht auf Menschen. Schließlich hat das ja in den letzten hundert Jahren ihre Arbeit ausgemacht. (…)
Gelegentlich mögen die Journalisten sich dazu herablassen, zu einigen Threads beizutragen. Oder sie nehmen eine Seite mit Leserbriefen in den Printtitel auf. Doch gewöhnlich bleibt es bei einem ‚sie und wir‘.«
Journalisten müssen sich integrieren
Wenn wir Journalisten von Integration reden, meinen wir üblicherweise die Verflechtung von Printund Online-Aktivitäten. Doch nur online kann die wahre Verflechtung geschehen – und zwar von selbst. Zwischen Journalisten und Bürgern. Es gibt kein »Wir und die anderen« mehr.
Ursprünglich wollte ich diesen Beitrag so beenden: »Blogger aller Länder, vereinigt Euch!«. Doch ist es ja gerade der Mangel an Einheit, der das Bloggen so dynamisch macht, so kritisch und so selbstkritisch. Und letztlich natürlich so revolutionär.
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