Aus Dem Netzwerk Recherche
Aus Faulheit den Scoop verpasst
Viele relevante Themen liegen auf der Straße oder werden von Informanten wie Sauerbier angeboten. Aber kaum ein Journalist kümmert sich darum – bis es zu spät ist. Zum Beispiel für den Steuerzahler, wie im Fall der Bayern LB.
von Sebastian Heiser (recherche-redakteur Der Taz)
Rolf Holub, Grünen-Abgeordneter im Landtag des österreichischen Bundeslandes Kärnten, hat ernüchternde Erfahrungen mit Journalisten gemacht. »Wenn es um falsch abgerechnete Spesen von 20 Euro geht, stürzen sich alle drauf, aber um die komplizierten Sachen kümmert sich keiner.« Holub war Mitglied eines Untersuchungsausschusses, der sich mit dem Verkauf der Mehrheit an der Kärntner Landesbank Hypo Alpe Adria an die Bayern LB beschäftigte.
Im November 2007 stellte Holub seinen Abschlussbericht vor. 132 Seiten voller Details. Was in dem Bericht stand, hätte ein Scoop werden müssen, mit dem sich eine Zeitung gern schmückt: Die Hypo Alpe Adria war in dubiose Geschäfte auf dem Balkan verwickelt. Und bei dem Verkauf des Instituts an die Bayerische Landesbank gab es eine Menge Ungereimtheiten. Unter anderem war ein Teil der Hypo Alpe Adria erst kurz vorher an einen privaten Investor verkauft worden – und es gab Hinweise darauf, dass dieser Investor schon frühzeitig von den Übernahmeplänen wusste. Beim Weiterverkauf machte er jedenfalls einen Gewinn in dreistelliger Millionenhöhe zu Lasten der öffentlich-rechtlichen Bayern LB. Doch bei der Pressekonferenz stieß der Bericht auf wenig Interesse. Holub erinnert sich, eine Anwesende habe ihm gesagt: »Ich lese mir doch keine 130 Seiten durch, ich bin schließlich Journalistin.«
Der Bericht hätte ein Scoop werden müssen
Kein Problem mit der Medienaufmerksamkeit gibt es, wenn es um Rücktrittsforderungen geht oder um softe Promi-News. Mit komplizierten Strukturen beschäftige sich dagegen kaum jemand, so Holub.
Erst nachdem die Münchener Staatsanwaltschaft gegen den BayernLB-Chef Werner Schmidt wegen Veruntreuung ermittelte und im Oktober 2009 die Bankzentrale durchsuchte, beschäftigten sich Journalisten mit den Vorgängen. Vor allem die Süddeutsche Zeitung, die den Kauf der Hypo Alpe Adria damals als »Erfolg« für den Bankchef bewertet hatte, recherchierte jetzt tiefgründig. Viele der Informationen, die jetzt ins Blatt kamen, hätte die Zeitung schon zwei Jahre früher Holubs Bericht entnehmen können.
Die Süddeutsche Zeitung habe eben begrenzte Kapazitäten, erklärt Hans Leyendecker, der dort das Ressort für investigative Recherche leitet und zweiter Vorsitzender des Netzwerk Recherche ist. Oft reiche es nur, zu dem jeweils aktuellen großen Thema zu recherchieren, so Leyendecker auf der Jahreskonferenz des Netzwerks. Die Bayern LB sei lange Zeit nicht interessant genug für eine große Recherche gewesen.
Inzwischen haben im Zuge des Skandals sowohl Bayern LB-Chef Michael Kemmer als auch Finanzminister Kurt Faltlhauser ihre Posten verloren. Die Bank musste hohe Verluste der Hypo Alpe Adria ausgleichen und konnte das Institut nur zu einem symbolischen Preis loswerden – insgesamt hat das Geschäft 3,7 Milliarden Euro gekostet.Ein Desaster – auch für die Medien. Wenn sich früher ein Journalist interessiert hätte, hätte sich vielleicht sogar der finanzielle Verlust für die öffentlich-rechtliche Bank und damit den Steuerzahler begrenzen lassen. Der Vorwurf trifft nicht nur die Süddeutsche Zeitung. Im Gegenteil: Sie gehörte ja zu den Medien, die sich schließlich noch in den Skandal einarbeiteten.
Welche Ursachen hat es, dass jemand wie Holub brisante Informationen wie Sauerbier anbietet, ohne dass ein Journalist anbeißt? Die Gründe sind vielfältig:Aktualitätswahn: Natürlich sollen Medien aktuell berichten. Aber ist es wirklich die beste Lösung, wenn Redakteure Tag für Tag auf 80 Zeilen oder in 60 Sekunden über die neueste Entwicklung im Streit der Koalition um die Bundeswehrreform berichten? Wäre es nicht die bessere Entscheidung, sich Zeit zu nehmen, das Klein-Klein beiseitezulassen und dann in einem großen Stück die verschiedenen Akteure, ihre Konfliktlinien und ihre Interessen vorzustellen?
Mangelnde Ressourcen: Es gibt zu wenig Journalisten, die sich mit solchen Recherchen beschäftigen. Es ist allerdings zu einfach, die Schuld dafür nur auf mangelhafte Ausstattung zu schieben. Auch innerhalb von Redaktionen werden die Prioritäten bei der Frage, wie die vorhandenen Ressourcen eingesetzt werden, falsch gesetzt.Mangelnde Anerkennung: Journalisten, die sich über Jahre hinweg gründlich in ein Thema einarbeiten, müssen redaktionsintern um ihr Image bangen. Sie laufen Gefahr, als Kauz belächelt zu werden, der sich doch nur um sein privates Hobby-Thema kümmert.
Schlechtes Themengespür: In vielen Redaktionen herrscht der Glaube, dass das Publikum sich für »trockene« Themen nicht interessiere. Der scharf formulierte Kommentar auf der Meinungs- oder die nett dahinplätschernde Geschichte auf der Reportageseite zählt mehr als der durch eigene Recherche herausgefundene Fakt.
Frust bei der Suche nach Journalisten
Desinteresse und Faulheit: Recherche ist anstrengend. Viel bequemer lassen sich die Seiten oder Sendeminuten füllen, wenn man einfach über die Themen berichtet, über die gerade alle berichten. Die eigene Recherche beschränkt sich dann darauf, ein paar der üblichen Verdächtigen das Thema kommentieren zu lassen. Meinungen gehen immer schnell. Auch bei der Bayern LB beschränkte sich die Leistung der meisten Medien in der Kommentierung dessen, was andere herausgefunden hatten.
Für einen Informanten mit brisantem Material kann es sehr frustrierend sein, einen Journalisten zu suchen, der sich damit beschäftigen will. Informanten entdecken hingegen ein neues Medium: Wikileaks. Auf der Internetseite können Informationen hochgeladen werden, die sonst keine Öffentlichkeit bekommen. »Wir werden gerade mit Dokumenten überflutet«, sagt der deutsche Sprecher von Wikileaks, der als Daniel Schmitt auftritt.
In diesem Jahr haben eine Reihe von Zeitungen eigene Recherche-Redaktionen gegründet. Oft handelt es sich dabei zwar um Mogelpackungen – da wurden einfach Redakteure, die sich ohnehin schon hauptsächlich mit Recherchen beschäftigen, in ein neu gegründetes Ressort gesteckt. Doch der Trend ist erfreulich – Recherche wird wieder wertgeschätzt.
Auch dem Aktualitätsdruck wollen sich einige Redaktionen in Zukunft stärker widersetzen. »Wir wollen das Blatt entschleunigen«, sagt taz-Chefredakteurin Ines Pohl. In der Konkurrenz zum Internet wolle die Zeitung »mehr Recherche bieten, hintergründiger informieren und ausgeruhter sein«. Auch auf das Risiko hin, dann nicht mehr jeden kleinen Weiterdreh beim Streit um die Bundeswehrreform ins Blatt zu bekommen.
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