Recherche
Die bittere Pille für die Medien

Was Pharma-Experten sagen, glauben die Journalisten. Undderen Publikum. Wie gut sich das Thema Pandemie verkauft hat, zeigtDeborah Cohens Recherche über die WHO und die Schweinegrippe.

von Andreas Lochner

Am 11. Juni 2009 verkündet Margaret Chan: »Die Welt stehtjetzt am Anfang der Influenza-Pandemie 2009.« Ein einfacher Satz,doch damit weckte die Generaldirektorin derWelt­­gesundheitsorganisation schlimme Befürchtungen undErinnerungen. 1968 rief die WHO erstmals eine Pandemie aus. Damalsstarben eine Million Menschen an der Hongkong-Influenza. Ein halbesJahr­hundert früher, in den Jahren 1918/19, sollen weltweitsogar 40 bis 50 Millionen Menschen an der Spanischen Grippe gestorbensein.

Verglichen damit blieb die als Schweinegrippe bekannte Influenza A(H1N1) moderat – trotz der angeblich rund 108.400 Toten weltweit.Der Katastrophenalarm des Boulevard (In Bild befürchtete einProfessor 35.000 Tote allein in Deutschland) verhallte. Und alsMargaret Chan die Pandemie am 10. August 2010 für beendeterklärte, sagte sie: »Die Pandemie hat sich günstigerentwickelt als wir vor etwas mehr als einem Jahr befürchtethaben.«

Es lässt sich nicht sagen, was die Vorkehrungen derWeltgesundheitsorganisation medizinisch wert waren. Sicher ist nur,dass sich die Pandemie als ertragreiches Thema fürEnthüllungsrecherchen erwiesen hat.

Recherchen enttarnen WHO-Praktiken

Zwei Journalistinnen, die Britin Deborah Cohen und die DäninLouise Voller, stießen auf Wissenschaftler, die dieWeltgesundheitsorganisation zum Thema Grippepandemie beraten undgleichzeitig auf der Gehaltsliste solcher Pharmaunternehmen stehen, dieGrippemedikamente herstellen. Sie enttarnten, dass die WHO –obwohl Unterorganisation der Vereinten Nationen –Interessenkonflikte zu verhüllen suchte und dabei gegen ihreeigenen Ethikregeln verstieß. Noch im Herbst 2009 ist dieStimmungslage allerdings weit weniger entspannt.

Ein Tipp führt zur Pharma-Industrie

Im Frühherbst vorigen Jahres – jene Phase, die dasPrädikat »Schweinegrippe-Hysterie« verdient –begann die dänische Journalistin Louise Voller zusammen mit ihremKollegen Kristian Villesen, sich für die Hintergründe derPandemieerklärung zu interessieren. Auf das Thema aufmerksam wurdeVoller während einer Recherche über Patientenorganisationen,die von der Pharmaindustrie bezahlt werden. Sie habe engen Kontakt zuÄrzten und Medizinexperten gehabt, erinnert sich die31-jährige Voller. Sie befragte auch den Wissenschaftler TomJefferson, der in der internationalen (nach eigenen Angabennichtkommerziellen) Cochrane Collaboration das Thema Grippe untersucht.Er gab ihr einen Tipp, der sie auf die neue Geschichte brachte: dieverdächtige Nähe der Weltge­sundheitsorganisation zurPharmaindustrie.

Im Verlauf der Monate November und Dezember 2009 enthülltenVoller und Villesen in der dänischen Tageszeitung Information,dass sieben Wissenschaftler die WHO bei der Pandemieplanung beratenhaben, die auch Geldempfänger der Pharmaindustrie waren, etwa mitMillionenbeträgen für deren Forschung . Voller und Villesenstießen im Fortgang ihrer WHO-Recherchen auf Stoff, der fürVerschwörungstheorien taugen würde. Denn kurz bevorWHO-Generaldirektorin Margaret Chan die Pandemie ausrief, ändertedie Welt­gesundheitsorganisation offenbar ein entscheidendesDetail: ihre Definition, was eine Pandemie überhaupt ausmacht.Heute gilt, dass der Pandemiefall dann eintritt, wenn ein neues Virusvon Mensch zu Mensch übertragen wird und es Ausbruchsgebiete inmindestens zwei Weltregionen gibt, also etwa in Amerika und Afrika.Dabei kann die Krankheit schwer oder leicht verlaufen. So steht es aufder Website der Welt­gesundheitsorganisation.

Wurde die Pandemie-Definition manipuliert?

Bis Mai 2009 fand sich dort noch der Zusatz, dass eine Pandemie aucheine große Anzahl von Toten und Kranken ausmache, wie Informationschreibt. Nun verschwand der Zusatz. Warum nur? In Informationerklärte WHO-Sprecher Gregory Hartl dies so: Das, was auf deroffiziellen Website stehe, sei gar nicht die offizielle Definition.Eine Definition ist keine Kleinigkeit. Ob eine Pandemie erklärtwird oder nicht, hat weitreichende Folgen. Zum Beispiel fürDeutschland. Die Bundesrepublik wie auch die deutschen Länderschlossen 2007 einen Vertrag mit GlaxoSmithKline, der vorsieht, dass imFalle einer Influenza-Pandemie die Länder zum Schutz derBevölkerung den Impfstoff des Pharma-Unternehmens beziehen. ImAnschluss an Chans Pandemie-Erklärung wurden die Länder mit34 Millionen Dosen Impfstoff im Wert von rund 280 Millionen Eurobeliefert, wie die Gesundheitsminister­konferenz gegenüberMessage angibt. Logistikkosten nicht eingerechnet. Nur ein Bruchteildes Impfstoffs wurde letztlich gebraucht.

Tagesschau.de berichtete am 2. Dezember 2009, dass  …

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