Öffentlich-Rechtlicher rundfunk
Ungeheuerliche Drehtüren
Selten wurde die Verquickung von Politik undöffentlich-rechtlichem Rundfunk so heftig diskutiert wiedurch die Personalien Brender und Seibert. Es wird Zeit für einenSpruch des Bundesverfassungsgerichts.
von Hans J. Kleinsteuber
Auch, aber nicht nur Politiker sind mitverantwortlich für das Wohlund Wehe eines Senders im Innern« (Faz.net v. 24.2.2009). Sosprach Hessens Ministerpräsident Roland Koch und sorgtedafür, dass im Herbst 2009 eine Phalanx hoher CDU-PolitikerZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender aus dem Sender entfernte –offensichtlich auf Order der Bundeskanzlerin. Die Empörung wargroß, ZDF-Moderator Claus Kleber sprach von»parteipolitischen Seilschaften«, die Journalistenpostenbesetzen. Brenders Vorgänger Klaus Bresser nannte es schlicht»organisierte Verfassungskriminalität«. Ein Jahrspäter scheint Brenders Karriere beendet, während derHaupttäter Koch die Politik verlässt und einen gut dotiertenWirtschaftsposten übernimmt. Ob und wie der skandalöseVorgang, bei dem die Politik massiv in den Medienbereichhineinregierte, ein Nachspiel vor demBundesverfassungsgericht haben wird, steht immer noch in denSternen. Immerhin macht das Gericht seit seinem ersten Rundfunkurteil1961 deutlich, dass die Staatsfreiheit ein hohes Gut darstellt. Aberzur Frage, wie viel Staat in den Gremien noch akzeptabel ist, hat essich bisher nicht klar geäußert.
Die Schere im Kopf
Zensurartige Eingriffe der regierenden Politiker gab es immer wieder.Prototypisch ist der Fall des Gert von Paczensky, dem Mitbegründerund ersten Leiter des dezidiert regierungskritischen TV-MagazinsPanorama. Nachdem er dem Machtmenschen Franz Josef Strauß mehrereAffären nachgewiesen hatte, wurde sein Vertrag beim NDR 1963 nichtverlängert. Von Paczensky blieb ein engagierter Journalist,reüssierte beim Stern, im Bundespresseamt, bei Radio Bremen undwurde zum gefeierten Fachbuchautor und Restaurantkritiker. Soinvestigativ wie bei Panorama konnte er freilich nicht mehr arbeiten.
Rundfunkjournalisten wissen nur zu gut um diese spektakulärenDurchgriffe der Politik, die zu einer Mentalität der »Schereim Kopf« führen. Gleichwohl sind diese Ungeheuerlichkeitennicht typisch für das Verhältnis von Politik und Medien.
Im Gleichgewicht
In der Entstehungsphase moderner Massenmedien taten dieTerritorialherren alles, um sich Kritiker in den Druckmedienfernzuhalten. Da wurde landesherrlich zensiert und verboten. Und Kochscheint sich in dieser Tradition zu sehen. Ein erstarkendesBürgertum schuf sich nach dieser Erfahrung eigene, staatsfreieRäume des Räsonnements und sicherte sie durch dasVerfassungsrecht auf Pressefreiheit ab. Es entstand eine ArtGleichgewicht zwischen der Sphäre der Politik und der derKommunikation. In den letzten Dekaden wurde das Gewicht der Medien eherschwerer, die Politik, wollte sie erfolgreich sein, musste sich derLogik der Medien anpassen. Sie wehrte sich: Pressestellen wuchsen,PR-Strategen bereiten Kampagnen minutiös vor, journalistischeExpertise wird notfalls eingekauft.
Kommunikationswissenschaftler beschreiben das Verhältnis vonPolitikern und Journalisten gern in Kategorien von Interdependenz,Symbiose oder lösen es spieltheoretisch auf: Jede Seite zockt aufihre Weise. Der Politiker sucht mithilfe der Journalisten den Zugangzur Öffentlichkeit und freundlicher Berichterstattung. DerJournalist kann das bieten, verlangt aber Gegenleistungen in Formexklusiver Informationen oder auch einen Platz in der Kanzlermaschine.Man braucht einander, hat häufig Kontakt, aber beide Seitenbelauern sich gegenseitig und verfügen über spezifischeDruckmittel.
Politiker leben von der Maximierung von Machtressourcen, weil sie ihnendie Chance geben, ihre Wahlversprechen in die Tat umzusetzen undletztlich die Wiederwahl zu sichern. Aus Politikersicht sind Medieneinzigartige Instrumente der Macht, mit denen der Umgang jedochfordernder ist als mit den ihnen vertrauten Ressourcen derBürokratie oder dem Parteiapparat. Wo immer Politiker die Chancehaben, mit Hilfe von Medien an Öffentlichkeit heranzukommen,werden sie diese nutzen. Auch und gerade, wenn es um die leitendenPositionen der Rundfunkanstalten geht.
Der Medienimperator und Ministerpräsident Silvio Berlusconi hates besonders einfach, auch Nicolas Sarkozy hat hilfreiche Medienkumpel.Und Ex-Kanzler Helmut Kohl freute sich über seineMännerfreundschaft zu Leo Kirch, bevor dieser pleite ging.
Tradition des Hineinregierens
Im deutschen Rundfunk ist – wie wir gesehen haben – dieEinflussnahme direkt. In den Länderparlamenten wurden einst dieGesetze geschrieben, welche die öffentlichen Rundfunkanstaltenentstehen ließen. Nahezu reflexhaft verankerten die Politikerihre Sonderrolle in den Statuten: Sie bevölkern seitdem Rundfunk-und Verwaltungsräte und fingern in die journalistische Arbeithinein.
Das ist nicht neu. Sir Hugh Greene, in den Nachkriegsjahren britischerRundfunkoffizier und entscheidend an der Begründung unseresNachkriegssystems beteiligt, machte sich in seinen Erinnerungen lustigüber Hamburgs »Torf-Skandal« im kalten Winter 1946/47.Politiker hatten erklärt, der reichlich rund um Hamburg vorhandeneTorf sei zu feucht. Greenes NWDR bewies, das er zum Heizen taugte. Dasführte dazu, so Greene, »dass Hamburger Politikerwutentbrannt in mein Büro kamen und Entschuldigungen und dieEntlassung aller Beteiligten verlangten« (Greene 1970, S.48).Greene konnte seine Leute vor den aufgebrachten Politikernschützen. Es waren Vorboten des Politikertypus, derJournalisten zu gern Vorschriften machen will. Oft sitzen sieselbst in den Aufsichtsgremien, dazu Vertreter sozial relevanterGruppen, die ihnen nahestehen. Als der ZDF-Staatsvertrag 1961geschlossen wurde, war die CDU die beherrschende Macht in Bund undLändern.Sie hievte ihren treuenVerbündeten, den Bund der Vertriebenen,in den Fernsehrat. Dort residiert er bis heute. Auch die SPD setzt ihreGünstlinge ein, wenn sie die Geschäfte in einem Bundeslandübernimmt. Im Ergebnis haben wir eine lange Geschichte desProporzes, nach dem die jeweilige Mehrheitspartei den Intendantenbestimmt, die Oppositionspartei dessen Stellvertreter. DieFührungsetagen werden abwechselnd schwarz und rot durchdekliniert.Selbst bei Brenders Ende hielt sich die CDU daran und nominierte einenNachfolger mit angeblich rotem Ticket.
Offizielle Retusche
Im täglichen Anstaltsbetrieb wird die politische Seite desFührungspersonals gern wegretuschiert. In der offiziellenBiografie von Markus Schächter, Intendant des ZDF, verschweigt derSender, dass Schächter schon als Student Stipendiat der CDU-nahenAdenauer–Stiftung war. Später verdiente er sich Sporen alsPressesprecher eines CDU-Ministers. In der ZDF-Sprache heißt das,er leitete »die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit desKultusministeriums des Landes Rheinland-Pfalz« (siehe:www.unternehmen.zdf.de). Die politische Verbindung wird schamhaftverschwiegen, obwohl sie jedem Mitarbeiter des Hauses nur zu bewusstist. Im Fernsehrat des ZDF findet der Intendant seinen Rückhalt.In dem Gremium mit 77 Mitgliedern stammen 28 direkt aus der Politik.
Wer nun meint, die verbleibenden 49 Vertreter würden …
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