AUS DEM NETZWERK RECHERCHE
Goldverdächtige Recherche

Die beharrliche Recherche zweier Journalisten deckte die unrealistischen Medaillenziele für Olympia auf – und die großen Schwächen des Informationsfreiheitsgesetzes.

von Manfred Redelfs

Für die Journalisten Daniel Drepper und Niklas Schenck war diese Recherche ein Langstreckenlauf: Der freie Reporter im Recherche-Ressort der WAZ und der Henri-Nannen-Schüler wollten wissen, welche Zielvereinbarungen das Bundesinnenministerium (BMI) mit den Sportverbänden für die Olympischen Spiele in London getroffen hatte. Schon im Mai vorigen Jahres hatten sie deshalb unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) Akteneinsicht beim Ministerium beantragt.

Das Thema ist brisant, denn von den Erfolgen bei Welt- und Europameisterschaften, vor allem aber bei Olympia, hängt die Verteilung der Gelder an die einzelnen Sportverbände ab. Auch die Finanzierung von Trainerstellen durch den Bund ist daran gekoppelt. Es geht um viel Geld, denn rund 240 Millionen Euro fließen jedes Jahr aus Bundesmitteln in den Spitzensport – und nicht einmal die Parlamentarier kennen den Schlüssel, nach dem die Millionen verteilt werden.

Auf Geheimhaltung geeicht

Die Recherche, die von Netzwerk Recherche und der Otto-Brenner-Stiftung mit einem Stipendium unterstützt wird, produzierte mächtig Schlagzeilen. Zum Ende der Wettkämpfe räumte das Innenminis­terium endlich ein, dass für London 86 Medaillen geplant waren, darunter allein 28 mal Gold – ein Ziel, das bekanntlich weit verfehlt wurde. Die Vorgaben wurden als weltfremd kritisiert und die deutsche Sportförderung war als letzter Ausläufer der Planwirtschaft entlarvt. Doch die Debatte über die sonderbare Förderstrategie von BMI und Deutschem Olympischem Sportbund (DOSB) hat in den Hintergrund gedrängt, dass die Recherche noch einen zweiten Skandal aufgedeckt hat: die auf Geheimhaltung geeichte Informationspolitik der Behörden.

Bis heute wurde der Antrag auf Akteneinsicht vom Ministerium nur unvollständig beantwortet, unter anderem mit Verweis auf den Schutz personenbezogener Daten und auf Geschäftsgeheimnisse des DOSB. Dabei hatten sich die Antragsteller ausdrücklich bereit erklärt, einer Schwärzung aller persönlichen Daten zuzustimmen, die in den Unterlagen enthalten sind. Und ob es sich bei der – offensichtlich wenig erfolgreichen – Förderstrategie tatsächlich um ein schützenswertes Betriebs- und Geschäftsgeheimnis handelt, ist juristisch höchst zweifelhaft.

Journalisten schlagen Kuhhandel aus

Misstrauisch wurden die Journalisten Drepper und Schenck, als man ihnen im Rahmen eines Schlichtungsgesprächs im BMI anbot, sie würden vom DOSB alle Zielvereinbarungen erhalten, sofern sie ihren IFG-Antrag fallen ließen. Was der Dachverband anbot, waren aber Beispiel-Zielvereinbarungen, die keine Medaillenvorgaben und keine konkreten Projektbeschreibungen enthielten. Für die journalistische Arbeit wären diese Informationen wertlos gewesen. Die Rechercheure hielten deshalb an ihrem Antrag fest.

Um die Journalisten abzuschrecken, verfiel das Ministerium schließlich auf eine andere Strategie: Es teilte den Antrag in 68 Einzelanträge auf. Dieser Schachzug ermöglicht es dem BMI, statt der Höchstgebühr von 500 Euro, die das IFG pro Antrag vorsieht, nun insgesamt bis zu 34.000 Euro Gebühren zu erheben. Außerdem erhöht sich durch die Aufsplittung in etliche Einzelverfahren das Prozesskos­tenrisiko für die Antragsteller, wenn sie juristisch gegen die Entscheidung des BMI vorgehen.

Ganz offensichtlich spielten die Behörden hier auf Zeit, denn es war klar, dass die meiste Aufmerksamkeit für dieses Thema während der olympischen Spiele herrschen würde. Die Journalisten entschieden sich deshalb Anfang Juli 2012, zusätzlich einen Eilantrag zu stellen, den sie mit dem Auskunftsanspruch nach dem Landespressegesetz begründeten und allein auf die Medaillenvorgaben für Olympia zuspitzten. Das Landespressegesetz eröffnet im Unterschied zum IFG zwar keinen Anspruch auf Akteneinsicht oder Freigabe von Dokumenten. Aber es lässt eine Verfahrensbeschleunigung zu. Mit dieser Klage, die vom Deutschen Journalisten-Verband unterstützt wurde, waren die Journalisten am 31. Juli erfolgreich. Das Gericht entschied, dass die von BMI und DOSB vorgebrachten Ausnahmegründe wenig überzeugend und zudem geringer zu gewichten seien als das von den Journalisten dargelegte öffentliche Interesse an den Zielvereinbarungen.

Friedrich spielt weiter auf Zeit

Für vergleichbare Verfahren wichtig sind die Ausführungen des Gerichts zur Eilbedürftigkeit: »Da es dem Antragsteller hier darum geht, vor dem Hintergrund eines aktuellen Ereignisses, nämlich der gegenwärtig stattfindenden Olympischen (Sommer)Spiele zu berichten, benötigt er die begehrten Auskünfte jetzt und nicht zu einem ungewissen Zeitpunkt in der Zukunft. Im Hinblick auf den verfassungsrechtlich verbürgten Wert der Pressefreiheit […] ist in diesem Fall die Vorwegnahme der Hauptsache in Kauf zu nehmen.«

Im Klartext bedeutet dies, dass die WAZ nicht warten musste, bis in einem neuen Verwaltungsgerichtsverfahren regulär verhandelt wurde, sondern die Auskünfte waren unmittelbar nach der Entscheidung im Eilverfahren zu erteilen. Trotzdem spielte Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) weiter auf Zeit, ungeachtet der Kritik in vielen Medien, vom Deutschen Journalisten-Verband, von Netzwerk Recherche und bald auch aus der Politik. Erst durch die Androhung eines Zwangsgeldes von 100.000 Euro, das die WAZ beantragt hatte, konnte der Minister kurz vor Ende der Olympischen Spiele zum Einlenken gezwungen werden. Der Fall zeigt, dass es sich lohnt, wenn Journalisten sich durch eine Blockadehaltung nicht abschrecken lassen, sondern notfalls vor Gericht ziehen, um ihre Rechte durchzusetzen. Das Verwaltungsgericht Berlin hat in erfreulicher Klarheit darauf hingewiesen, dass die Sorgen des Minis­teriums, Journalisten würden die Zahlen ja nur falsch interpretieren, keinerlei Grund für eine Informationsverweigerung sein können. Der paternalistischen Grundhaltung des Ministeriums hielt das Gericht entgegen, dass die Verwertung der Daten vollständig in die redaktionelle Verantwortung des jeweiligen Presseorgans falle. Allein die Möglichkeit einer verkürzten Berichterstattung reiche nicht aus, um den presserechtlichen Auskunftsanspruch zu verweigern.

Für die Journalisten Drepper und Schenck ist die Recherche nach dem juristischen Teilerfolg allerdings noch lange nicht beendet. Zwar sind jetzt die Medaillenziele für Olympia bekannt, aber um alle Detailvereinbarungen aus den Akten wird weiterhin gerungen – nun ohne den Aufmerksamkeitsbonus durch Olympia. Das Beispiel zeigt damit auch, wie reformbedürftig das IFG ist, denn in seiner jetzigen Form lässt es den Behörden noch sehr viel Freiraum, sich auf Ausnahmeklauseln zu berufen, auf eine zermürbend lange Verfahrensdauer zu setzen oder mit abschreckenden Gebühren zu drohen. Netzwerk Recherche drängt deshalb seit langem auf eine Reform des IFG, hin zu einem Transparenzgesetz, das diesen Namen verdient.

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