Nachgefragt
Kulturelle Rücksichtnahme?

Wie geht man als Journalist mit Provokationen wie dem Film »The Innocence of Muslims« um und wie mit den Protesten dagegen? Message fragte ausländische Journalisten und Wissenschaftler zum Umgang mit kulturellen Unterschieden.

PAKISTAN

Viele pakistanische Medien haben sich hier schuldig gemacht: Anstatt aufzuklären und damit für Ruhe unter der Bevölkerung zu sorgen, haben sie selbst extremistisch berichtet. Sie spielen die religiöse Karte allerdings nicht aus Liebe zur Religion, sondern um die Auflage zu erhöhen, um ihren Profit zu maximieren und die Konkurrenz zu überbieten. Dabei mag auch die eingeschränkte Bildung vieler Nachrichtenredakteure eine Rolle spielen, die diese Geschichte aufgrund ihrer dörflichen Sozialisation gar nicht anders wahrnehmen können. Hinzu kommt, dass etliche politische Führer das Thema hochgespielt haben, um etwas gegen ihre sinkende Beliebtheit zu tun. An sich haben die Unruhen in Pakistan keinen religiösen Grund. Eine unfähige Regierung trägt eine Mitschuld.

Sie hat zu den Unruhen beigetragen, indem sie das Video zu einem Tabu erklärte und Google und Youtube davon abgehielt, das Video in Pakistan zugänglich zu machen. Daher konnten sich auch gebildete Leute das Video nicht ansehen und entsprechend kommentieren. Meiner Meinung nach hätte das Video online bleiben müssen.

Zusammengefasst muss konstatiert werden, dass pakistanische Medien sehr unverantwortlich mit diesem Thema umgegangen sind. Eine Stimmung des Zorns wurde insbesondere durch Nachrichtenmoderatoren und geladene Gesprächsgäste erzeugt. Hier hinein spielt auch eine ungute Nähe zwischen Regierung und Medien in Pakistan.

Rizwan Zamir ist Chefredakteur und Herausgeber des KAWAIF Magazins in Lahore/Pakistan.

NORWEGEN

Die gewalttätigen Reaktionen auf das Mohammed-Video sind in den norwegischen Medien intensiv verfolgt und kommentiert worden. Die einhellige Meinung, die in den Artikeln und Kommentaren zum Ausdruck kam, war, dass die Meinungsfreiheit höher zu bewerten sei als das Recht, nicht beleidigt zu werden. Der Film mag vulgär und kränkend sein, doch er ist rechtmäßig und muss deshalb in einer freien Gesellschaft toleriert werden. Führende Muslime in Norwegen sprachen sich in den Medien für einen offenen Dialog aus. Die Teilnahme von Oslos Bürgermeister Fabian Stang an einer Demonstration gegen das Video wurde hingegen medial kritisiert. Er habe die »falsche Seite in dieser kulturellen Auseinandersetzung gewählt«. Ist also die Berichterstattung über fremde Kulturen geprägt von fehlendem Respekt? In gewisser Hinsicht schon. Die moderne Gesellschaft Norwegens ist hochgradig säkularisiert. Die Mainstreammedien und die Meinungsführer verfügen meiner Ansicht nach lediglich über ein vages Wissen über und Verständnis von Religion sowie deren Einfluss auf bestimmte Bevölkerungsgruppen. Während die rechtliche Freiheit, eine Religion kritisieren zu dürfen, unantastbar ist, gibt es ethische Gesichtspunkte in der Berichterstattung über Religionen, die nicht hinlänglich berücksichtigt wurden.

Svein Brurås ist Dozent und Autor eines norwegischen Standardwerks zur Journalismusethik.

USA

Ich denke nicht, dass die Nationalität eines Journalisten etwas damit zu tun hat, wie er oder sie über fremde Kulturen denkt. Von daher glaube ich nicht, das wir Amerikaner weniger rücksichtsvoll gegenüber anderen Kulturen sind als andere.

Es kommt vielmehr darauf an, inwieweit Journalisten fremde Kulturen auf Reisen oder bei dienstlichen Einsätzen kennengelernt haben, ihre Kenntnis der jeweiligen Sprache oder die Fähigkeit, einfach mal still zu sein und Anderen zuzuhören. Ich gebe Ihnen zwei Beispiele: der New York Times-Reporter Anthony Shadid, der in diesem Jahr in Syrien gestorben ist, als er über die Kämpfe berichtete, und der Kolumnist Nicholas Kristof. Beide haben wahrscheinlich mehr Zeit in Malaria-verseuchten Dörfern Südostasiens oder kriegsgebeutelten Staaten im Nahen Osten verbracht als in irgendeiner amerikanischen Redaktion. Das ist es, was sie von den »Parachutes« unterscheidet, die viel stärker ihre Vorurteile und ihre US-zentrierte Sichtweise in die Berichterstattung einfließen lassen. Besser als der ehemalige AP-Korrespondent Mort Rosenblum in seinem Buch »Little Bunch of Madmen« kann man es nicht zusammenfassen. Darin fordert er, Reporter, die über internationale Themen schreiben, sollten andauernd kulturelle Grenzen überschreiten. »Das ist eine fundamentale Fähigkeit. Sie setzt voraus, dass man sich von seinen eigenen Sichtweisen und Wertvorstellungen verabschiedet, um Ereignisse überhaupt erst durch die Augen von Anderen sehen zu können.«

Wir vom International Consortium of Investigative Journalists glauben, dass der beste Journalismus von einheimischen Reportern geleistet wird. Unser Netzwerk besteht aus 160 Reportern in 60 Ländern. Sie zeichnet das Wissen über die Region, der Zugang zu Quellen und das kulturelle Bewusstsein aus, von dem Auslandskorrespondenten nur träumen können.

Marina Walker Guevara ist stellvertretende Direktorin des International Consortium of Investigative Journalists.

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