Israel und Palästina
Maulkorb für den Wachhund
Israels Pressefreiheit hat enge Grenzen. Berichte zu heiklen Themen müssen dem Zensor vorgelegt werden. Die Journalisten haben sich daran nicht nur gewöhnt; sie haben sich damit abgefunden.
von Ido Liven
Auf dem diplomatischen Parkett nennt sich Israel häufig »die einzige Demokratie im Nahen Osten«. Israel ist aber zugleich eine der wenigen, wenn nicht die einzige Demokratie weltweit, die ihre Medien einer Zensur durch das Militär unterwirft.
In einem Land, das sich ständig unter existentieller Bedrohung sieht, gilt jede Information, die man als problematisch für die nationale Sicherheit interpretieren könnte, als äußerst kontrovers. Ein vom Verteidigungsminister ernannter Militärzensor soll deshalb dafür sorgen, dass die israelischen Medien keine Information verbreiten, die potenziell die nationale Sicherheit gefährden könnte.
Gewiss ist die israelische Medienszene ein dynamischer und äußerst wichtiger Akteur in der Gesellschaft. Israelische Journalisten kritisieren offen das politische Establishment, vielleicht sogar mehr als in vielen anderen Ländern. Doch eine Reihe von Faktoren beeinflusst das Klima, in dem israelischen Journalisten arbeiten. Auch 65 Jahre nach Gründung des Staates Israel sind weder die Meinungsfreiheit noch die Pressefreiheit gesetzlich festgeschrieben. Ihr Rechtsstatus stützt sich vielmehr auf Gerichtsentscheidungen. So ist auch die Existenz des staatlichen Zensors in Israels sogenannten »Defence (Emergency) Regulations« begründet, einem Gesetzeswerk, das noch aus der Zeit vor der Staatsgründung stammt. Überdies haben Abgeordnete der Knesset wiederholt mit Gesetzesentwürfen versucht, den »Watchdog« der Demokratie an die Leine zu nehmen.
Einschätzungen von internationalen Medienbeobachtern wie Reporter ohne Grenzen (ROG) und Freedom House sehen einen Abwärtstrend bei der Pressefreiheit in Israel seit 2009. In ihrem jüngsten Bericht stellt ROG fest, dass die Militärzensur weiterhin »ein strukturelles Problem« ist, obwohl israelische Journalisten »echte Meinungsfreiheit« genießen. Israels Abstieg im Ranking auf den 112. Platz geht dem Bericht zufolge in erster Linie auf das Vorgehen der Armee gegen palästinensische Journalisten zurück. Restriktionen für Journalisten im Westjordanland und Gazastreifen, sowohl von israelischen wie palästinensischen Behörden, werden regelmäßig vom Palestinian Center for Development and Media Freedoms dokumentiert (siehe Interview auf Seite 32).
»Altmodisch und pathetisch«
Das öffentliche Bild der Pressefreiheit in Israel ist angekratzt. Dazu beigetragen hat in jüngster Zeit der Fall des sogenannten Häftling X. Anfang Februar 2013 zeigte der australische Fernsehsender ABC eine Dokumentation über Ben Zygier, einen australischen Mossad-Agenten, der sich drei Jahre zuvor während der Isolationshaft in einem Hochsicherheitsgefängnis das Leben genommen hatte. Auf allen wichtigen israelischen News-Websites erschienen daraufhin Berichte, die dort aber genauso schnell wieder verschwanden. Eine gerichtliche Verfügung sorgte dafür, dass die Geschichte für 24 Stunden komplett gesperrt wurde. Außerdem wurde das Editors Committee von Mossad-Chef Tamir Pardo einberufen. Das in den 40er Jahren gegründete Forum dient dem Staat dazu, die Chefredakteure des Landes über solche Themen zu informieren, über die besser nicht berichtet werden sollte. Parallel dazu wimmelte es auf Facebook, Twitter und in zahllosen Blogs nur so von Informationen, Spekulationen und Meinungen zu den Details des Falles und zu seiner Vertuschung. Internationale Medien berichteten ebenfalls ausgiebig über die Fernsehdokumentation und die überzogene Reaktion der israelischen Behörden. Die Nachrichtensperre wurde später nach und nach aufgehoben.
Was folgte, war eine öffentliche Debatte über nationale Sicherheit und Pressefreiheit. »Selbstzensur kann heutzutage nicht mehr akzeptiert werden«, sagte die Vorsitzende des israelischen Presserats, Dalia Dorner. Angesichts globaler Informationsströme im Internetzeitalter wurde die Effektivität der Restriktionen gegen israelische Medien hinterfragt. »Das ist altmodisch und pathetisch«, sagte der ehemalige Mossad-Chef Danny Yatom der Tageszeitung Maariv.
Rhetorisches Feigenblatt
Chefzensorin Sima Vaknin-Gil rechtfertigte das Handeln des Staates bereits 2010 gegenüber Spiegel Online: »In den meisten Fällen hält der Feind den von einem bekannten israelischen Reporter veröffentlichten Artikel für glaubwürdiger [als einen Artikel aus internationalen Medien].« Israelische Medien würden deshalb dazu gezwungen, bei der Veröffentlichung heikler Informationen auf ausländische Quellen zu verweisen. Nichts könnte die schwierige Beziehung zwischen der Zensurbehörde und den Medien besser veranschaulichen als dieses rhetorische Feigenblatt. Israelische Medien nutzen die Phrase »laut ausländischen Medien« bei Informationen, die ihrer Meinung nach zwar von öffentlichem Interesse sind, die sie aber nicht auf israelische Quellen zurückführen dürfen. Das Ganze geht so weit, dass israelische Journalisten, die den Militärzensor übergehen wollen, Informationen an Medien im Ausland durchsickern lassen. Dann können sie Follow-up-Artikel veröffentlichen und darin auf ausländische Quellen verweisen. Die Geschichte des »Häftling X« ist ein Beispiel dafür. Ein Zensur-Dauerbrenner ist das Thema Atomwaffen. »Das nukleare Tabu ist im Laufe der Jahre mit Schichten von Stahlbeton bedeckt worden, als ob die bloße Existenz einer öffentlichen Debatte mit Fragen und Bedenken in irgendeiner Weise die nationale Sicherheit untergraben könnte«, schrieb der Umweltpublizist Aviv Lavie im Juli. Das widerspreche fundamental dem Wesen des Journalismus.
Journalistisches Stockholm-Syndrom
Dass sich Redaktionen dem Zensor widersetzen, kommt nur äußert selten vor. Und der Einfluss der staatlichen Zensur geht über Verbote hinaus. Denn auf Zensur folgt Selbstzensur. Mit 30 Jahren Erfahrung im israelischen Journalismus schrieb der angesehene Journalist Ben Caspit im Februar in einem Artikel in Al-Monitor, er blicke »ohne Zorn« zurück. »Ich hatte zahlreiche Auseinandersetzungen mit den Zensoren, aber im Nachhinein kann ich keine Fälle vorweisen, in denen meine Berichte oder Geschichten drakonisch unterdrückt wurden.«
Kritiker sprechen angesichts der bewussten, wenn auch notgedrungenen Akzeptanz der Zensur von einem »journalistischen Stockholm-Syndrom«. Eine mögliche Erklärung liegt in der Arbeitsbeziehung zwischen Journalisten und Zensoren. »Die 35 Militärzensoren sind keine gesichtslosen, unnahbaren Bürokraten«, schrieb Aluf Benn, Chefredakteur der Tageszeitung Haaretz im Februar einem Beitrag für den Guardian. »Man kennt sie persönlich und kann mit ihnen über die Wortwahl verhandeln, damit die Geschichte durchgeht.«
Außerdem legen Journalisten ihr Material heute nur noch zur Durchsicht vor, wenn es unter eine Liste sensibler Themen fällt, auf die man sich 1996 in einer Vereinbarung festgelegt hat. Überdies kann gegen die Entscheidung der Zensoren und auch gegen Nachrichtensperren beim Obersten Gerichtshof Berufung eingelegt werden.
Israelische Medienwissenschaftler untersuchten 2011 die Rolle der Zensur im Zusammenspiel zwischen Regierung, Armee, Medien und Öffentlichkeit. Sie kommen zu dem Schluss, dass der Militärzensor inzwischen paradoxerweise für den Schutz der Pressefreiheit unabdingbar geworden ist. Daten der Militärzensurbehörde, die vom auf Medienthemen spezialisierten Internetmedienmagazin The Seventh Eye im März 2012 veröffentlicht wurden, zeigen, wie diese Normalisierung der Zensur in der Praxis aussieht. Zwischen 2002 und 2011 intervenierten die Zensoren im Schnitt bei 17 bis 20 Prozent der eingereichten Texte. Während des zweiten israelisch-libanesischen Kriegs im Juli und August 2006 lag die Interventionsrate bei bis zu 30 Prozent.
Notwendiges Übel
Aus Sicht der Zensoren beweisen diese Zahlen sowohl ihre vermeintlich liberale Haltung als auch eine Verantwortung der Journalisten. »Israelische Medien möchten nicht als diejenigen dastehen, die gegen die Zensur verstoßen«, erklärte Chefzensorin Vaknin-Gil Spiegel Online. Weiter hieß es in der Stellungnahme der Zensoren gegenüber The Seventh Eye, dass von dem Nachrichtenmaterial, welches ohne vorherige Prüfung veröffentlicht worden war, nur durchschnittlich zwei Prozent eine Intervention erfordert hätten. Ziehen Journalisten Selbstzensur einer behördlichen Zensur vor, weil sie dabei vorgeblich ihre Unabhängigkeit bewahren?
»Viele Journalisten akzeptieren die Zensur von sich aus als ihre nationale Verpflichtung, widersprechen ihr nicht und kritisieren Kollegen, die von der offiziellen Linie abweichen. Sie sind sogar stolz darauf, wenn sie von etwas wissen und es ihrem Publikum vorenthalten«, kritisiert Aluf Benn von Haaretz im Guardian seine Kollegen. Der erfahrene Journalist Caspit verteidigt die staatlichen Eingriffe: »So lange es im Nahen Osten noch keinen dauerhaften Frieden gibt, werden wir wohl weiterhin mit der Zensur leben müssen. Sie ist ein notwendiges Übel.«
Wer den Maulkorb für die Medien verteidigt, vertraut dem Verteidigungsapparat mehr als dem Journalismus. So war dann auch der Fall des »Häftling X« nicht der erhoffte Wendepunkt. Die durch den Fall ausgelöste Debatte um die Rolle der Zensur war kurzlebig. »Die Presse hat den eisernen Vorhang, der um diesen peinlichen Fall errichtet worden war, unterwürfig akzeptiert«, schrieb Hanoch Marmari, Chefredakteur von The Seventh Eye.
Anfang Juli tauchten Berichte über einen zweiten Fall auf, der sofort als »Häftling X 2« bezeichnet wurde. Die Zeitungen Haaretz und Yediot Achronot berichteten über einen weiteren mysteriösen Gefängnisinsassen, der unter ähnlichen Umständen festgehalten wurde und vielleicht noch immer wird. An der Art der Berichterstattung hat sich vergleichsweise wenig geändert. Zwar sickerten Teile der Geschichte schnell durch. Doch einige Journalisten kritisierten ihre Kollegen und sogar den Militärzensor dafür, diese begrenzte Enthüllung erlaubt zu haben.
Der Anwalt Avigdor Feldmann, der beide Fälle kennt, sagte: »Die Geheimhaltung soll anders als man denkt, oder naiver Weise annimmt, nicht die nationale Sicherheit schützen, sondern den Ruf dieses Apparats schützen und schreckliches Fehlverhalten vertuschen.« Sein Appell an die Medien lautet: »Wer immer diesen Fall an die Öffentlichkeit bringt, wird dem Land keinesfalls einen schlechten, sondern einen guten Dienst erweisen.«
Ganze Passagen geschwärzt
Rufe nach Abschaffung der Militärzensur sind selten. Zu diesem Zeitpunkt hätte die Abschaffung der institutionalisierten Zensur nicht zuletzt wegen der festverankerten Selbstzensur wohl kaum positive Auswirkung auf die Pressefreiheit. Dennoch wären Selbstkontrolle und die Einhaltung professioneller Standards besser als gesetzliche Regulierung und institutionelle Zensur. Letzten Endes muss bei Themen, die eventuell die nationale Sicherheit bedrohen könnten, immer die Selbstregulierung gegen öffentliches Interesse abgewogen werden.
Solange die Zensur existiert, sollten Journalisten zumindest transparent mit dem Umstand umgehen. Es gibt keinen plausiblen Grund, warum Nachrichtensperren oder Zensoreninterventionen nicht öffentlich gemacht werden sollten. Yedioth Ahronoths macht vor, wie es gehen könnte. Die Zeitung veröffentlichte einen Artikel, in dem ganze Passagen geschwärzt waren.
Die übliche Annahme, dass öffentliches Interesse und nationale Sicherheit immer übereinstimmen, ist einfach nicht zu belegen. In Israel hat es bereits mehrere Fälle gegeben, in denen Zensur oder Strafverfolgung mehr oder weniger reflexartig bemüht wurden, um das Gesicht, nicht die Sicherheit, des Staates zu wahren.
Übersetzung: Ingrid Lorbach
Lesen Sie den Volltext im englischen Original.
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