Abseits vom Mainstream
Unabhängig, frei und offen für alles
Schriftsteller Wladimir Kaminer als Auto-Kolumnist? Eine Zeitschrift über Bayern, fernab des Landlust-Politikvakuums? Die spannendsten Magazine erscheinen abseits der Großverlage. Ein Streifzug durch die Nischen.
von Markus Böhm
Fünfzehn Euro, ein Kilo schwer: Ein Magazin wie ramp kauft man aus Überzeugung. Man muss sich einlassen wollen auf die eigenwillige Heftstruktur, auf Roadmovie-Reportagen, Kunstfotos und Typografie-Spielereien. »In einem Großverlag wäre ramp das Experimentallabor«, sagt Michael Köckritz, der die Zeitschrift mit dem Untertitel »Auto. Kultur. Magazin« erfunden hat. »Unser Heft soll als starke Markenpersönlichkeit erlebt werden. Da muss man es nicht drauf angelegen, es jedem recht zu machen.« Willkommen in der Welt der Independent-Zeitschriften.
Großverlage bringen selten Innovatives
Ein Streifzug durch diesen Marktbereich lohnt aus mindestens zwei Gründen. Erstens, weil die Zahl selbstverlegter Hefte steigt, der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) spricht von einer »Gründungsbegeisterung«. Auch junge Kreative, die Digital Natives, die mit dem Internet aufgewachsen sind, entdecken den Reiz gedruckter, in sich abgeschlossener Medien.
Zweitens lohnt ein Blick, weil die wirklich innovativen Magazine nur noch selten aus Großverlagen kommen. Womit hatte der Springer-Verlag zuletzt begeistert, bevor er einen Großteil seiner Zeitschriften an die Funke-Gruppe verkaufte? Wie viel Überraschendes kam von Bauer und Burda? Und war Gruner & Jahrs BEEF! rückblickend wirklich freigeistig und wild – ein Fleischesser-Magazin mit Zeilen wie »Werden Sie zum … König der Würste«?
Magazine, die Neues wagen, erscheinen heute eher im Selbstverlag, auf den Spuren von Vorreitern wie Brand eins und Dummy. So gibt es zum Beispiel Fahrstil, ein Fahrradmagazin, dessen Redaktion sich mehr für Philosophie interessiert als für den Reifendruck. WASD, eine Sammlung kluger Essays über Videospiele. Fleisch, ein österreichisches Gesellschaftsmagazin, das zuletzt titelte »Wer hat diese Katze umgebracht?«, samt passendem Coverfoto. Das Debattenmagazin The European, hervorgegangen aus einer Online-Plattform.
Handwerklich sind diese Hefte auf hohem Niveau. Anhand von Themen, Sprache und Bildqualität lässt sich nicht mehr pauschal sagen, hinter welcher der fast 1.600 deutschen Publikumszeitschriften ein millionenschweres Unternehmen steht. Für ein gutes Magazin reicht oft ein Team mit Leidenschaft, den richtigen Kontakten und einem Mindestmaß an Geschäftssinn. Wenn dann noch eine Marktlücke vorhanden ist – umso besser.
Qualität und Rentabilität Hand in Hand
Wie aus einer guten Idee ein Geschäft wird, zeigt das bereits erwähnte ramp. Michael Köckritz, zuvor Gründer einer Kommunikationsagentur, hatte sich 2007 entschlossen, ein alternatives Auto-Heft zu machen, in bis dato beispielloser Konsequenz. Geschichten und Interviews statt Technik-Tabellen, Kulturtipps, Schriftsteller Wladimir Kaminer als Kolumnist. »Dass so ein Magazin jemanden interessiert, wusste ich ohne Marktforschung«, sagt Köckritz, »die unmittelbare Zielgruppe waren im Kernkonzept zunächst ich und meine Freunde.« Sechs Jahre später hat ramp diverse Branchenpreise gewonnen, ebenso fast 4.000 Abonnenten. 40.000 Exemplare werden pro Heft gedruckt, über 20.000 verkauft, ein Teil davon an Marken, die im Magazin vorkommen. »ramp hat sich von der ersten Ausgabe an selbst getragen«, sagt Köckritz, der mit einem Gründungspartner anfangs 250.000 Euro Privatvermögen aufs Verlagskonto einzahlte. Damit sollten vier Hefte gesichert sein, diese Anlaufzeit war einkalkuliert. Heute finanziert sich ramp je zur Hälfte durch Verkauf und Anzeigen. Ein Drittel des Anzeigengelds bringen Sonderwerbeformen, etwa Strecken, bei denen Kunden vorgeben, um welches Produkt die Redaktion eine Geschichte inszeniert – »mit kreativer Freiheit«, wie Köckritz betont.
Trampelpfade in die Zukunft
Erfolgreiche Gründungen gibt es aber auch abseits der Luxussparte. Nicht immer war der Markteintritt einfach. »Ein Magazin mit dem Namen MUH? Man hat uns nicht ernst genommen«, erinnert sich Nicole Kling. »Viele meinten, wir würden ein Heft über Landwirtschaft machen. Alternativ hielt man MUH für ein Stadtmagazin oder eine Landlust-Kopie.« Dabei hatten Kling und der Musikjournalist Josef Winkler kein Vorbild. Sie wollten ein neuartiges Magazin über Bayern machen, über Land, Menschen, Kultur. Erklärend wie hinterfragend, heimatnah, aber nicht blind patriotisch.
»Im Februar 2010 entschieden wir, eine Nullnummer zu machen: 50 Seiten, 500 Exemplare«, sagt Kling, damals überrascht, wie schwierig es ist, das Konzept anderen verständlich zu machen. »150 dieser Hefte schickten wir Journalisten und potenziellen Anzeigenkunden.« Der Testlauf lohnte sich. Fortan kam kaum noch jemand auf die Idee, MUH mit Gartenmagazinen zu vergleichen. Wie originell das Heft daherkommt, lässt der Themenmix erahnen: Redakteur Winkler packt in dieselbe Ausgabe schon mal Artikel über Neonazis, Gustl Mollath, die Donau, die Spider Murphy Gang und die Augsburger Puppenkiste. Bayern ist mehr als Landidylle.
Seit dem Frühjahr 2011 sind zehn MUH-Ausgaben erschienen, die neuesten haben sich 11.000 Mal verkauft, über ein Drittel per Abo. MUH ist zur Marke geworden. Dabei half sogar das Image eines Investors: Stefan Dettl, Gesicht der angesagten Blasmusik-Truppe LaBrassBanda, zählt zu den Herausgebern. »Fürs Mediale war das ein Vorteil«, sagt Nicole Kling, »nach dem Motto: Bei den guten Sachen, die er sonst macht, kann MUH ja nicht schlecht sein.«
Kenne deine Leser genau
Ohne Promi-Bonus startete im April 2012 Päng!, ein Magazin für junge Erwachsene, entwickelt und veröffentlicht von Josephine Götz. Passend zum Slogan »Für die Wirklichkeit gibt es keinen Ersatz« plädiert das Heft für mehr Abenteurertum im Alltag: Das Themenspektrum reicht vom Interview mit Jimmy Jump, bekannter Fußballstadien-Flitzer, bis zur Bauanleitung für einen Sommerstuhl. Das neueste Cover ziert ein Nackter, der am Seil hängt, »Live and die proudly« als Tattoo auf dem Rücken.
»Mir wurde nahegelegt, mit einer Auflage von 2.000 Exemplaren zu starten«, erzählt Josephine Götz, die sich mit zwei Mitarbeitern Vollzeit um das Magazin kümmert, »ich könnte doch fünf, sechs Bahnhofsbuchhandlungen abklappern und die restlichen Hefte online verkaufen. Das wollte ich aber nicht. Päng! sollte es von Beginn an bundesweit im Bahnhofsbuchhandel geben. Kleiner hätte ich es nicht probiert.« So startete die erste Ausgabe mit 12.000 Exemplaren. Das Ergebnis: Von den 7.000 Heften, die in den Presse-Handel kamen, verkauften sich auf Anhieb fast zwei Drittel, praktisch ohne Werbung. Vier Ausgaben später hat das Magazin rund tausend Abonnenten. Frech, authentisch, ein wenig gegen den Zeitgeist: Päng! scheint seinen Platz auf dem Markt gefunden zu haben, irgendwo zwischen Jugend-, Outdoor- und Do-it-yourself-Zeitschriften.
So wenig verkopft Päng! wirkt, dahinter steckt eine Menge Planung. Ein Dreivierteljahr hat Götz am Konzept gearbeitet, an der Stuttgarter Hochschule der Medien machte sie das Heft zum Thema ihrer Bachelor-Arbeit. Möglichen Vertriebs- und Anzeigenpartnern legte sie später einen Business-Plan vor, auch beim Antrag auf einen Gründerzuschuss halfen diese 30 Seiten.
Wie Götz ihre Zielgruppe kostengünstig erreicht, war der heute 27-Jährigen schnell klar, sie setzte auf das Internet. Noch bevor die erste Ausgabe erschienen war, hatte Päng! 900 Facebook-Fans. Den Druck des Erstlings finanzierte Götz per Crowdfunding, von Privat-Investoren sammelte sie online mehr als 3.600 Euro ein. Die Unterstützer tauchten dafür namentlich im Heft auf, als sogenannte Päng!-Paten. Diese Nähe zur Leserschaft ist bis heute Prinzip: Online bestellte Ausgaben werden mit Herz-Stempel auf dem Umschlag verschickt.
Von der sophisticated Idee …
Thematisch in eine ähnliche Richtung geht The Weekender, wobei hier das Drinnen wichtiger ist als das Draußen. Die Grundidee des »Magazins für Einblicke und Ausflüge« war, dass normale Menschen ihre Wohnungen zeigen. Weil das interessant ist, nicht, weil die Redaktion einen Vorwand suchte, um möglichst viele Kauftipps ins Heft zu packen. Gegenüber anderen Lebensstilmagazinen wirkt The Weekender abgeklärt. Das Magazin strahlt eine gewisse Coolness aus, dank luftigem Layout und großen Bildern, alles auf mattem Papier.
»Wir haben das Heft aus dem Bauch heraus konzipiert, wollten ausprobieren, wie so etwas ankommt« sagt Chefredakteur Dirk Mönkemöller. Business-Plan? »Nie gehabt.« Viele Texte und Fotos landen aus Blogs im Heft, englische Artikel erscheinen ohne Übersetzung. »99,9 Prozent der Leser verstehen das«, sagt Mönkemöller, »es gab erst eine Beschwerde.«
2011 in 3.000er-Auflage gestartet, verkauft sich The Weekender mittlerweile knapp 5.000 Mal pro Ausgabe, das Heft trägt sich damit selbst. Bald werden 7.500 Exemplare gedruckt. »Das ist natürliches Wachsen«, sagt Mönkemöller, auch die Anzeigenkunden seien zunehmend interessierter, trotz vergleichsweise kleiner Auflage. »Die Qualität, die Haptik, die Aufmachung, das überzeugt.« Wichtig sei, dass die Leute das Heft in die Hand bekommen.
Kümmert sich Mönkemöller mal nicht ums Blattmachen oder Anzeigen, arbeitet er als Zeitungslayouter, nach wie vor sein Hauptberuf. Weil es irgendwann zu stressig wurde, hat er den Aboservice seines Magazins ausgelagert. »Die ersten 200 Abonnenten habe ich noch selbst betreut«, sagt er, jetzt bei tausend klappe das nicht mehr. Haben er und Mitherausgeber Christian Schneider mal überlegt, das Heft einem Großverlag anzubieten? »Vielleicht kriegt man den Balance-Akt zwischen Hauptjob und Magazin besser hin, wenn man einen Partner im Rücken hat. Aber wir genießen die Freiheit, machen zu können, was wir wollen. Niemand kann uns reinreden.«
Unabhängigkeit reizt auch Nicole Zepter, ein Nischen-Dasein weniger. Mit The Germans will die Berlinerin schaffen, womit sich Independent-Magazine noch schwer tun: gesellschaftliche Themen setzen. Vermutlich ist das Meinung-Machen noch am ehesten Hoheitsgebiet der Traditionsverlage.
… zur starken Marken-Etablierung
Mit ihrem Gesellschaftsmagazin, im Oktober 2012 gestartet, hat Zepter daher bewusst groß begonnen: Druckauflage aktuell 40.000, das renommierte Bureau Mirko Borsche als Art-Direktion, dazu vergleichsweise bekannte Autoren. Und, klar, wie das Zeit- oder SZ-Magazin hat auch The Germans eine Modestrecke, aber grundsätzlich zählt Relevanz: In der Sommerausgabe etwa ist der NSU-Prozess auf dem Titel, zugespitzt auf die Frage »Wer erschoss Michèle Kiesewetter?«.
Die Hoffnung, dass ihr Heft wahrgenommen wird, ist Zepter und Mitchefredakteur Jan Abele einiges wert. Im Anschluss an die GmbH-Gründung nahm das Team einen Kredit auf. »Nach einem Jahr haben wir sicherlich mehr als 100.000 Euro ins Heft investiert, mal abgesehen vom Verzicht auf Gehalt«, sagt Zepter, »noch tragen sich die Ausgaben nicht selbst.« Man warte auf die Ausgabe, die als erste die 10.000er-Verkaufsmarke übertrifft. Ans Sparen oder gar Aufgeben denkt die Neuverlegerin trotzdem nicht, jetzt, wo sich The Germans von der Idee zur Marke entwickelt hat. Das Heft müsse künftig noch besser werden, meint Zepter, ihr Team brauche zwei Leute mehr. »Und«, dabei wirkt sie besonders sicher, »wir brauchen viel mehr Marketing.« In diesem Satz steckt vielleicht eine letzte, größere Erkenntnis über den Magazinmarkt: Mittlerweile gibt es eine Menge lesenswerter Independent-Hefte.
Es dauert aber noch, bis das jeder weiß.
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