Titelthema: Journalismus mit Abstrichen
Eine angenehme Diktatur
Technologisch ist China ein offenes Land, journalistisch ganz und gar nicht. Ausländische Korrespondenten kämpfen gegen Misstrauen, Einschüchterung, Zensur und – im schlimmsten Fall – die Ausweisung. Bericht einer deutschen TV-Korrespondentin.
von Ariane Reimers
Warum ist es so schwierig, ein paar Kraniche zu filmen, auch wenn die Region international damit wirbt und täglich Hunderte Touristen mit Bussen dorthin gebracht werden? Warum dürfen wir (wenn überhaupt) nur nach einem längeren Genehmigungsprozess auf dem Tiananmenplatz drehen, dem Zentrum Pekings, das jeden Tag von Zehntausenden besucht und unzählbar oft fotografiert wird? Warum versuchen uns Offizielle daran zu hindern, dass wir pittoreske alte Häuser aufnehmen? Ganz zu schweigen von dem Aufwand, den Polizei und Staatssicherheit manchmal betreiben, um ausländische Journalisten daran zu hindern, sich sensibleren Themen zu widmen.
Gleichzeitig sind Dinge möglich, die auf dem Papier unglaublich kompliziert erscheinen: der Dreh in Moscheen, Kirchen, Tempeln »einfach so«, der Besuch einer Abtreibungsklinik; selbst in einer Mine für seltene Erden haben wir schon gefilmt.
Warum bestimmte Dinge tabu sind, andere nicht – auf die meisten solcher Fragen gibt es keine befriedigende Antwort. Das Wichtigste ist die Erkenntnis, dass vieles möglich ist, vieles aber auch nicht. Und dass es manchmal besser ist, wenn man nicht fragt. Denn jede Antwort zwingt jemanden auf chinesischer Seite dazu, Verantwortung zu übernehmen. Andererseits kann das Nicht-Fragen auch einen Dreh scheitern lassen, etwa, wenn man vor Ort erfährt, dass man eine Genehmigungskette hätte einhalten müssen, von der man aber nichts wusste, denn Regeln werden jedes Mal neu und anders ausgelegt.
Zwar dürfen ausländische Journalisten seit 2007 ohne Genehmigung die meisten Provinzen außer Tibet bereisen, um zu berichten. In der Praxis sind aber die Regionen, in denen gerade als sensibel geltende Dinge passieren, häufig tabu oder aber nur sehr eingeschränkt zu bereisen. Unter fadenscheinigen Vorwänden (»Es geht um Ihre Sicherheit«), mit mehr oder weniger deutlichen Drohungen oder schlicht an Checkpoints scheitern dann Reise und Recherche.
Die Kollegen der Printmedien haben es erst mal leichter, da sie nicht so auffällig mit Kamera und Equipment durch die Gegend reisen. Zwar hat die Entwicklung der Technik dazu geführt, dass auch wir TV-Journalisten mit Fotoapparaten und zur Not sogar Smartphones ganz passable Bilder herstellen können. Für ein Nachrichtenstück mag die Ästhetik ja sogar gewünscht sein, aber für eine HD-Dokumentation sind ruhig gedrehte Bilder mit Stativ und einem liebevoll aufgenommenen Atmosphärenton nach wie vor das Maß der Dinge. Spätestens beim Einchecken im Hotel sind aber alle akkreditierten Journalisten gleich – beim Anblick eines J-Visums für Journalisten ist die Rezeption angehalten, früher oder später die Sicherheitsbehörden zu informieren. Unerkannt bleibt man in China nie. Und wenn die Geschichte zu sensibel ist, dann werden Journalisten von Sicherheitskräften oder düster dreinschauenden Schlägertypen auch durchaus schon mal eingeschüchtert. Für uns ausländische Journalisten droht als schlimmste offizielle Sanktion am Ende »nur« eine Ausweisung oder Nicht-Verlängerung des Visums, für unsere chinesischen Mitarbeiter steht im Zweifel mehr auf dem Spiel. Deswegen müssen wir bei jeder schwierigen Recherche abwägen, …
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