Jubiläum: 15 Jahre Message
Kein Platz für Wortgeklingel
Seit 15 Jahren hält Message Qualitätsjournalismus hoch, beobachtet
kritisch Medien und vermittelt zwischen Theorie und Praxis. Ein Rückblick auf
die erste Ausgabe vom Sommer 1999 – als alles begann.
von Michael Haller
Das waren starke Worte, wie sie kein deutscher Reporter sagen würde: »To miss covering a war for me is like a soccer player missing his team’s championship match.« Sie kamen von Peter Arnett und lieferten den Einstieg für das erste Interview, das wir im Namen von Message führten. Arnett, damals 64 Jahre, war der zu jener Zeit wohl berühmteste, auch umstrittenste Kriegsreporter.
Während 13 Jahren berichtete der aus Neuseeland stammende Arnett als AP-Korrespondent aus Vietnam (seine Reportagen wurden mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet), dann aus Nordafrika und Nahost. Als die US-Streitkräfte 1991 zum Auftakt des Golfkriegs Bagdad bombardierten, brachten sich die westlichen Korrespondenten rechtzeitig in Sicherheit – bis auf Peter Arnett, der sich plötzlich auf der Seite des Feindes wiederfand. Viele Amerikaner zu Hause blickten völlig irritiert auf ihren Bildschirm: Sie sahen ihn mit hochgeschlagenem Mantelkragen wie Humphrey Bogart in »Casablanca« mitten in der Nacht auf einem Hoteldach in Bagdad stehen, wie er live die Lage schildert, während hinter ihm der Kometenschweif der Marschflugkörper aufleuchtet, ehe die Geschosse irgendwo in der Stadt einschlagen. Monate zuvor war Arnett als News-Chef beim jungen TV-Sender CNN eingestiegen; seine Bagdad-Bilder machten den Nachrichtenkanal über Nacht weltberühmt.
Nun, acht Jahre später, ging es um den Kosovo. Aus den Bürgerkämpfen war ein Krieg der Nato-Staaten gegen das sich auflösende Jugoslawien geworden. Tag und Nacht explodierten US-amerikanische Raketen und Marschflugkörper in den Städten und zerstörten Krankenhäuser, Schulen und Baudenkmäler. Nato-General Wesley Clark feierte den Luftkrieg als grandiosen Erfolg – fast widerspruchslos, weil die westlichen Journalisten aus der Perspektive der Nato und der rot-grünen Regierung Schröder/Fischer berichteten. Kriegsreporter, die das Risiko auf sich nahmen, das Kriegsgeschehen (auch) von der anderen Seite zu beobachten, fehlten. Auch Arnett fehlte – und dies war der Aufhänger für unser Message-Interview. »A war reporter has to believe that his role is essential in a democracy, that the public has a right to know what is happening in a war theater«, sagte er uns. Und meinte es so, auch wenn es pathetisch klang.
Jenes Gespräch gehörte zu unserem Themenschwerpunkt »Krieg«, mit welchem wir die Parteilichkeit, den blinden Fleck in der journalistischen Berichterstattung aus unterschiedlichen Perspektiven thematisierten. Zum Thema gehörte auch das von Christoph Fasel und Kathrin Kommerell exzellent geschriebene Porträt des Fotografen Jay Ullal, der während dreißig Jahren für den Stern aus den Kriegs- und Krisengebieten der Erde berichtete: bildstarke Parteinahmen für die Opfer der Kriegstreiber in Bosnien, Ruanda, Bangladesch, dem Libanon und Syrien. Es sind, wenn wir an Syrien denken, Zeugnisse der Vernichtungswut von ungebrochener Aktualität.
Im Krieg, wenn sich komplexe Vorgänge zu einer bipolaren Konfrontation verdichten, zeigt sich das strukturelle Rollenproblem des Journalismus in glasklarer Deutlichkeit: Gibt es den neutralen Beobachter, der quasi überparteilich beobachtet und berichtet? Auch wenn die meisten Lehrbücher und Redaktionschefs dies behaupten, so sind aus medienwissenschaftlicher Sicht Fragezeichen zu setzen – und darum Grund, die Bedingungen journalistischer Wirklichkeitsbeschreibungen zu diskutieren und transparent zu machen. Diese Aufgabe übernahm in jener ersten Message-Ausgabe der Mainzer Medienwissenschaftler Michael Kunczik (»Wie man Feindbilder aufbaut«).
Journalistische Qualität
Durchsichtig machen, welche Funktionen der Journalismus in modernen Gesellschaften wahrnimmt, welche Aufgaben ihm zugeschrieben werden und welche Rollen er tatsächlich spielt: Dies war der leitende Gedanke, der uns – eine Gruppe Journalistikwissenschaftler, Reporter und leitender Redakteure in meinungsführenden Medienhäusern (siehe Kasten: der internationale Beirat von Message 1999) – Ende der 1990er Jahre zusammenführte. Ich erinnere mich noch an den schon wärmeren Frühlingsabend in einem Restaurant vis-à-vis der Leipziger Nikolaikirche. Wir sprachen über das Rollenbild des Journalismus, spielten verschiedene Titelnamen durch (bis Message als der bestgeeignete übrig blieb) und schrieben das Konzept einer künftigen Zeitschrift fest, die leisten sollte, was die damaligen Verbandspublikationen nicht taten: die normativ begründeten Qualitätsansprüche an den Journalismus gegen ständische Interessen und gegen die Trends der Kommerzialisierung hochzuhalten; mit der Medienkritik stets auch herausragende Arbeiten als »Best Practice« vorzustellen. Und, in Deutschland besonders heikel, die Sachkompetenz der Medienwissenschaft zur Analyse aktueller Trends nutzbar zu machen und so umzusetzen, dass sie für Praktiker einen Nutzwert gewinnen – wie auch umgekehrt: zu aktuellen Problemen der Medienpraxis sachkompetente Wissenschaftler beizuziehen.
Ein damals aktuelles Thema war zum Beispiel der im Internet grassierende Anglizismus, der zum Jargon auch in den Printmedien mutierte. Was ist davon zu halten? Die im ersten Heft publizierten Diskussionsbeiträge von sechs Sprach- und Medienwissenschaftlern lesen sich auch 15 Jahre später mit Gewinn (Message 1/1999, Seite 100-105). Wobei wir schon damals die Risiken und Nebenwirkungen dieser Theorie-Praxis-Verkoppelung zu spüren bekamen: Nur wenige der Hochschullehrer waren bereit (oder in der Lage), sich in ihr Zielpublikum – Journalisten und Medienmacher – zu versetzen und attraktiv und verständlich zu schreiben. Vielen Forschern gefiel unser sanfter Zwang zum Popularisieren. Beispielsweise zeigte – in der noch heute lebendigen Rubrik »Forschung« – eine Medienwissenschaftlerin auf, dass die Bewertung der wirtschaftlichen Großwetterlage in der Presse mit der Meinung der Erwachsenenbevölkerung zur Zukunft der Wirtschaft synchron verläuft. Ihr Fazit lautete damals: »Rezipienten und Massenmedien orientieren sich aneinander, ohne dass man ein Ursache-Wirkung-Verhältnis ausmachen kann.« Es betrifft die aktuellen Mainstreamprozesse vielleicht noch stärker als damals.
Andere Wissenschaftler hatten mit dem Erfordernis, ihre Befunde allgemeinverständlich rüberzubringen, größere Probleme. Unvergessen blieb mir ein über Wochen laufender Mailverkehr mit einem Professorenkollegen, dessen Text im Wissenschaftsjargon abgefasst (aufgeblasen) war und im Zuge unserer Bearbeitung seine gedankliche Trivialität offenbarte. Am Ende zog der Kollege den Text zurück: Wir hätten seinen Gedankengang zerstört.
Aber auch in entgegengesetzter Blickrichtung war es nicht immer ganz einfach. Natürlich konnten wir nur bescheidene Honorare zahlen und überzeugten die Autoren, auch für wenig Geld über ihr existenzielles Thema zu schreiben: über die Zukunftssicherung dieses unglaublich spannenden, ungeheuer wichtigen Berufs. Das hat auch fast immer geklappt. Die üppige Liste der Message-Autoren (siehe Seite 50-51) spiegelt weniger Show-Prominenz als berufliche Kompetenz, weniger Wortgeklingel als solide Analyse. Es gab aber auch Journalisten, die von dicken Brettern sprachen, die sie mit ihrem Beitrag bohren wollten. Und dann waren es doch sehr dünne Latten. Und gelegentlich nur Copy-and-paste. Unser Budget erlaubte keine Geschenke, was manchen dieser Autoren verdross. In einem Falle trafen wir uns vor Gericht wieder; und zu unserer Erleichterung wurde per Urteil bestätigt, dass für Copy-and-paste-Texte, die bereits online standen und die wir nicht drucken, auch kein Ausfallhonorar zu zahlen ist.
Der (selbst-)kritische Blick
Scharf beobachtete Medienmache: Vom ersten Heft an wollten wir den real existierenden Journalismus kritisch in den Blick nehmen und nach Maßgabe unserer Qualitätsvorstellungen durchleuchten und beurteilen – ein bisschen nach dem Muster von David und Goliath. Was den von uns etwas stiefmütterlich bedachten Rundfunkjournalismus betrifft, konnten wir von Anfang an Fritz Wolf für seine fernsehkritische Kolumne »Wolf sieht fern« gewinnen. Zum Printjournalismus wussten wir selbst genug zu sagen: Insidergeschichten aus Redaktionen, detailreiche Blattanalysen, Berichte über redaktionelle Fehlentscheidungen – und eine luzide Sprach-/Stilkritik durch Armin Sellheim und E. A. Rauter.
Warum wird man Ressortchef, dann Chefredakteur? Auf welche Qualifikationen kommt es an, um den Medienwandel zu verstehen und den heute sogenannten Changeprozess crossmedial zu steuern? Wir haben dieses Thema später dann nur noch mit spitzen Fingern angefasst, weil wir merkten, dass doch viele Redaktionschefs in Deutschland auf Manöverkritik eher beleidigt reagieren, offenbar, weil ihnen, spitz gesagt, die eigene Eitelkeit im Wege steht. Wenn ich meinen Aktenordner mit Korrespondenzen der vergangenen 15 Jahre durchblättere, begegnen sie mir wieder, die pseudo-coolen, doch im arroganten Ton abgefassten Beschwerdebriefe deutscher Chefredakteure. Es war nicht nur Mangel an Selbstreflexion, der irritierend wirkte, sondern auch deren Weigerung, sich mit dem Wandel der Medienfunktionen praktisch zu beschäftigen und Konsequenzen zu ziehen. Trotz anhaltendem Reichweitenschwund hielten viele Blattmacher an der Überzeugung fest, ihr persönliches Bauchgefühl sei Garant für erfolgreichen Journalismus.
Pulitzer-Preisträger berichten
Selbstverständlich nährt sich guter Journalismus nicht allein aus Funktionswissen plus Führungsqualität plus redaktioneller Ausstattung. Maßgebend ist auch das, was man den journalistischen Biss nennen mag, verbunden mit handwerklichem Können und einem Riecher für Vorgänge, die üble Gerüche verbreiten (selten stinkt es ja schon gleich zum Himmel). Die Arbeitsweise der aufdeckenden Rechercheure wie auch der mit Tiefenschärfe schreibenden Reporter in handwerklicher Hinsicht durchsichtig und nachvollziehbar zu machen: auch dies sollte Message leisten. Bereits in der ersten Ausgabe konnten wir mit dem exklusiv für uns verfassten Rechercheprotokoll des Pulitzer-Preisträgers Dan Keating (Miami Herald) die »Best-Practice«-Rubrik starten, die herausragende journalistische Leistungen als Service zeigt. In der ersten Ausgabe hatten wir zudem das Rechercheprotokoll des Wächterpreisträgers Detlef Drewes und die von Hermann Schreiber verfasste Begründung für die mit dem Kisch-Preis gefeierte Reportage von Birk Meinhardt (Süddeutsche Zeitung). Das hatte einen schönen Effekt: Unsere Idee, das Journalistenhandwerk anhand exzellenter Arbeiten nachvollziehbar zu machen, haben andere übernommen – ein Service, der gewiss der Journalistenausbildung zugutekommt.
Kooperation über Grenzen hinweg
Pulitzer-Preise, Arnett-Gespräch, die PR-Kampagnen der Nato im Kosovokrieg und CNN als weltweit operierende News-Maschine: Diese Themen sollten auch zeigen, dass Message die mit der Globalisierung verbundenen Probleme in den Fokus nimmt. Im Frühjahr 1999 vereinbarten wir die Kooperation mit europäischen Fachzeitschriften (siehe Impressum). In den USA hatte der umtriebige Rechercheur und Blattmacher Steven Brill ein Jahr zuvor das Magazin Brill’s Content erfunden. Seine Idee: Investigativ recherchierende Reporter sollten die großen Content-Konzerne mit ihren Akteuren, Stars und Sternchen durchleuchten und dem breiten Publikum zeigen, wie die Meinungsfabriken des Medienzeitalters funktionieren. Brill schien genau der richtige Partner für uns zu sein.
Christoph Fasel, damals Chefredakteur von Reader’s Digest, nutzte eine New-York-Reise, um mit Brill über Message zu sprechen. Es klappte, Brill war mit der Kooperation (Artikelaustausch) einverstanden. Und so kamen wir zu der erwähnten exzellenten Story über die News-Maschine CNN. Und auch zu einer Analyse über ein damals völlig neues Thema: über Strategien der staatlichen Medienstellen, via Internet die Enthüllungen der Kriegsreporter zu konterkarieren. »Der Kosovokrieg hat gezeigt, dass die Mittel des klassischen Journalismus weiterhin taugen, um klarzumachen, worum es geht«, lautete die beruhigende Bilanz des renommierten US-Medienjournalisten Jon Katz. Sie hielt nicht lange vor.
Übrigens nahm Brill sein Magazin knapp zwei Jahre später vom Markt – mangels Erfolg. Weder die breite Masse des Publikums noch die Werbewirtschaft interessierten sich für seinen Blick hinter die Kulissen der Medienmaschinerie. Und die Zielgruppe der Journalisten? Die fand Mr. Brill viel zu klein für sein großes Projekt. Message indessen ist, was die Zielgruppe betrifft, weiterhin bescheiden: Sie bleibt eine von Drittmitteln abhängige Fachzeitschrift.
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