#nr20 | Rechtsextremismus
Beschimpfungen, Schläge, Morddrohungen
Angriffe auf Journalist*innen häufen sich und stellen eine Bedrohung für die Pressefreiheit dar. Ist der Staat gefordert?
von Sharifa Braimah
Mehrere Attacken in jüngster Vergangenheit deuten darauf hin, dass die Gewaltbereitschaft gegen Journalisten*innen steigt. Diese Tendenz wird durch eine aktuelle Studie der Universität Bielefeld bestätigt. Von 322 befragten Journalist*innen gaben darin 16,2 Prozent an, in ihrem Berufsleben schon einmal selbst körperliche Gewalt erlebt zu haben. Die Mitautoren der Studie, Yann Rees und Michael Papendick vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG), haben festgestellt, dass die Gewaltbereitschaft häufig von der rechten Szene ausgeht. Genau wie Geflüchtete, Personen mit Migrationshintergrund oder einer anderen politischen Meinung würden auch Journalist*innen von Rechtsextremen als Feindbilder angesehen, erklären die Bielefelder Wissenschaftler.
Wie gehen Journalist*innen mit Gewalt um?
Besonders freie Journalist*innen sind gezwungen, eigene Schutzmaßnahmen zu treffen, da sie selten Unterstützung eines Medienhauses erhalten. Christian Fuchs recherchiert seit 20 Jahren – erst frei, später dann als Reporter für Die Zeit – in der rechten Szene. Er weiß aus eigener Erfahrung: „Psychische, verbale und auch physische Gewalt haben definitiv zugenommen.“ Die Gewalt ist allgegenwärtig. Regelmäßig erhält Fuchs Morddrohungen. Um von Rechtsextremisten nicht gefunden zu werden, musste er seine private Wohnadresse beim Einwohnermeldeamt sperren lassen. Der Prozess ist jedoch langwierig, denn es müssen konkrete Drohungen als Beweis vorgelegt werden, die eine Sperre rechtfertigt, weiß auch die freie Journalistin Andrea Röpke, eine der drei diesjährigen Leuchtturm-Preisträger*innen. Röpke setzt sich auch dann mit dem rechten Milieu auseinander, wenn es bei anderen Medien gerade nicht auf der Agenda steht. Auch sie bekommt Morddrohungen und hat Einschüchterungen bis hin zu Schlägen erlebt.
Ein Problem sieht Röpke beim Zusammenspiel zwischen Polizei und Presse. Regelmäßig behindere die Polizei das Fotografieren und Filmen im Rahmen der Berichterstattung. Sie wirft einem Großteil der Beamt*innen vor, nicht ausreichend mit dem Presserecht vertraut zu sein, und fordert polizeiinterne Schulungen auch zur Rolle der Medien in einer Demokratie.
Politik und Polizei müssen handeln
Regelmäßig würde sich die Polizei vom Geschrei rechter Demonstrant*innen beeinflussen lassen, wonach Journalist*innen sie nicht fotografieren dürften. § 23 des Kunsturhebergesetzes besagt etwas anderes. Nach Meinung Röpkes sollte sich die Politik klarer positionieren und Journalist*innen unterstützen, indem tätliche Übergriffe tatsächlich geahndet werden.
„Polizei und Medien stehen auf dem Boden desselben Grundgesetzes, das muss allen Beteiligten bewusst sein“, betont Cornelia Berger, Geschäftsführerin der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju). Gemeinsam mit hunderten Journalist*innen, Redaktionen und Verbänden unterstützt die dju die 2019 gestartete Initiative „Schützt die Pressefreiheit!“, die unter anderem an die Politik appelliert, die Verfahren für Auskunftssperren zu vereinfachen sowie verpflichtende Schulungen von Polizist*innen für den Umgang mit Pressevertreter*innen einzuführen. Auch Andrea Röpke setzt sich für einen Dialog zwischen Polizei und Presse ein und erhofft sich eine eindeutigere Haltung in Bezug auf freie Medienberichterstattung. Sie sagt: „Ich glaube, es wird erkannt, dass es starke Verständnisprobleme innerhalb der Polizei gibt, was die freie Medienberichterstattung betrifft.“
25. September 2020