#nr22 | Krisenberichterstattung | Sicherheit
Allein im Ausland (12. Oktober 2022)
In Problem- und Gefahrensituationen können freie Auslandskorrespondent*innen nur wenig Hilfe von Redaktionen erwarten.
von Irina Finke
Manchmal kommt jede Hilfe zu spät. „Wir hatten in der Vergangenheit den Fall eines Kollegen, der im Iran einen medizinischen Notfall hatte. Da hat der Versicherungsschutz nicht gereicht, um ihn schnell nach Deutschland zu bringen“, erzählt Leonie March, Vorstandsvorsitzende des Netzwerkes Weltreporter. Die Mitglieder griffen in ihr eigenes Portemonnaie, um ihrem Kollegen zu helfen. Doch der Mann verstarb, bevor die Hilfe greifen konnte. „Beim Versicherungsschutz von freien Journalist*innen ist oft nicht geklärt, wer einen rausholt, wenn es mal sein muss.“ Viele Versicherungen würden Krisen- und Kriegsgebiete von vornherein ausschließen. Auf die auftraggebenden Medien sei nicht immer Verlass, berichtet March. „Es ist schon passiert, dass Redaktionen gesagt haben: Wir nehmen den Text gerne, aber wir können dir nicht weiterhelfen.“
Weil dies kein Einzelfall ist, sondern System hat, haben die Freischreiber ihren diesjährigen Höllepreis allen Redaktionen „gewidmet“, die sich zu wenig um Freie im Ausland kümmern: „sie schlecht bezahlen, sie ausbooten und knebeln.“
Kampf um Versicherungsschutz
Freie Journalist*innen hätten häufig Nachteile gegenüber ihren festangestellten Kollegen, meint auch Christopher Resch, Pressereferent bei Reporter ohne Grenzen. Die Freelancer*innen müssten bei den Redaktionen um ausreichend Versicherungsschutz kämpfen, doch auch in anderen Bereichen bräuchten freie Kolleg*innen mehr Hilfe. „Bei der Unterstützung durch die Redaktionen kann es schon um Schutzausrüstung gehen, also schusssichere Westen und Helme, oder auch Erste-Hilfe-Pakete.“ Es fange aber bereits davor an, erklärt Resch, zum Beispiel mit Sicherheitstrainings. Fest angestellte Journalist*innen bekommen diese Dinge meistens gestellt, freie Kolleg*innen müssten Trainings und Ausrüstung selbst organisieren und bezahlen.
Oliver Eberhardt, einer der Vorstandsvorsitzenden von Freischreiber, findet, dass die Verantwortung der Redaktion nicht erst dann beginnen sollte, wenn man im Ausland in Schwierigkeiten gerät. Medien würden leichtfertig Journalist*innen ohne hinreichende Erfahrung in Auslandseinsätze schicken, berichtet Eberhardt. „Man kann, egal wie gut der Pitch ist, niemanden ohne Sicherheit und ohne jegliche Erfahrung in ein Kriegsgebiet schicken und dann davon ausgehen, dass das gut gehen wird.“ Häufig seien es junge, motivierte freie Journalist*innen, die sich in Krisengebieten in Gefahr begäben.
Tausende Euro
Carsten Stormer, freier Journalist und Filmemacher, war zu Beginn seiner Karriere einer von ihnen. Er habe kaum genug verdient, um ein wirkliches Einkommen zu haben, erzählt er. Geld für extra Sicherheitsmaßnahmen habe es meistens nicht gegeben. „Rückblickend würde ich manche Sachen vielleicht anders machen, aber man war jung und hatte kein Geld, und dann macht man es entweder nicht oder unter den Bedingungen, die es dann halt sind.“ Als Journalist reiste Stormer unter anderem auf inoffiziellem Weg nach Syrien, Myanmar und in den Südsudan ein, um von dort zu berichten. In solchen Fällen unerlässlich ist eine gründliche Erkundung der Risiken vor Ort, meint Stormer.
„Man sollte sich in den Gebieten gut auskennen und das Finanzielle vorher gut kalkulieren“, betont auch Eberhardt. Wenn er einen Auftrag erhält, rechnet er genau aus, wie viel es kosten wird, seine Sicherheit während der Arbeit im Krisengebiet zu garantieren. Fahrer*innen, Übersetzer*innen, lokale Sicherheitsexpert*innen und Producer*innen, die bei Recherchen helfen und Kontakte vermittelt – da kommen schnell Tausende Euro zusammen. In seine Kalkulationen baut er immer noch einen Puffer ein, der greift, wenn mal etwas schiefgeht, erzählt der Nahost-Reporter. Wenn dieser Puffer aufgebraucht sei, müsse das Geld, das seine Sicherheit garantiere, aus dem eigenen Honorar genommen werden.
Wer hilft?
Die freie Journalistin Birgit Svensson hat selbst Erfahrungen mit gefährlichen Situationen im Ausland. Bei einer Recherche kürzlich in Ägypten geriet ein Mitglied ihres Teams in Schwierigkeiten. Aus rechtlichen und aus Sicherheitsgründen will sie nicht berichten, was genau geschehen ist, doch leider ist dies kein Einzelfall. Zwischen 2000 und 2021 saßen laut Recherchen des „Committee to Protect Journalists“ (CPJ) meist mehr als 100 Journalist*innen pro Jahr wegen ihrer Arbeit im Gefängnis. Oft waren es sogar mehr als 200.
Doch wer hilft, wenn freie Journalist*innen im Ausland in Gefahr geraten? Laut Svensson können die Redaktionen in Deutschland wenig tun. „Da müssen diejenigen ran, die die Gegebenheiten vor Ort kennen.“ Auftraggeber*innen könnten häufig das volle Ausmaß der Gefahren, in die sich die freien Journalist*innen im Ausland begeben, nicht einschätzen. Bei Entführungen oder Verhaftungen können Kolleg*innen sich an die lokale deutsche Botschaft oder das Auswärtige Amt wenden. Diese versuchen dann, mit den Autoritäten oder Täter*innen vor Ort zu verhandeln.
„Wir könnten uns eine Kooperation zwischen Redaktionen, Organisationen und dem Auswärtigen Amt vorstellen, über die dann eine Hotline eingerichtet wird, über die man 24 Stunden am Tag Hilfe bekommen kann“, meint March. Ein solches Angebot ist Zukunftsmusik.