#nr22 | Klimajournalismus

Es fehlt an Grundwissen über den Klimawandel (12. Oktober 2022)

Die Berichterstattung über den Klimawandel wird seiner Tragweite nicht gerecht. Lässt sich das ändern?

von Alyona Gula

1,5 Grad. Das klingt nicht nach viel und schon gar nicht dramatisch. Ist es aber, wenn man auf den jüngsten Bericht des Weltklimarates IPCC vertraut. Dass die Reaktionen darauf eher unzureichend erscheinen, ist sicher nicht allein die Schuld der Medien. Aber auch ihnen ist es bislang nicht gelungen, die Tragweite des globalen Phänomens adäquat abzubilden und so die Öffentlichkeit von der Dringlichkeit des Problems zu überzeugen. Journalisten seien meist sehr gut darin, aktuelle Ereignisse, Krisen oder Extremwetterereignisse zu beschreiben, sagt der Hamburger Professor für Klima- und Wissenschaftskommunikation Michael Brüggemann. „Der Klimawandel ist aber kein Ereignis.“ Er sei zu langsam für den Journalismus und bleibe deshalb unter dem Radar.

Immer die gleichen Expert*innen

Die wohl größte Herausforderung für den Klimajournalismus ist die Komplexität des Themas. Neben den naturwissenschaftlichen Zusammenhängen umfasst es verschiedene Bereiche wie Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und sogar individuelles Handeln. Zudem fehle vielen Journalist*innen ein Basiswissen über das Klima, erklärt der Klimaforscher Stefan Rahmstorf von der Universität Potsdam in einem Podcast. „Je weniger sich Journalisten mit einem Thema auskennen, umso mehr laufen sie immer zu den gleichen Experten“, ergänzt Kommunikationswissenschaftler Brüggemann von der Universität Hamburg. Man brauche dieses Basiswissen auch, um die komplexen Zusammenhänge für das Publikum verständlich darzustellen. „Man muss das Thema sehr gut verstehen, um es vereinfachen zu können“, so Brüggemann.

Außerdem führt der journalistische Reflex, immer auch die Gegenseite anzuhören, mitunter zu einer „false balance“, einer verzerrenden falschen Ausgewogenheit. „Man gibt extremen Stimmen das Wort, anstatt relevante Stimmen zu zitieren“, erklärt Brüggemann das Phänomen. Werden etwa ein*e Leugner*in des Klimawandels und ein*e Wissenschaftler*in in eine Talkshow eingeladen, macht es den Eindruck, als hätten beide Positionen den gleichen Stellenwert. Dabei repräsentiert die eine Person die überwältigende Mehrheit aller Klimaforschenden, während die andere Person für eine eher kleine, oft laienhafte, dafür aber umso lautere gesellschaftliche Gruppe steht.

Es tut sich etwas

Viele Journalist*innen haben das Problem erkannt. Es tut sich etwas. In Frankreich unterzeichneten jüngst mehr als 1.200 Journalist*innen eine Charta für besseren Klimajournalismus. In Deutschland hat sich bereits 2021 das Netzwerk Klimajournalismus gegründet. Konkrete Verbesserungsvorschläge wurden kürzlich in einem Correctiv-Workshop erarbeitet: So sollten die Auswirkungen des Klimawandels nicht nur anhand wissenschaftlicher Fakten, sondern persönlicher Geschichten nachvollziehbar gemacht werden. Auch sollten lieber einzelne Aspekte herausgegriffen werden, anstatt die Komplexität des Themas ganz abbilden zu wollen.

Der Medienmanager, Journalist und Mitgründer des „Oxford Climate Journalism Network“, Wolfgang Blau, warnt davor zu glauben, dass die Antwort auf jedes Problem, das jemals existiert habe, darin bestehe, mehr Journalismus darüber zu produzieren. Journalist*innen stellten sich selten die Frage, „ob ihr Publikum überhaupt das notwendige Grundwissen über den Klimawandel hat, um den für sie produzierten Journalismus zu verstehen“, sagte Blau in einem Vortrag an der Universität Oxford.

Auf der re:publica-Konferenz 2022 plädierte Blau auch für die Förderung eines Klimagrundwissens. „Dieses Grundwissen zu vermitteln ist der mit Abstand wichtigste journalistische Bildungsauftrag dieser nächsten Jahre.“ Natürlich sei die öffentliche Aufklärung nicht allein Aufgabe des Journalismus, so Blau, aber er spiele schon eine entscheidende Rolle in dem Prozess.

#nr22 | Lokaljournalismus

Gemeinsam stark (12. Oktober 2022)

Recherchekooperationen bringen immer wieder Missstände ans Licht. Wie kann Zusammenarbeit über Redaktionsgrenzen hinweg auch im Lokaljournalismus funktionieren?

von David Hammersen

Als Jonathan Sachse und sein Team vor vier Jahren Correctiv.Lokal aufbauten, stand dahinter die Idee, den Erfolg von Recherchekooperationen wie dem Bureau Local aus Großbritannien nach Deutschland zu übertragen. Mittlerweile initiiert Correctiv gemeinsam mit mehr als 1.200 teilnehmenden Journalist*innen investigative und datenbasierte Recherchen, die sowohl im Lokalen als auch bundesweit von Bedeutung sind. In den vergangenen Jahren berichteten die Mitglieder des Netzwerkes über Wohnungsmärkte, häusliche Gewalt oder Parteispenden. „Vor den Recherchen gibt es zwei mögliche Startrichtungen: Entweder Correctiv bringt ein Thema in das Netzwerk ein oder die Mitglieder kommen mit eigenen Ideen auf uns zu“, erklärt Sachse.

Sobald ein relevantes Thema definiert worden ist, trägt die Redaktion von Correctiv.Lokal wichtige Daten zu einem Rechercheschwerpunkt zusammen. In den sogenannten Rezepten werden Hintergrundinformationen, State­ments von Expert*innen, potenzielle Gesprächspartner*innen, relevante Dokumente und Ideen für Rechercheansätze über einen Newsletter an die Journalist*innen versendet.

Neue Recherchewege aufzeigen

Während der Recherche stellt Correctiv zusätzlich technische Infrastruktur zur Verfügung. Bei der Berichterstattung zu lokalen Wohnungsmärkten nutzten alle teilnehmenden Medien zum Beispiel ein Upload-Portal, auf dem Bürger*innen ihre Mietverträge hochladen konnten. Die gesammelten Daten wurden im Anschluss auf einer Plattform mit dem gesamten Netzwerk geteilt. Die Veröffentlichungen der Recherchen wurden von den Mitgliedern abschließend eigenständig umgesetzt.

Trotz der umfangreichen technischen und inhaltlichen Unterstützung durch Correctiv nehmen einige Mitglieder nur an ausgewählten Recherchen des Netzwerks teil. Benjamin Piel, Chefredakteur des Mindener Tageblatts, nennt einen möglichen Grund: „Ich glaube, dass nicht jedes Thema inhaltlich immer zu allen Lokalredaktionen passen kann.“ So sei die von Correctiv angestoßene Recherche zum Fachkräftemangel beim Mindener Tageblatt beispielsweise gar nicht erst angelaufen, weil die Redaktion ohnehin tagtäglich über das Problem berichte.

Gerade bei diesen wiederkehrenden Themen wolle Correctiv.Lokal seine Mitglieder noch mehr unterstützen, erklärt Sachse. Ziel sei es, den Lokalredaktionen durch den datenbasierten Ansatz auch bei altbekannten Themen neue Recherchewege anzubieten.

Voneinander profitieren

Leonie Rothacker recherchierte für die Stuttgarter Zeitung im Correctiv-Verbund. Ihrer Ansicht nach kommt das Konzept des Netzwerks besonders dann an seine Grenzen, wenn Themen von nationaler Bedeutung im Lokalen aufgrund von fehlenden Zahlen nur schwer umsetzbar sind: „Bei meiner Recherche zu häuslicher Gewalt gab es auch auf lokaler Ebene ausreichend Daten – das hat besser geklappt als bei den intransparenten Parteispenden.“

Die Lokaljournalismus-Forscherin Wiebke Möhring von der TU Dortmund (siehe Kasten) ist der Meinung, dass Netzwerke gerade bei solchen Rechercheproblemen eine Hilfe für die Redaktionen sein können: „In der Zusammenarbeit der Mitglieder kann ein Austausch zur bestmöglichen Umsetzung und zu Fortschritten der Recherchen entstehen, durch den die Journalisten voneinander profitieren können.“ Besonders im Hinblick auf die Sparmaßnahmen und den Personalabbau vieler Verlage sei die Zusammenarbeit der Redaktionen auf lange Sicht unabdingbar. Möhring glaubt, dass der Lokaljournalismus „ohne Kooperation und tiefgehende Recherchen in Zukunft einfach nicht denkbar ist“.

#nr22 | Klimajournalismus

Klimakrise vor Ort (12. Oktober 2022)

Wie Lokaljournalist*innen den Klimawandel erklären können

von Steven Vorphal

Wetterbedingte Naturkatastrophen haben weltweit deutlich zugenommen. Egal ob Waldbrände in Kalifornien oder Überschwemmungen in Australien: Deutsche Medien berichten darüber. Sie übersehen dabei jedoch häufig, dass der Klimawandel bereits vor der eigenen Haustür stattfindet.

Klimareporterin Gesa Steeger arbeitet seit Februar für Correctiv.Klima und will das ändern. Gemeinsam mit zwei Kolleginnen unterstützt sie Lokalredaktionen bei Klimathemen. „Wir versuchen Lokaljournalist*innen in diesen Recherchen zu unterstützen, weil im Lokaljournalismus nicht immer die Zeit und Ressourcen für lange Recherchen da sind“, sagt Steeger. Correctiv.Klima übernehme Anfragen bei Behörden und arbeite investigativ. So wie bei ihrer Recherche zum Thema Grundwasserknappheit. „Wasser ist bereits häufig ein Thema vor deutschen Gerichten“, sagt Steeger und nennt ein Beispiel: „Landwirte und Naturschützer aus Niedersachsen klagen, weil ein Wasserverband aus Hamburg in der Region mehr Wasser fördern möchte, und die Kläger befürchten, dass das entnommene Wasser der Natur und auf den Feldern fehlen könnte.“ Oder es seien Kommunen, die vor Gericht gehen, weil eine Fabrik zu viel Wasser aus der Region nehme, wodurch die Grundwasserstände sänken.

Ist das Wetter normal?

„Wir haben die Rechercheergebnisse für jedes Bundesland zusammengefasst und den Lokalen zur Verfügung gestellt, damit sie feststellen können, welche Konflikte es in ihrer Region gibt“, sagt Steeger. Die Idee hinter diesem Projekt solle weiter ausgebaut werden, um gute Klimarecherchen in die Zeitungen zu bringen, denn „Klima“ finde auf jeden Fall lokal statt. „Es hört sich immer so abstrakt an, das Wort Klima oder Klimakrise, aber tatsächlich sind die Auswirkungen in Deutschland überall sichtbar“, sagt Steeger. Felder und Wälder seien immer häufiger verdorrt und Badeseen ausgetrocknet. Hier liege eine Chance: „Lokalredaktionen sind die Ersten, die die Antworten liefern können, da sie eben vor Ort sind. Und es ist wichtig, dass man die Menschen mit konkreten lokalen Beispielen mitnimmt“, zeigt sich Steeger sicher.

Wie das gelingen kann, demonstriert Simon Koenigsdorff von der Stuttgarter Zeitung (StZ) mit der „Klimazentrale Stuttgart“: „Im Wesentlichen ist es ein Datentool, das wir gebaut haben, um die Grundfrage zu beantworten, ob das Wetter gerade im Vergleich zu früher eigentlich normal ist.“ Hierzu werden aktuelle Wetterdaten mit Langzeitmessreihen von Wetterstationen in der Region Stuttgart verglichen und Normalbereiche für Temperatur und Niederschlag definiert. Als Referenzzeitraum dienen die Jahre 1961 bis 1990, da sie vergleichsweise wenig vom menschengemachten Klimawandel betroffen waren. „Damit versuchen wir, soweit es eben möglich ist, mit einem automatischen Tool die Verbindung zwischen aktuellem Wetter und Klimakrise hinzubekommen“, so Koenigsdorff. Momentan werden rund 600 Postleitzahlgebiete in und um Stuttgart herum mit 14 Wetterstationen abgedeckt. Zwölf Wetterstationen gehören dem Deutschen Wetterdienst (DWD) und jeweils eine der Stadt Stuttgart und der Landesanstalt für Umwelt. Die „Klimazentrale“ findet man in Form eines Dashboards auf der Internetseite der StZ. Koenigsdorff erklärt, wie es funktioniert: „Man gibt seinen Ort ein und bekommt die Daten von einer nahegelegenen Wetterstation.“

Hinter der Dashboard-Ansicht gibt es automatisierte Artikel für jedes der Postleitzahlgebiete, die die kompakten Informationen mit ausführlicheren Texten und Grafiken genauer einordnen und den Bezug zur Klimakrise herstellen. „Wir versuchen den Leuten etwas zu zeigen, das möglichst nah an ihrer Lebensrealität ist“, sagt Koenigsdorff. „Die Idee ist, ich trete vor meine Haustür, frage mich, ist es eigentlich normal, dass es um diese Jahreszeit schon so warm ist, gehe auf die Website und kann dort eben nachschauen, ob es stimmt oder nicht.“

Die „Klimazentrale Stuttgart“ unterstützt mit den Daten die lokale Berichterstattung über Wetter und Klimathemen und liefert anlassbezogen direkt passende Inhalte und Grafiken. „Wenn die nächste Hitzewelle kommt, haben wir die Daten und müssen nicht neu anfangen zu recherchieren“, so Koenigsdorff und erklärt weiter: „Wir versuchen das, was wir machen, lokal so weit für die Leute herunterzubrechen, dass diese Daten ihnen vor Ort etwas bringen. Denn der lokale Bezug ist der Grund, warum uns die Leute lesen.“

Um das Phänomen Klima erklären zu können, sei Datenjournalismus sehr wichtig, stellt Koenigsdorff fest: „Ein gutes Beispiel für Visualisierung von Daten sind Klimastreifen, die langfristige Temperaturentwicklungen sehr gut verdeutlichen.“

Diese Meinung vertritt auch Correctiv.Klima. „Daten helfen enorm dabei, Probleme sichtbar zu machen, die bisher noch gar nicht im Bewusstsein angekommen sind“, sagt Steeger. Zwar sei die Klimaberichterstattung immer wissenschaftsbasiert, habe aber in so gut wie allen Fällen einen Schnittpunkt mit anderen Ressorts. So sei es Aufgabe von Journalist*innen, Daten einzuordnen und zu zeigen, „dass es keine normale Dürre ist, sondern mit der Klimakrise zusammenhängt“.

Kein riesiges Team nötig

Viele gute Geschichten könne der Datenjournalismus im Lokalen liefern, ist sich Koenigsdorff sicher. „Mit Tools wie Datawrapper und Spreadsheets ist es technisch relativ unaufwändig, wenn man weiß, wie und wo man Daten herkriegt, und es jemanden gibt, der sich darum kümmert. Es muss nicht immer ein riesiges Team sein, das deutschlandweite Fallhöhe anstrebt.“

Bei der Datenrecherche unterstützen Steeger und ihre Kolleg*innen. „Ich glaube, es ist gut, sich mit anderen Journalist*innen zu vernetzen, die zum Thema Klima arbeiten“, sagt Steeger.

Auch Koenigsdorff sieht viel Potenzial, „wenn die Redaktionen den Nutzen für ihr Publikum erkennen“. Mit Blick auf die niedrige Einstiegshürde empfiehlt er: „Sollten Redaktionen noch nichts Datenjournalistisches aufgebaut haben, wäre es langsam Zeit.“

#nr22 | Vielfalt

Klassenfahrt in den Journalismus (12. Oktober 2022)

Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft betrifft auch Nachwuchsjournalist*innen nach wie vor

von Juliane Baxmann

„Ich habe nicht studiert, komme aus einer Arbei­ter*innenfamilie und das war im Verlauf meiner Karriere immer wieder ein Problem“, sagt Isabell Beer, 27. Sie ist Investigativ-Journalistin und arbeitet unter anderem für Funk, das Jugendangebot von ARD und ZDF. Sie wurde für den Deutschen Reporterpreis nominiert und gewann 2019 den Newcomerpeis der Otto Brenner Stiftung. Eigentlich kann man sagen: Isabell Beer hat es geschafft. Sie hat sich einen Namen in der Branche gemacht. Aber nur eigentlich.

Trotz preiswürdiger Recherchen bekam sie auf Bewerbungen nur Absagen. Forderungen nach anderen Sicherheiten (Pauschalen etc.) wurden abgelehnt. Von den gebotenen Honoraren konnte sie nicht leben. Anerkennung für die Leistungen einer jungen, offenbar talentierten Reporterin sieht in ihren Augen anders aus. „Ich hatte ein abgeschlossenes Volontariat und trotzdem hieß es immer wieder, dass ich doch mal studieren gehen sollte. Ich war nie genug“, sagt Beer.

Nach Erfahrungen mit einer Wochenzeitung, die Beer als enttäuschend bewertet, arbeitete sie als freie Journalistin, bis sie 2019 zu Funk kam. „Ich glaube, wäre das nicht passiert, wäre ich gar nicht mehr im Journalismus. Ich hatte dort endlich eine Sicherheit, auch ohne Studium“, sagt Beer heute.

Tatsächlich haben drei Viertel der Journalist*innen in Deutschland ein abgeschlossenes Studium, wie aus einer Studie von 2017 hervorgeht – eine Steigerung um 6,7 Prozentpunkte im Vergleich zu 2005.

Hürden werden gesenkt, nicht abgebaut

Als Reaktion auf fehlende Bildungsdiversität führte der MDR in diesem Jahr das Ausbildungsprogramm MDR fresh ein, ein neunmonatiges Kurz-Volontariat für Menschen mit diversen Hintergründen. Die Hürden des klassischen Berufseinstiegs per Volontariat erscheinen vielen potenziellen Kandidat*innen zu hoch. Beim „großen Volo“ spricht der Leiter des MDR-BildungsCentrums, Frank-Thomas Suppee, von einer „Bestenauslese“. Andere Bewerber*innen hätten es da schwer.

Genaue Voraussetzungen für die Bewerbung bei MDR fresh gibt es nicht. Das Programm wird mit 1.790 Euro brutto im Monat vergütet. Absolvent*innen haben die Möglichkeit, als freie*r Mitarbeiter*in übernommen zu werden oder sich auf das große, 24-monatige Volo zu bewerben. Ganz abbauen kann MDR fresh die „Hürde Volo“ also auch nicht.

Banden bilden

Der Soziologe Andreas Kemper erforscht sogenannten Klassismus[1] in den Medien. Ein Diskriminierungsbegriff, der eigentlich untergegangen sei, „da es in Deutschland eigentlich keine Klassengesellschaft mehr gibt“, sagt Kemper. Aber wieder nur eigentlich. Nach wie vor wird Journalismus überwiegend von einem bestimmten Teil der Gesellschaft für eine bestimmte Gruppe gemacht. Laut Kemper steckt dahinter auch wirtschaftliches Kalkül der Medienhäuser: „Wer kann sich bestimmte Medien leisten? Wer versteht, was in diesem Medium geschrieben steht oder gezeigt wird?“ Die Klassenunterschiede sieht Kemper aber nicht nur beim Publikum: „Auch unser Hochschulsystem ist klassistisch“, sagt der Wissenschaftler und verweist darauf, dass Kinder aus Arbeiter*innenfamilien seltener ein Studium anfangen als Akademiker*innenkinder.

Uwe Krüger lehrt Journalismus an der Universität Leipzig und hält einen gewissen Grad der Akademisierung für gut, weil sie reflektiertes Denken anstoße und die Studierenden lehre, Dinge kritisch zu hinterfragen. „Auf der anderen Seite ist diese privilegierte Bildung schlecht für die Problemperspektive, um Problemzugänge zu schaffen und Vertrauen zur Gesellschaft aufzubauen“, sagt Krüger. Den Journalist*innen fehlen also Einblicke und Einfühlungsvermögen in andere Teile der Gesellschaft.

„Wir müssen im Journalismus mehr Brücken bauen und Menschen Sachen verstehen lassen“, sagt Beer. Sie ruft betroffene Nachwuchsjournalist*innen dazu auf, sich Verbündete mit einem ähnlichen Hintergrund zu suchen, um Netzwerke aufzubauen, in denen man sich austauschen kann.

Solche Netzwerke entstehen durch Programme wie MDR fresh irgendwann automatisch. Aber das braucht Zeit. Immerhin: Der Bayerische Rundfunk startet im Herbst das PULS Talente Programm für Menschen mit „unkonventionellen Biografien“. Netzwerk Recherche und die Neuen deutschen Medienmacher*innen ermöglichen mit dem Vielfalt-Fellowship Journalist*innen mit Einwanderungsgeschichte, Rassismus- und/oder Armutserfahrung außerdem Praktika in Investigativ-Redaktionen.

[1]       Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft oder der sozialen und ökonomischen Position

 

#nr22 | Vielfalt

Diverse Probleme (12. Oktober 2022)

Vielfalt braucht Veränderung. Beginnt das Problem der Homogenität bereits in der journalistischen Ausbildung?

von Elena Strittmatter

Dass deutsche Redaktionen die gesellschaftliche Diversität im Land nicht ausreichend abbilden, ist bekannt. Kurzfristig lässt sich das kaum ändern. Um auf lange Sicht eine größere Vielfalt herbeizuführen, muss der Berufszugang für People of Color und Nicht-Akademiker*innen durchlässiger werden. Das Problem haben die Verantwortlichen erkannt. Gelöst ist es noch nicht.

„Man muss irgendwie versuchen, in der öffentlichen Wahrnehmung klarzumachen, dass die Hürden nicht so hoch oder nicht so unüberspringbar sind“, sagt Henriette Löwisch, Leiterin der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München. Um in künftigen Ausbildungsjahrgängen mehr Diversität zu erreichen, wurden bisherige DJS-Absolvent*innen, die nicht aus klassischen Akademiker*innenhaushalten kommen, gebeten, „Tipps zu erarbeiten, wie wir stärker oder besser auf Vielfalt hin rekrutieren können“, sagt Löwisch. Außerdem sollen spezielle Angebote für potenzielle Bewerber*innen entwickelt werden, die vorher keine Berührungspunkte mit dem Journalismus hatten und deshalb eine Ausbildung bei der DJS gar nicht in Betracht ziehen.

Eine Frage des Geldes

Auch beim Norddeutschen Rundfunk (NDR) kennt man die Problematik. „Einige junge Menschen kennen uns noch gar nicht oder haben uns bei der Berufswahl nicht im Blick“, sagt die Leiterin der Volontärsausbildung, Diana Dlugosch. Um eine größere Bandbreite potenzieller Bewerber*innen zu erreichen, steht an der Henri-Nannen-Schule das Auswahlverfahren auf dem Prüfstand. Schulleiter Christoph Kucklick und sein Team wollen herausfinden, ob die Ausbildung – auch hinsichtlich finanzieller Hürden – für alle zugänglich ist.

Die Schule zahlt in den ersten sieben Monaten eine Ausbildungsbeihilfe in Höhe von 645 Euro pro Monat, danach monatlich 1.500 Euro (zum Vergleich: der NDR zahlt seinen Volontär*innen 1.800 Euro im Monat). Zudem erhalten viele Schüler*innen laut Kucklick finanzielle Unterstützung in Form von Stipendien. Ohne die geht es auch an der DJS nicht. Die Ausbildung in München wird nicht vergütet, Anspruch auf BAföG haben auch nicht alle Schüler*innen. Ohne finanzielle Rücklagen oder Unterstützung – ob privat oder über eine Förderung – dürfte die Ausbildung in einer der teuersten Städte des Landes für viele unmöglich sein.

Mangelnde Medienkompetenz

Keine Hürde mehr sollte hingegen der Bildungsgrad sein. Wie bei der RTL-Journalistenschule ist auch an den anderen Ausbildungsstätten ein Studium nicht unbedingt erforderlich. Und dennoch muss Geschäftsführer Leonhard Ottinger feststellen: „Nach wie vor sind wir absolut akademisch geprägt.“ Auch Kuck­lick von der Nannen-Schule berichtet: „Der ganz überwiegende Teil unserer Schülerinnen und Schüler hat ein Studium.“ Bei Migrations- und sozialem Hintergrund sei man deutlich diverser.

Ursachen für die bisherige Homogenität beim Nachwuchs vermutet Ottinger unter anderem in fehlender Medienkompetenz bei Jugendlichen. Organisationen wie „Journalismus macht Schule“, die Schulbesuche von Journalist*innen vermitteln, hält Ottinger für eine gute Möglichkeit, Jugendliche aus unterschiedlichen sozialen Milieus für den Journalismus zu begeistern.

Außerdem müssen sich alle gesellschaftlichen Gruppen von den Medien angesprochen und ernstgenommen fühlen, um Akzeptanz und schlussendlich auch Identifikation mit dem Beruf zu schaffen. Neben Diversität auf personeller Ebene sind deshalb für Kuck­lick auch diverse Perspektiven bei den Inhalten wichtig: „Wie werden Themen bearbeitet, für wen werden sie bearbeitet und spielt dort Diversität eine Rolle oder nicht?“

#nr22 | Prekarisierung

Im freien Fall (12. Oktober 2022)

Niedrige Honorare, fehlende Wertschätzung, Existenzangst: Freier Journalismus gilt schon lange als prekär. Wie kann eine Zukunft für Freiberufler aussehen?

von Hannah Rohde

Oft ist es eine bewusste Entscheidung, als freie*r Journalist*in zu arbeiten, häufig angetrieben durch die eigene Leidenschaft. Dies bedeutet allerdings auch, Kompromisse einzugehen. Der freie Hörfunkautor Herbert Hoven etwa kritisiert, dass man sich diese Art der Berufsausübung leisten können muss. Zu gering sei die Bezahlung. „Der freie Journalismus ist ein Grundpfeiler der Demokratie in Deutschland. Dafür wird er aber mit Füßen getreten“, meint Sigrid März, freie Wissenschaftsjournalistin und Vorstandsvorsitzende der Freischreiber, dem Berufsverband freischaffender Journalist*innen.

Hilfen gingen an den Bedürfnissen vorbei

Missstände legt die Studie „Erosion von Öffentlichkeit“ der Otto Brenner Stiftung offen. So seien bestehende Probleme wie schlechte Bezahlung durch die Pandemie verschärft worden. Strukturelle Probleme identifiziert auch die Studie „Prekarisierung im Journalismus“ der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). In der Befragung begründet mehr als die Hälfte der teilnehmenden freiberuflichen Journalist*innen ihre selbstständige Tätigkeit damit, dass sie so ihrem Wunsch nach inhaltlicher und gestalterischer Freiheit nachgehen können.

Jana Rick, eine der beteiligten LMU-Forscher*innen, weist auf die Schattenseiten dieser Freiheit hin: mangelnde Existenzsicherung, fehlende soziale Absicherung sowie prekäre Arbeitsbedingungen. Corona hat die Situation weiter verschärft. „Wenn eingespart wurde in den Verlagshäusern und Redaktionen, dann hat es zunächst die Freien betroffen“, sagt Freischreiberin März. Sie und Forscherin Rick sind sich einig: Die Pandemie und die diversen Einschränkungen des öffentlichen Lebens trafen insbesondere die Kultur-, Sport- und Reisejournalist*innen hart. März kritisiert vor allem, dass die finanziellen Förderprogramme der Regierung an den tatsächlichen Bedürfnissen freier Journalist*innen vorbeigegangen seien. Die finanziellen Hilfen durften ausschließlich für Betriebskosten der Freien (z. B. Büromiete) eingesetzt werden. Wer in den eigenen vier Wänden arbeitet, hatte nichts davon.

Was muss sich in Zukunft für freie Journalist*innen ändern? Diese Berufsgruppe darf nicht weiter vernachlässigt werden, das zeigt die Studie der LMU. Zwei Drittel der befragten Journalist*innen sehen demnach in den prekären Arbeitsbedingungen eine Gefahr für die Qualität journalistischer Inhalte. Auf den journalistischen Nachwuchs wirke der Beruf so weniger attraktiv. „Die Entwicklung muss dahin gehen, dass wir sicher von diesem Beruf leben können“, sagt die Freischreiber-Vorsitzende März. Dabei seien die Honorare „die größte Baustelle“. Sie fordert, dass Freie zukünftig nach zeitlichem Aufwand und nicht, wie bei Tageszeitungen üblich, nach Zeilen bezahlt werden. Auch Hörfunkautor Hoven fordert höhere Honorare. Zudem plädiert er, der selbst jahrzehntelange Erfahrung als Freier hat, für mehr Öffentlichkeit für die prekären Verhältnisse der Freien und einen stärkeren Austausch darüber.

Pessimistischer Realismus

Die freischaffenden Journalist*innen selbst blicken eher pessimistisch in die Zukunft, vielleicht aber auch realistisch. Über 93 Prozent erwarten laut LMU-Studie, dass ihre Arbeitssituation auch in Zukunft prekär bleiben wird. Forscherin Rick berichtet zudem, dass einige Betroffene mit dem Gedanken spielen, aus dem Journalismus auszusteigen. Zu groß sei die Unsicherheit auf Dauer. Ein kleiner Hoffnungsschimmer: Die Freischreiber hatten während der Pandemie jedenfalls keine Mitgliederverluste zu verkraften.

#nr22 | Pressefreiheit

Wer schützt uns? (12. Oktober 2022)

Gewalt gegen Journalist*innen nimmt zu. Diese wird ­überwiegend von rechten ­Gruppierungen ausgeübt. Was tun?

von Hannah Martinez

Bespuckt, beleidigt, bedroht oder gar körperlich angegriffen: Das ist keine Seltenheit für Reporter*innen auf Demonstrationen in Deutschland. Mindestens 80 gewalttätige Angriffe auf Medienschaffende ermittelte Reporter ohne Grenzen (ROG) im vergangenen Jahr. Die Konsequenz: Deutschland rutscht in der Rangliste der Pressefreiheit weiter ab. Lag die Bundesrepublik vor zwei Jahren noch auf Platz 11, reichte es 2022 nur noch für Platz 16. Schon im vergangenen Jahr warnte ROG, dass die Gewalt gegen Journalist*innen in Deutschland eine „noch nie dagewesene Dimension“ erreicht habe.

Politisch motivierte Gewalt

Verantwortlich für die Angriffe auf Journalist*innen sind laut Verfassungsschutzbericht vor allem Menschen mit Tendenzen zur rechten Ideologie. Für ROG-Pressereferentin Lotte Laloire ist klar: „Die Gewalt ist politisch motiviert, die Ablehnung der freien Presse bildet ein Kernelement extrem rechter Ideologie.“ Auch die fehlende gesamtgesellschaftliche Wertschätzung für die Arbeit von Medienschaffenden spiele eine Rolle.

Die Verantwortung für die Wahrung der Pressefreiheit in Deutschland tragen die Innenministerien und Sicherheitsbehörden wie etwa die Polizei. Diese wird von ROG kritisiert, da sie ihrer Verantwortung „insgesamt leider nicht ausreichend“ nachkomme. Es gibt regelmäßig Berichte, dass Polizist*innen Reporter*innen bei der Arbeit behinderten, indem sie sie nicht durchgelassen oder ihnen mit Platzverweisen und Ingewahrsamnahmen drohten. Dazu sind mindestens ein Dutzend Fälle bekannt, in denen es zu gewalttätigen Übergriffen von Polizist*innen auf Reporter*innen kam.

Unter anderem berichtet ROG von einem Fall in München. Hier wurden demnach zwei Reporter*innen bei einer nicht angemeldeten Querdenker-Demonstration an ihrer Arbeit gehindert, obwohl sie klar als Pressemitarbeitende zu erkennen gewesen waren, und sogar von Polizist*innen mit Schlagstöcken angegriffen.

Ein anderer Fall, der für Aufregung sorgte, spielte sich in Berlin im Juni 2021 bei einer Demonstration ab. Dort richteten Polizisten den Strahl eines Wasserwerfers direkt auf einen Journalisten, obwohl der Reporter durch seine Ausrüstung und die Beschriftung seines Helmes als Journalist zu erkennen war. Der Angriff ist auf Video dokumentiert. Dennoch bestritt die Polizei Berlin, dass so ein Angriff jemals stattgefunden habe.

Presserat klärt auf

Der Deutsche Journalisten-Verband verlangt von den Innenministerien des Bundes und den Ländern, diejenigen besser zu schützen, die „im Fadenkreuz der Verfassungsfeinde“ stünden. Um dies künftig gewährleisten zu können, fordert Lotte Laloire eine „wirkungsvolle Sensibilisierung der Polizei im Hinblick auf Pressefreiheit“. So müsse das Thema in der Polizeiausbildung eine stärkere Gewichtung bekommen und „in Form von regelmäßigen Fortbildungen im Laufe des Berufslebens von Beamtinnen und Beamten wiederholt werden“.

Laut Polizei wird aktuell an einem „Entwurf zur Novellierung der Verhaltensgrundsätze […] zur Vermeidung von Behinderung bei der Durchführung polizeilicher Aufgaben und der freien Ausübung der Berichterstattung“ gearbeitet. Ziel seien bundesweit einheitliche Standards.

Bis es soweit ist, wird der Deutsche Presserat in einem vom Bund geförderten Projekt an Polizeischulen über die verfassungsmäßig festgelegten Aufgaben der Medien sowie ihre Arbeitsweisen aufklären.

#nr22

Faktenchecks im Check (12. Oktober 2022)

„Fake News“ bekämpfen – aber richtig

von Marie Kerres

Im Durchschnitt kommen 68 Prozent der Deutschen einmal pro Woche mit Desinformation in Kontakt. Vielen fällt es schwer, Propaganda und anderes als Falschnachrichten zu identifizieren. Wir haben Tipps gesammelt, wie Redaktionen effektiv über „Fake News“ aufklären können.

Falschbehauptung nicht ­wiederholen!

Online lesen viele Nutzer*innen nur die Überschrift. Da das Gehirn meist die Überschrift abspeichert, sollte die Falschaussage darin nicht wiederholt werden – sonst verstärkt sich möglicherweise der Irrglaube. Auch Verneinungen sollten vermieden werden, erklärt Maren Urner, Professorin für Medienpsychologie: „Das ist eine zusätzliche Komplexitäts-Ebene, in der wir das, was verneint wird, immer mit abspeichern.“

Nicht lang schwafeln!

Faktenchecks sind oft zu lang. Christian P. Hoffmann, Professor für Kommunikationsmanagement an der Universität Leipzig, erklärt: „Je länger, je komplexer und ausführlicher ein Faktencheck ist, desto unwahrscheinlicher ist, dass das jemand liest.“ Das weiß auch Valerie Scholz. Die Journalistin ist Gründerin von „Facts for Friends“ und will komplizierte Faktenchecks etablierter Redaktionen sinnvoll kürzen. Doch das Feedback der Nutzer*innen lautet: Die Texte sind im Anschluss an die Überarbeitung immer noch zu lang.

Für den schnellen Überblick bietet es sich in jedem Fall an, das Ergebnis des Faktenchecks gleich am Anfang mitzuteilen. Für mehr Kontext können danach weitere Quellen aufgelistet werden.

(K)ein Label nutzen!

Einordnende Labels wie „Falsch“ oder „Fehlender Kontext“ können je nach Leserschaft Hilfsmittel oder Abschreckung sein. Unerlässlich ist daher, sich im Vorfeld genau zu überlegen, wer die Zielgruppe des Faktenchecks ist, und dann über den Einsatz von Labels oder Markern zu entscheiden.

Für Leser*innen, die Falschinformationen glauben oder arglos teilen, sind Labels eine gute Sache, so Alice Echtermann von Correctiv.Faktencheck: „Die Leser*innen sollen sehen, dass wir auf die gleiche Art von Falschinformation immer gleich reagieren.“

Wenn hingegen die Menschen erreicht werden sollen, die „Fake News“ wissentlich verbreiten, sind Marker problematisch. Statt ihr Weltbild durch konfrontative, wertende Labels zu erschüttern, empfiehlt die Medienpsychologin Urner, einen Schritt zurückzugehen, mit Emotionen zu arbeiten und zu fragen: „Woher kommt dieser Glaubenssatz?“

Auf Social Media teilen!

In sozialen Netzwerken verbreiten sich „Fake News“ besonders schnell. Deshalb sollten dort auch die Faktenchecks veröffentlicht werden. „Das ist der sensible Raum, in dem es emotional wird. Je emotionaler, desto intensiver sind wir involviert und speichern Dinge ab“, argumentiert Urner. „Facts for Friends“ arbeitet die gekürzten Faktenchecks beispielsweise explizit als Sharepic oder Kurzvideos auf. Näheres hier: https://www.factsforfriends.de

#nr22

Pfeift auf die PR! (12. Oktober 2022)

Aktuell häufen sich frustrierende Erlebnisse von Journalist*innen mit Presseabteilungen und werfen Fragen über die zukünftige Ausgestaltung der Zusammenarbeit auf. Der Wert der eigenen Recherche wird dabei umso deutlicher.

von Franziska Heberle

Die Eröffnung des umstrittenen Tesla-Werks im brandenburgischen Grünheide im März fand mit großem Tamtam und Firmen-Chef Elon Musk höchstpersönlich statt. Nicht dabei waren hingegen einige Journalist*innen, die zuvor kritisch über die Indus­trieansiedlung berichtet hatten. Ihnen wurde der Zutritt verweigert.

Im Juni gewährte auch das Bezirksamt Kreuzberg in Berlin nur ausgewählten Journalist*innen Zugang zu einer Pressekonferenz. Selbst bei Medienunternehmen mache sich eine zunehmende Verschlossenheit der PR-Abteilungen bemerkbar, beklagt die Medienjournalistin Diemut Roether. Als Beobachter*in stellt man sich die Frage: Zufall oder neuer Trend?

Schadet es überhaupt?

Dieses Verhalten seitens einer Behörde sei am Rande der Zulässigkeit, sagt Nicola Wessinghage, Geschäftsführerin der Hamburger PR-Agentur „Mann beißt Hund“. Und auch bei Unternehmen wie Tesla sieht sie eine „ethische und moralische Verpflichtung“, sich den Fragen der Öffentlichkeit und damit allen Pressevertreter*innen zu stellen. Zumal der Kommunikationskodex des Deutschen Rats für Public Relations das Unter-Druck-Setzen von Kommunikationspartner*innen durch die Androhung von Nachteilen ausdrücklich untersagt. Thomas Voigt, ehemaliger Journalist und mittlerweile Kommunikationschef der Otto Group, sieht das ähnlich: „Es gehört auch zur Verantwortung von Unternehmen, die Vielfalt der Medien zu erhalten. Gerade dann, wenn einem die Meinung nicht passt.“

Trotz aller berechtigten Kritik an der Willkür mancher Pressestellen sollte sich der Journalismus fragen: Schadet es überhaupt, wenn Unternehmen missliebige Reporter*innen von PR-Terminen ausladen?

Keine Gegner

„Natürlich haben manche Journalisten bessere Zugänge als andere. Es gibt keinen egalitären Zugang von Journalisten zu Managern und Politikern“, konstatiert Roman Pletter, Leiter des Wirtschaftsressorts der Wochenzeitung Die Zeit. Viele Journalist*innen würden davon leben, sich über Jahre hinweg Netzwerke aufgebaut zu haben, wodurch sie nicht auf Informationen von Pressestellen angewiesen seien. Für eine gute Recherche und damit auch eine gute Geschichte brauche es vor allem Neugierde, Ergebnisoffenheit und Gründlichkeit. „Die richtige Recherche fängt mit dem richtigen Gedanken im Kopf an. Das ist erstmal ein Hinterfragen von Absendern und der zugrundeliegenden Motivation, um zu wissen, wie ich eine Information einzuordnen habe“, bekräftigt Achim Pollmeier aus der Monitor-Redaktion beim WDR und ergänzt: „Es gibt keinen Journalismus ohne Recherche. Journalismus ist Recherche. Alles andere ist Verlautbarung.“

Dass Informationen hinterfragt und Quellen geprüft werden, erwarten nicht nur die Rezipient*innen von seriösem Journalismus, auch für Unternehmen ist die unabhängige Berichterstattung von Bedeutung. „Ein Content, der durch Journalistenhände kuratiert wird, ist enorm wichtig für die Reputation“, betont Thomas Voigt. Auch Zeit-Journalist Pletter bestätigt, dass Pressestellen keine Gegner seien, sondern vielmehr wichtige Ansprechpartner für die erste Kontaktaufnahme darstellten. Gleichzeitig sei die Annahme gewagt, dass die Pressekonferenz ein relevanter medialer Ort sei, an dem wirklich wichtige Informationen geteilt würden. Eine gute Geschichte beginnt eben selten mit dem Zitat eines Pressesprechers.

#nr22 | Krisenberichterstattung | Sicherheit

Allein im Ausland (12. Oktober 2022)

In Problem- und Gefahrensituationen können freie Auslandskorrespondent*innen nur wenig Hilfe von Redaktionen erwarten.

von Irina Finke

Manchmal kommt jede Hilfe zu spät. „Wir hatten in der Vergangenheit den Fall eines Kollegen, der im Iran einen medizinischen Notfall hatte. Da hat der Versicherungsschutz nicht gereicht, um ihn schnell nach Deutschland zu bringen“, erzählt Leonie March, Vorstandsvorsitzende des Netzwerkes Weltreporter. Die Mitglieder griffen in ihr eigenes Portemonnaie, um ihrem Kollegen zu helfen. Doch der Mann verstarb, bevor die Hilfe greifen konnte. „Beim Versicherungsschutz von freien Journalist*innen ist oft nicht geklärt, wer einen rausholt, wenn es mal sein muss.“ Viele Versicherungen würden Krisen- und Kriegsgebiete von vor­n­herein ausschließen. Auf die auftraggebenden Medien sei nicht immer Verlass, berichtet March. „Es ist schon passiert, dass Redaktionen gesagt haben: Wir nehmen den Text gerne, aber wir können dir nicht weiterhelfen.“

Weil dies kein Einzelfall ist, sondern System hat, haben die Freischreiber ihren diesjährigen Höllepreis allen Redaktionen „gewidmet“, die sich zu wenig um Freie im Ausland kümmern: „sie schlecht bezahlen, sie ausbooten und knebeln.“

Kampf um Versicherungsschutz

Freie Journalist*innen hätten häufig Nachteile gegenüber ihren festangestellten Kollegen, meint auch Christopher Resch, Pressereferent bei Reporter ohne Grenzen. Die Freelancer*innen müssten bei den Redaktionen um ausreichend Versicherungsschutz kämpfen, doch auch in anderen Bereichen bräuchten freie Kolleg*innen mehr Hilfe. „Bei der Unterstützung durch die Redaktionen kann es schon um Schutz­ausrüstung gehen, also schusssichere Westen und Helme, oder auch Erste-Hilfe-Pakete.“ Es fange aber bereits davor an, erklärt Resch, zum Beispiel mit Sicherheitstrainings. Fest angestellte Journalist*innen bekommen diese Dinge meistens gestellt, freie Kolleg*innen müssten Trainings und Ausrüstung selbst organisieren und bezahlen.

Oliver Eberhardt, einer der Vorstandsvorsitzenden von Freischreiber, findet, dass die Verantwortung der Redaktion nicht erst dann beginnen sollte, wenn man im Ausland in Schwierigkeiten gerät. Medien würden leichtfertig Journalist*innen ohne hinreichende Erfahrung in Auslandseinsätze schicken, berichtet Eberhardt. „Man kann, egal wie gut der Pitch ist, niemanden ohne Sicherheit und ohne jegliche Erfahrung in ein Kriegsgebiet schicken und dann davon ausgehen, dass das gut gehen wird.“ Häufig seien es junge, motivierte freie Journalist*innen, die sich in Krisengebieten in Gefahr begäben.

Tausende Euro

Carsten Stormer, freier Journalist und Filmemacher, war zu Beginn seiner Karriere einer von ihnen. Er habe kaum genug verdient, um ein wirkliches Einkommen zu haben, erzählt er. Geld für extra Sicherheitsmaßnahmen habe es meistens nicht gegeben. „Rückblickend würde ich manche Sachen vielleicht anders machen, aber man war jung und hatte kein Geld, und dann macht man es entweder nicht oder unter den Bedingungen, die es dann halt sind.“ Als Journalist reiste Stormer unter anderem auf inoffiziellem Weg nach Syrien, Myanmar und in den Südsudan ein, um von dort zu berichten. In solchen Fällen unerlässlich ist eine gründliche Erkundung der Risiken vor Ort, meint Stormer.

„Man sollte sich in den Gebieten gut auskennen und das Finanzielle vorher gut kalkulieren“, betont auch Eberhardt. Wenn er einen Auftrag erhält, rechnet er genau aus, wie viel es kosten wird, seine Sicherheit während der Arbeit im Krisengebiet zu garantieren. Fahrer*innen, Übersetzer*innen, lokale Sicherheitsexpert*innen und Producer*innen, die bei Recherchen helfen und Kontakte vermittelt – da kommen schnell Tausende Euro zusammen. In seine Kalkulationen baut er immer noch einen Puffer ein, der greift, wenn mal etwas schiefgeht, erzählt der Nahost-Reporter. Wenn dieser Puffer aufgebraucht sei, müsse das Geld, das seine Sicherheit garantiere, aus dem eigenen Honorar genommen werden.

Wer hilft?

Die freie Journalistin Birgit Svensson hat selbst Erfahrungen mit gefährlichen Situationen im Ausland. Bei einer Recherche kürzlich in Ägypten geriet ein Mitglied ihres Teams in Schwierigkeiten. Aus rechtlichen und aus Sicherheitsgründen will sie nicht berichten, was genau geschehen ist, doch leider ist dies kein Einzelfall. Zwischen 2000 und 2021 saßen laut Recherchen des „Committee to Protect Journalists“ (CPJ) meist mehr als 100 Journalist*innen pro Jahr wegen ihrer Arbeit im Gefängnis. Oft waren es sogar mehr als 200.

Doch wer hilft, wenn freie Journa­list*innen im Ausland in Gefahr geraten? Laut Svensson können die Redaktionen in Deutschland wenig tun. „Da müssen diejenigen ran, die die Gegebenheiten vor Ort kennen.“ Auf­traggeber*innen könnten häufig das volle Ausmaß der Gefahren, in die sich die freien Journalist*innen im Ausland begeben, nicht einschätzen. Bei Entführungen oder Verhaftungen können Kolleg*innen sich an die lokale deutsche Botschaft oder das Auswärtige Amt wenden. Diese versuchen dann, mit den Autoritäten oder Täter*innen vor Ort zu verhandeln.

„Wir könnten uns eine Kooperation zwischen Redaktionen, Organisationen und dem Auswärtigen Amt vorstellen, über die dann eine Hotline eingerichtet wird, über die man 24 Stunden am Tag Hilfe bekommen kann“, meint March. Ein solches Angebot ist Zukunftsmusik.