#nr18 | Pressefreiheit
„Wir geben nicht auf!“ (27. August 2018)
Ein Blick hinter die Kulissen von forbidden stories
von Mirjam Bittner und Pia Seitler
Am 16. Oktober 2017 tötet eine Autobombe in Malta die Journalistin Daphne Caruana Galizia. Ein halbes Jahr später veröffentlichen Medienhäuser wie die Süddeutsche Zeitung, Die Zeit, der NDR und WDR, die New York Times, der Guardian, Reuters und La Repubblica ihre Rechercheerkenntnisse zum Fall Daphne. Die Hintermänner sind bis heute nicht gefasst. Die Recherche der Medienorganisationen zeigt: Ermittler ignorieren Hinweise auf höchste politische Kreise.
Dass mitten in Europa eine Journalistin getötet wird, weil sie ihre Arbeit macht, will Laurent Richard nicht hinnehmen: „Wir müssen diese Geschichten am Leben erhalten.“ Richard ist Journalist und Filmemacher beim französischen Sender Premières Lignes Télévision. Er gründete das Netzwerk forbidden stories mit dem Ziel, Journalisten zu beschützen und die internationale Pressefreiheit zu verteidigen. Das Netzwerk hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Arbeit von Journalisten weiterzuverfolgen, die sich bedroht fühlen oder bereits getötet wurden – wie Daphne Caruana Galizia.
18 Medienorganisationen aus 15 Ländern
Das sogenannte Daphne-Projekt war das erste Projekt von forbidden stories. Journalisten von 18 Medienorganisationen aus 15 Ländern recherchierten gemeinsam, um die Arbeit der ermordeten Kollegin weiterzuführen. Der Mord an der maltesischen Journalistin motivierte viele, erzählt Fritz Zimmermann aus dem Investigativ-Ressort der Zeit: „Das hat etwas bei uns ausgelöst. Journalisten aus ganz Europa wollten etwas tun.“
Unter der Leitung von forbidden stories trafen sich Anfang des Jahres 45 Journalisten in Paris. Es wurde besprochen, welche Themen recherchiert werden, wer woran arbeitet und wann die Ergebnisse veröffentlicht werden. Dabei ergaben sich die ersten Schwierigkeiten. Der geplante Zeitpunkt der Veröffentlichung – der 16. April 2018, genau sechs Monate nach Daphnes Ermordung – war ein Montag. Die Wochenzeitung Die Zeit erscheint aber an einem Donnerstag. Die Journalisten fanden einen Kompromiss. Sie planten, die erste Geschichte über den Mord am 17. April zu veröffentlichen und dann nach und nach die weiteren Rechercheergebnisse zu publizieren.
„Die Idee des Projekts war, in Echtzeit allen alles zur Verfügung zu stellen, sodass alle an den Geschichten weiterarbeiten können“, erzählt Zimmermann. Über ein Wiki auf dem Server des Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP), einem Recherchenetzwerk mit Sitz in Sarajevo, koordinierten die Journalisten sämtliche Schritte und luden dort ihr gesamtes Material hoch. Dokumente, Interviews, Zeitpläne – alles war gespeichert und für alle zugänglich. „Wir haben alles miteinander geteilt. Es gab keine exklusiven Informationen“, so Holger Stark, Leiter des Investigativteams der Zeit. Über Signal, einem frei zugänglichen verschlüsselten Messenger, kommunizierten sie miteinander. „Über Monate klingelte das Handy und hörte einfach nicht auf“, berichtet Zimmermann. Das habe ihn an die Grenzen seiner Aufmerksamkeit gebracht. „Das Grundprinzip war, dass keine unverschlüsselte Kommunikation grenzüberschreitend läuft“, erklärt Stark.
Durch Maßnahmen wie diese versuchten die Journalisten, ein größtmögliches Maß an Sicherheit für alle Beteiligten herzustellen: „Die Mörder von Daphne wissen, wer wir sind, deshalb haben wir natürlich Bedenken, was unsere Sicherheit angeht“, sagt Laurent Richard. Darum sei es auch ein Ziel von forbidden stories, dass viele Journalisten zusammenarbeiten, um sich gegenseitig Schutz zu bieten. Ein weiteres Ziel ist der Schutz der internationalen Pressefreiheit: „Der einzige Weg, einen freien Journalismus zu verteidigen, ist es, Morde an Journalisten aufzuklären, die Mörder zu entlarven und die Gesellschaft über die Recherchen zu informieren“. So auch das Motto des Netzwerks – „you can’t kill the stories“.
Unterschiedliche Journalismuskulturen
Wenn 45 Journalisten aus 15 Ländern miteinander gemeinsam recherchieren, ergeben sich auch Herausforderungen. Lena Kampf arbeitet für das investigative Ressort des WDR in Berlin und Brüssel und war Teil des Daphne-Projekts. Sie berichtet von ganz unterschiedlichen journalistischen Kulturen.
Während man in Deutschland Personen mit Rechercheergebnissen konfrontiere und ihnen 48 Stunden Zeit für eine Stellungnahme gebe, bevor man dann veröffentliche, brauche man in Großbritannien erst die Antwort von jedem Beteiligten, bevor man veröffentlichen könne. Der Umgang mit verdecktem Material und anonymen Quellen sei schon bei den Medienorganisationen innerhalb Deutschlands unterschiedlich gewesen. Es stellte sich hier außerdem öfter die Frage nach Übersetzungen von englischen Zitaten. „Wir hatten am Ende zwar alle dieselben Beweise, die allerdings in den unterschiedlichen Zeitungen unterschiedlich aufbereitet wurden“, sagt Kampf über die Ergebnisse des Rechercheprojekts.
Nicht nur die unterschiedlichen journalistischen Herangehensweisen konfrontierten die Reporter mit ungewohnten Problemen, auch die Arbeit auf der Insel Malta. „Der Arbeitsalltag ist schwierig für Leute aus stabilen Ländern, wo du niemals daran denken würdest, dein Auto vorher nach einer Bombe abzusuchen“, so Matthew Caruana, Sohn von Daphne Caruana Galizia. Caruana unterstützte das Projekt von Anfang an: Er lobt die Journalisten, die in vertrauensvoller Zusammenarbeit die Erkenntnisse seiner Mutter bestätigten, die zuvor deswegen kompromittiert wurde. „Es gibt Situationen, wo du dich nicht mehr auf den Schutz des Staates verlassen kannst. Deshalb braucht es Projekte wie dieses – leider.“
Die Recherchen sind noch nicht beendet
Trotz der neuen Herausforderungen war das Projekt ein Erfolg, finden Zimmermann und Kampf. „Die Idee war, die Arbeit von Daphne weiterzuführen und sie in andere europäische Länder zu bringen. Wir konnten viele Dinge, die Daphne herausgefunden hatte, bestätigen und sagen: ‚Sie hatte Recht!‘“, so Zimmermann.
Die Recherchen sind dennoch lange nicht am Ende: „Wir haben das Daphne-Projekt noch nicht beendet. Es gibt immer noch so viele Fragen, so vieles, was noch aufzuklären ist“, sagt Laurent Richard. Aufgeben komme jedenfalls nicht in Frage. Deshalb arbeiten Journalisten aus aller Welt neben dem Daphne Project an weiteren Geschichten, unter dem Mantel von forbidden stories. Über aktuelle Projekte möchte Richard allerdings nicht sprechen, um diese und die Journalisten, die daran arbeiten, nicht zu gefährden.