#NR24 | Sprache

“Eine Sprache der Zuspitzung”  (3. September 2024)

FrobenHomburger_Foto:MichaelKappeler

Als Nachrichtenchef der dpa weiß Froben Homburger um die Relevanz präziser Sprache und die Folgen einer unüberlegten Wortwahl. Ein Gespräch über Zeitdruck, Gendern und angebliche Zensur.

Herr Homburger, Sie gelten als Mann der ganz genauen Sprache. Aber wir alle machen Fehler. Was ist der größte sprachliche Fehler, der Ihnen unterlaufen ist?

Ach, ich habe da kein Ranking, bin aber alles andere als fehlerfrei, gerade in der gesprochenen Sprache. Beim Reden rutschen mir immer wieder Formulierungen raus, die mich im Nachhinein ärgern oder die ich sogar bedauere – weil sie missverständlich sind, weil sie unpassend sind, weil sie im schlimmsten Fall sogar Menschen verunsichern oder kränken. Sprache ist komplex, Sprache ist mächtig, und angesichts dieser Komplexität und Macht ist gedankenlose Dampfplauderei verführerisch einfach. Anders ist es beim Schreiben: Selbst bei privaten Mails wäge ich Satz für Satz oft sehr genau ab. In mehr als 30 Jahren Agenturjournalismus habe ich viel zu häufig erlebt, wie weitreichend die Folgen unpräziser Schriftsprache sein können.

Ist die Wortwahl im Journalismus eine Frage der Sorgfaltspflicht oder nicht doch einfach eine des Stils?

Eine Sprache, die zwar schön zu lesen, aber nicht präzise ist, ist in der Belletristik besser aufgehoben als im Journalismus. Eine Sprache, die zwar präzise, aber nicht schön zu lesen ist, ist in der Wissenschaft besser aufgehoben als im Journalismus. Daher: Sorgfalt und Stil sind beides wichtige Faktoren für guten Journalismus.

FrobenHomburger_Foto:MichaelKappeler

„Zensur wird gerne als politischer Kampfbegriff bemüht, um sich mit dem Thema Sprachsensibilität gar nicht erst befassen zu müssen“, sagt dpa-Nachrichtenchef Froben Homburger. (Foto: Michael Kappeler)

Ihr Eindruck als professioneller Leser: Hat die sprachliche Sorgfalt im deutschen Journalismus abgenommen?

Auch die Mediensprache verändert sich, aber nach meinem Empfinden in der Summe nicht zum Schlechteren. Ich glaube, dass die meisten Redaktionen heute sprachsensibler sind als früher. Das hat viel auch mit Impulsen und Interventionen jüngerer Kolleginnen und Kollegen zu tun. Sprachdebatten in den Newsrooms der 90er Jahre drehten sich eher um die Frage, ob „durch“ nur räumlich („durch den Tunnel“) oder auch kausal („starb durch eine Polizeikugel“) verwendet werden darf. Heute hinterfragen wir viel stärker etwa Ausrichtung und Macht der Bilder, die bestimmte Begriffe im Kopf erzeugen – und entscheiden auf dieser Grundlage, ob und in welchem Kontext wir sie benutzen.

Warum sind Sprachsensibilität und präzise Formulierungen generell wichtig in der journalistischen Berichterstattung? Warum macht es zum Beispiel einen Unterschied, ob man Verschwörungstheorie oder –ideologie sagt?

Journalistische Sorgfalt bedeutet immer auch das Ringen um die richtigen Worte. Unpassende Begriffe können in die Irre führen, Dinge verschleiern und verharmlosen, aber umgekehrt auch unnötig dramatisieren. Allerdings sehe ich da schon auch einen Spielraum, gerade wenn es um Fachtermini geht. Der Pressekodex formuliert das für Rechtsthemen sehr hübsch so: „In der Sprache der Berichterstattung ist die Presse nicht an juristische Begrifflichkeiten gebunden, die für den Leser unerheblich sind.“ Und auch die Unterscheidung zwischen Verschwörungstheorie und Verschwörungsideologie ist aus meiner Sicht eher etwas für Feinschmecker. „Theorie“ legt zwar eine gewisse Wissenschaftlichkeit nahe, und „Ideologie“ trifft es daher sicher besser. Aber ich glaube nicht, dass „Verschwörungstheorie“ sträflich stark vernebelt, um was es tatsächlich geht.

Schnelligkeit ist ein entscheidender, aber auch riskanter Faktor in der Berichterstattung. Wie beeinflusst Zeitdruck ein präzises Wording?

Zeitdruck erhöht die Fehleranfälligkeit jeder Tätigkeit. Bei Eilmeldungen besteht die größte Gefahr darin, ein noch unklares Geschehen voreilig zu labeln. Wenn erst einmal der „Amoklauf“ gepusht wurde, obwohl zunächst nur von „Schussgeräuschen“ an einer Schule die Rede ist, oder der „mutmaßliche Terroranschlag“ am Ende doch auf das Konto einer kriminellen Bande geht, können auf die Schnelle fahrlässig und fatal falsche Zeichen gesetzt werden. Das beste Mittel dagegen: Gerade unter Zeitdruck mit möglichst einfachen Worten nüchtern nur das beschreiben, was absolut unzweifelhaft ist. Für einordnende Labels ist später immer noch Zeit.

Überspitzte Formulierungen tauchen vermehrt auch bei Qualitätsmedien auf. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Natürlich bildet auch der professionelle Journalismus teils die sprachliche Polarisierung ab, die die Debattenkultur vor allem in den sozialen Medien prägt. Dort ist eine Art Bekenntnisdrang zu beobachten: Erfolgreich sind pointierte Stellungnahmen, egal zu was. Das fördert eine Sprache der Zuspitzung, weil sachliches Beschreiben nicht so viel Aufmerksamkeit generiert wie scharfes Urteilen. Im professionellen Journalismus kann Zuspitzung aber durchaus ein legitimes Stilmittel sein, etwa um den zentralen Aspekt eines komplexen Sachverhalts hervorzuheben. Aber klar:  Zuspitzung hat immer das Potenzial, ein Geschehen zu überzeichnen und damit zu verzerren. Daher: Jede Zuspitzung in der Berichterstattung erfordert besonders viel journalistische Sorgfalt.

Nehmen wir mal ein konkretes Beispiel: Das Wort „Beziehungstat“ taucht immer wieder in der Berichterstattung auf, obwohl seit langem beklagt wird, dass damit strukturelle Gewalt gegen Frauen verharmlost wird. Wie kommt das?

Bei dpa stehen Begriffe wie „Beziehungsdrama“ und „Familientragödie“ seit knapp fünf Jahren auf dem Index – außer in der direkten oder indirekten Wiedergabe von Zitaten. „Drama“ und „Tragödie“ verschleiern die gezielte, tödliche Gewalt, die sich vor allem gegen Frauen richtet. Sie verklären Mord und Totschlag zu einem schicksalhaften Geschehen, in dem Opfer- und Täterrolle zu verschwimmen scheinen. Nicht auf dem Index steht dagegen bei uns die „Beziehungstat“, denn während landläufig darunter ein Verbrechen innerhalb einer partnerschaftlichen Beziehung verstanden wird, meint die Polizei damit oft lediglich, dass sich Oper und Täter irgendwoher kannten, der getötete Mensch also kein Zufallsopfer war.

Diesen Unterschied zwischen polizeilichem und allgemeinem Verständnis müssen wir aber bei Formulierungen wie „Die Polizei sprach von einer Beziehungstat“ zwingend klarstellen, um am Ende nicht doch zur Verharmlosung von Femiziden beizutragen. Der Begriff „Femizid“ selbst wiederum verbreitet sich auch in Deutschland vor allem im politischen Diskurs immer stärker und wird grundsätzlich auch von dpa benutzt. Da er aber für viele Menschen noch immer nicht selbsterklärend ist, verwenden wir ihn inklusive eines kurzen Hintergrunds eher im weiteren Verlauf eines Textes und nur in Ausnahmefällen schon in Titel und Leadsatz.

Im Journalismus werden wiederholt Begriffe aus Firmen-PR genutzt, zum Beispiel der Name „Gigafactory“ für eine Tesla-Fabrik. Inwiefern bedroht das die Glaubwürdigkeit des unabhängigen Journalismus?

Namensgebung ist immer auch PR. Aber deshalb auf die korrekte Namensnennung zu verzichten, kann ja nicht die Lösung sein. Die PR-Gefahr im Journalismus lauert ohnehin sehr viel stärker im Spin einer Mitteilung, in einer selektiven Darstellung – häufig schlicht in dem, was nicht oder zumindest nicht freiwillig gesagt wird. Jeder Mitteilung zu misstrauen, jede Stellungnahme zu hinterfragen, ist das beste Instrument, um am Ende keiner PR-Strategie zu erliegen, um unabhängig und damit glaubwürdig zu bleiben.

Das Neuverhandeln von Begrifflichkeiten gefällt nicht allen. Wenn nun diskutiert wird, Geflüchtete statt Flüchtlinge zu sagen, wittern Kritiker gleich Zensur.

„Zensur“ wird gerne als politischer Kampfbegriff bemüht, um sich mit dem Thema Sprachsensibilität gar nicht erst befassen zu müssen. Der Vorwurf ist aber auch deshalb absurd, weil es ja jedem Menschen und Medium überlassen bleibt, strittige Begriffe weiter zu verwenden, solange sie nicht rechtswidrig sind. Bei dpa darf man im Übrigen weiterhin sowohl Geflüchtete als auch Flüchtlinge schreiben. Anders als oft argumentiert handelt es sich bei „-ling“ nicht um eine durchgängig negativ konnotierte Wortendung.

Die dpa spricht sich für gendersensible Sprache im Journalismus aus. Wie erleben Sie in der Redaktion die Diskussion ums Gendern? Ist sie die ganze Aufregung wert?

Vor drei Jahren hat sich dpa mit den anderen deutschsprachigen Nachrichtenagenturen auf eine gemeinsame Linie verständigt: Wir verzichten bis auf weiteres auf Gendersonderzeichen, nutzen aber stärker jenen gendersensiblen Spielraum, den uns die Sprache jetzt schon lässt. Wir verwenden also häufiger als früher geschlechtsneutrale Begriffe oder Paarformen. Natürlich gab und gibt es in unserer Redaktion dazu viel Diskussionsbedarf, zumal die Rolle der dpa hier eine besondere ist: Auf der einen Seite sind wir dank unserer Verbreitung auch in solchen Fragen ein Taktgeber für die deutsche Medienlandschaft; auf der anderen Seite sind wir ein Dienstleister, der sich auch an den Bedürfnissen und Wünschen seiner Kunden zu orientieren hat. Und ja: Ich persönlich finde, dass jede Diskussion um Sprachsensibilität die Aufregung wert ist.

Ist die Forderung nach einer diskriminierungsarmen Sprache berechtigt oder schlagen deren Verfechter über die Stränge?

Eine gemeinsame Sprache ist immer auch ein Kompromiss. Sie wird niemals alle Individuen und Gruppen dieser Sprachgemeinschaft gleichermaßen sichtbar machen können. Sonst verlöre sie irgendwann ihren Charakter als kommunikativer Kitt einer heterogenen Gesellschaft und würde im wahrsten Sinne des Wortes unverständlich. Das sehen natürlich jene anders, die sich in der gemeinsamen Sprache nicht berücksichtigt fühlen. Die Herausforderung besteht also darin, tatsächliche oder zumindest so empfundene Diskriminierung zu reduzieren, ohne die Sprache für eine große Mehrheit der Gesellschaft unverständlicher zu machen. Ein Beispiel: dpa verzichtet in der Berichterstattung über non-binäre Menschen auf alle sprachlichen Mann-Frau-Zuschreibungen und formuliert also beispielsweise so, dass keine Pronomen benötigt werden. Aber: Auch wenn die non-binäre Person das für sich wünscht, verwenden wir keine englischen Pronomen und auch keine sogenannten Neopronomen wie „xier“ oder „dey“. Sie entsprechen zum einen nicht den Rechtschreibregeln und wären zum anderen für die große Mehrheit der Gesellschaft unverständlich.

Als Nachrichtenagentur hat die dpa großen Einfluss auf die Sprache in deutschen Medien. Wie gewährleisten Sie, dass Sie dieser Verantwortung gerecht werden?

Durch ständiges Hinterfragen und häufigen Austausch – mit unseren Kunden, mit manchen Kritikerinnen und Kritikern und sehr stark auch untereinander in der Redaktion.  Wir profitieren sehr von der Schwarmsensibilität unserer Kolleginnen und Kollegen, die in einem eigenen Slack-Channel immer wieder wertvolle Hinweise geben und beherzt über Sprache diskutieren.

Dieser Text stammt aus dem „Nestbeschmutzer„, der Zeitung zur Jahreskonferenz von Netzwerk Recherche. Die Fragen stellte Maira Mellinghausen.

Sprache

Zustand kritisch?! (Teil 4) (19. März 2015)

Das Spiegel-Interview (7/2015) mit Christoph Maria Fröhder war eine Abrechnung mit Tagesschau und Tagesthemen. Darin lässt sich der erfahrene Krisenreporter unter anderem über die »sprachliche Verlotterung« aus, schimpft über die Ausdrucksweise von Chefredakteur Kai Gniffke, ständiges Geduze und Grammatikfehler in den Beiträgen. Message fragt nach, was dran ist an Fröhders Kritik, die neudeutsch wohl als analoger (Vorsicht Anglizismus!) Rant durchgehen würde*. Wie steht es um die Sprachpflege im deutschen Journalismus? Redakteure und Sprachwissenschaftler antworten.

Teil IV

Bildungs(-klein-)bürgerliches Paradoxon

von André Meinunger

Natürlich ist Journalist nicht gleich Journalist – mit einer groben, aber hoffentlich zulässigen Verallgemeinerung kann man als Sprachwissenschaftler jedoch ein Paradox konstatieren. Laut diverser Studien versteht sich eine Mehrheit der im Journalismus Tätigen als politisch eher links-grün. Die Medienmacher begreifen sich demnach also als fortschrittlicher, aufgeklärter, moderner, aufgeschlossener als der gesellschaftliche Durchschnitt. Das gilt wohl für den politischen, kulturellen, weltanschaulichen oder sozio-ökonomischen Bereich. Für die Einstellung zur Sprache gilt – das ist der angedeutete, womöglich scheinbare Widerspruch – das Gegenteil. Die schärfsten Kritiker eines ganz normalen Sprachwandels sind Leute aus dem Bereich der Medien. Wolf Schneider gilt bei einem Großteil der Journalisten als unangefochtene Koryphäe auf dem Gebiet ›gutes Deutsch‹. Der Sprachkritik betreibende Bastian Sick hat als Kolumnen-Schreiber beim bekanntesten Wochenmagazin Kultstatus erreicht. Beide gelten bei Sprachwissenschaftlern als hoch bedenklich. (mehr …)

Forschung | Sprache

Emotion statt Information (19. März 2015)

Einst galt die Zeitung von gestern als alt, heute sind es die Posts von vorhin. Wie aber schreiben, wenn die Konkurrenz keine Zeitungen, sondern soziale Netzwerke sind? Über journalistisches Texten in Zeiten von Heftig, Facebook & Co.

von Kerstin Liesem

Köln, Dienstag, 8.23 Uhr. Beobachtung in der Linie 15 vom Chlodwigplatz zum Barbarossaplatz. 22 Studierende stehen, sitzen oder lehnen im Straßenbahnabteil. Alle haben Smartphones in den Händen. Sieben von ihnen beschäftigen sich mit Facebook. Sie scrollen sich durch die Neuigkeiten ihrer Facebook-Community. Was ihnen gefällt, bekommt ein »Like«. Neun tippen SMS oder beantworten Whatsapp-Nachrichten. Zwei telefonieren. Einer schießt ein Selfie. Drei hören Musik, die von Spotify kommt. Ein ganz normaler Morgen für Angehörige der Generation »always on«.

Ständige Aufmerksamkeit bedeutet auch Stress. Glenn Wilson, Psychiater am King’s College in London, hat nachgewiesen, dass die Ablenkung durch ständige Text- und Telefonbotschaften eine größere Gefahr für den Intelligenzquotienten und die Konzentration des Menschen darstellt als der Konsum von Cannabis.

So krass, bei diesem Screenshot musste ich weinen: Mit Babys, Drogen und Riesenspinnen fangen Websites wie heftig.co und BuzzFeed Klicks; statt Berichterstattung gibt es Rührgeschichten.

So krass, bei diesem Screenshot musste ich weinen: Mit Babys, Drogen und Riesenspinnen fangen Websites wie heftig.co und BuzzFeed Klicks; statt Berichterstattung gibt es Rührgeschichten.

Dennoch: Wer Studierende befragt, wird kaum jemanden finden, der angibt, sein Smartphone nicht ständig im Blick zu haben. Besonders hoch im Kurs bei den Studierenden steht Facebook. Den hohen Stellenwert dieser Social-Media-Plattform – besonders bei der Generation der 14- bis 29-Jährigen – belegt auch die ARD/ZDF-Onlinestudie 2013: Danach verbringt diese Zielgruppe im Durchschnitt 218 Minuten täglich im Netz, die Hälfte davon in sozialen Netzwerken. Mehr als ein Drittel dieser Zeit (37 Prozent) entfällt allein auf Facebook. Aber längst nicht nur die Digital Natives nutzen das Netzwerk. 27,38 Millionen Menschen in Deutschland waren laut dem Blog allfacebook.de im Januar 2014 auf Facebook aktiv. (mehr …)

Sprache

Zustand kritisch?! (Teil 3) (18. März 2015)

Das Spiegel-Interview (7/2015) mit Christoph Maria Fröhder war eine Abrechnung mit Tagesschau und Tagesthemen. Darin lässt sich der erfahrene Krisenreporter unter anderem über die »sprachliche Verlotterung« aus, schimpft über die Ausdrucksweise von Chefredakteur Kai Gniffke, ständiges Geduze und Grammatikfehler in den Beiträgen. Message fragt nach, was dran ist an Fröhders Kritik, die neudeutsch wohl als analoger (Vorsicht Anglizismus!) Rant durchgehen würde*. Wie steht es um die Sprachpflege im deutschen Journalismus? Redakteure und Sprachwissenschaftler antworten.

Teil III

Warum heißt »Message« eigentlich nicht »Botschaft«?

von Peter Littger

Einen Gastbeitrag über Anglizismen in unserer Sprache und speziell im Journalismus zu verfassen, der dann in einem deutschsprachigen Fachmagazin veröffentlicht wird, das sich »Message« nennt, ist ein trefflicher Zufall. Denn warum heißt das Magazin nicht »Botschaft«, »Nachricht« oder gar »Funkspruch«? Weil das hölzern klingen würde und jeweils semantisch verengt wäre – also weit weniger einladend und elegant als der englischsprachige Titel. Einladend und elegant? Selbstverständlich funktionieren und wirken nicht alle Anglizismen in der deutschen Sprache so, wenn ich nur an modische Floskeln wie »rocket science« oder »learnings« denke. Ich jedenfalls spreche lieber von »Zauberei« und von »Lehren«, »Einsichten« oder »Rückschlüssen«. Doch was ist mit »Managern« oder »Mimikry«? Mit »Computern« oder »Laptops«? Klar, (mehr …)

Interview | Sprache

»Nicht zum ›Sprachrohr‹ machen lassen« (18. März 2015)

Terror, Krieg und Völkermord – Andreas Werner ist der oberste Sprachpfleger der Tagesschau-Redaktion und hat als Hüter der Richtlinien die Aufgabe, den Gebrauch von Wörtern wie zu kontrollieren. Ein Gespräch mit dem Chef vom Dienst über die Feinheiten der Nachrichtensprache.

Herr Werner, was muss man tun, um von der Tagesschau als Terrorist bezeichnet zu werden?

Werner: Terror herrscht nicht nur, aber vor allem dort, wo Menschen getötet werden, die nicht unmittelbar etwas mit einem Konflikt zu tun haben. Jeder, der einen Anschlag mit politischem Hintergrund verübt und Unschuldige, insbesondere Zivilisten tötet, muss als Terrorist gelten und darf auch Terrorist genannt werden. Es gibt aber auch Gewalt im Zuge militanter Auseinandersetzungen, die nicht bloß terroristische Züge trägt, bei der man es sich mit dem Begriff Terrorismus zu einfach machen würde – beispielsweise im Nahen Osten oder früher in Nordirland.

Was hat sich seitdem geändert?

Man hat – insbesondere nach »9/11« – gesehen, wozu Menschen in der Lage sind, die sich mit Gewalt politisches Gehör verschaffen wollen. Seitdem hat der Terror und damit auch der Begriff des Terrorismus eine neue Dimension. Terror gab es schon immer. Aber der Terror scheint bei extremistischen Kräften »hoffähiger« geworden zu sein. Er gilt radikalen Gruppierungen heute als legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung. Mithin taucht auch in der Nachrichtenwelt der Begriff des »Terrorismus« und des »Terroristen« häufiger auf.

In einigen Regionen ist »Terrorismus« ein Kampfbegriff. Eine verbindliche UN-Definition gibt es nicht, weil der Begriff so stark politisch aufgeladen ist. Warum hält die Tagesschau dennoch an seiner Benutzung fest?

Andreas Werner, 58, ist seit 30 Jahren Redakteur, zuerst bei der Frankfurter Rundschau und Die Woche, seit 1993 arbeitet er bei ARD-aktuell. Dort ist Werner seit 2001 Chef vom Dienst der Tagesschau und vor allem für die Tagesschau um 20 Uhr verantwortlich.

Andreas Werner, 58, ist seit 30 Jahren Redakteur, zuerst bei der Frankfurter Rundschau und Die Woche, seit 1993 arbeitet er bei ARD-aktuell. Dort ist Werner seit 2001 Chef vom Dienst der Tagesschau und vor allem für die Tagesschau um 20 Uhr verantwortlich.

Ich glaube nicht, dass der Terrorismus nur ein »Kampfbegriff« ist. Der Begriff impliziert eine besonders grausame Form, Konflikte auszufechten; Konflikte, die es ja in der Tat gibt. Die aber immer häufiger abseits dessen ausgetragen werden, was wir ehemals »Krieg« oder »Bürgerkrieg« nannten. Dabei muss immer wieder erwähnt werden, dass Terror ja nicht nur von militanten Gruppen ausgeübt wird, sondern auch von autoritären, totalitären und diktatorischen Regierungen. Terror ist also nicht exklusiv bei Al-Kaida oder dem »Islamischen Staat« verortet. Und auf der
anderen Seite ist etwa die »Hamas« nicht per se terroristisch.

Die Hamas schickte Menschen in Busse, und die sprengten sich darin in die Luft – unabhängig davon, ob Soldaten oder Zivilisten im Bus saßen.

Wir waren nicht zurückhaltend damit, diese Anschläge »Terroranschläge« zu nennen – weil sich die Attentate gegen unschuldige Menschen gerichtet haben. (mehr …)

Sprache

Zustand kritisch?! (Teil 2) (17. März 2015)

Das Spiegel-Interview (7/2015) mit Christoph Maria Fröhder war eine Abrechnung mit Tagesschau und Tagesthemen. Darin lässt sich der erfahrene Krisenreporter unter anderem über die »sprachliche Verlotterung« aus, schimpft über die Ausdrucksweise von Chefredakteur Kai Gniffke, ständiges Geduze und Grammatikfehler in den Beiträgen. Message fragt nach, was dran ist an Fröhders Kritik, die neudeutsch wohl als analoger (Vorsicht Anglizismus!) Rant durchgehen würde*. Wie steht es um die Sprachpflege im deutschen Journalismus? Redakteure und Sprachwissenschaftler antworten.

Teil II

Journalisten sind keine Sprachpfleger

von Horst Pöttker

Fröhders fulminante Kritik am Nachrichtenjournalismus des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ist nötig. Dass ihn die Aufsager vor Ministerien nerven, ist ebenso verständlich wie seine Aversion gegen Journalisten, denen administrative Vorgaben alles sind. Mir geht es nur um sein Klagen über sprachliche Verlotterung. (mehr …)

Sprache

»Ein Hauch von Plauderton« (17. März 2015)

Seit mehr als 60 Jahren erklärt die Tagesschau die Welt – vor allem in den ersten Jahrzehnten leider nicht immer besonders verständlich. Wie die Tagesschau das Sprechen lernte.

von Anna Wahdat

Seit den 1960er Jahren wird der Sendung immer wieder vorgeworfen, ihre Nachrichten seien zu kompliziert. Foto: sebibrux/flickr

Seit den 1960er Jahren wird der Sendung immer wieder vorgeworfen, ihre Nachrichten seien zu kompliziert. Foto: sebibrux/flickr

»Guten Abend, meine Damen und Herren. Ich begrüße Sie zur Tagesschau.« Irgendetwas war anders an diesem Märztag 2012. Es menschelte plötzlich in der 20-Uhr-Nachrichtensendung im Ersten. Der Zusatz »Ich begrüße Sie«, den der Sprecher damals sagte, war neu – eine Veränderung nach beinahe 60 Jahren Tagesschau. »Wir sind zu der Überzeugung gelangt, dass die Tagesschau am Anfang und am Ende noch zuschauerfreundlicher gestaltet werden kann«, sagte damals Thomas Hinrichs, seinerzeit 2. Chefredakteur von ARD-aktuell und heute Informationsdirektor beim Bayerischen Rundfunk. Zuschauerfreundlichkeit also als erklärtes Ziel der Nachrichtensendung, die – laut einer Quotenauswertung des Marktforschungsinstituts media montrol 2012 – die niedrigsten Zuschauerzahlen seit 20 Jahren verzeichnete: 4,92 Millionen Menschen schauten demnach im Durchschnitt die Tagesschau, 20 Jahre zuvor noch 8,33 Millionen. Die ARD bestritt zwar das Ergebnis dieser Studie. Mit einem offenen Kritikpunkt, der stets auch mit Einschaltquoten in Verbindung gebracht wird, werden die Tagesschau-Macher jedoch nicht erst seit Kurzem konfrontiert: Unverständlichkeit. (mehr …)

Sprache

Zustand kritisch?! (15. März 2015)

Das Spiegel-Interview (7/2015) mit Christoph Maria Fröhder war eine Abrechnung mit Tagesschau und Tagesthemen. Darin lässt sich der erfahrene Krisenreporter unter anderem über die »sprachliche Verlotterung« aus, schimpft über die Ausdrucksweise von Chefredakteur Kai Gniffke, ständiges Geduze und Grammatikfehler in den Beiträgen. Message fragt nach, was dran ist an Fröhders Kritik, die neudeutsch wohl als analoger (Vorsicht Anglizismus!) Rant durchgehen würde*. Wie steht es um die Sprachpflege im deutschen Journalismus? Redakteure und Sprachwissenschaftler antworten.

Teil I

Unnötig und unsachlich

von Udo Stiehl

Was Christoph Maria Fröhder beschreibt, ist eine Entwicklung, die keineswegs neu ist – über die in dieser Deutlichkeit aber zu wenig gesprochen wird. Im Nachrichtengeschäft ist ein Wettlauf um »mehr Emotion«, »mehr Nähe« und »bildhafte Texte« entstanden. Mit Worten wird um Aufmerksamkeit und Reichweite gebuhlt: Die Form rückt vor den Inhalt. Viele öffentlich-rechtliche Sender haben sich (mehr …)

Sprache

Über Geschmacksverstärker (15. März 2015)

Natürlich muss man Texte würzen – nur nicht mit unnützen Vorsilben,
Phrasen und schiefen Metaphern. Eine Polemik über Sprachmarotten
in deutschen Redaktionen.

von Peter Zudeick

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Mit Glutamat – dessen Strukturformel wir hier ein wenig umgestaltet haben – wird das Phrasenschwein erst recht ungenießbar. Illustration: Ute Lederer

Wenn Politiker und andere Gestalten des öffentlichen Lebens öffentlich reden, haben Journalisten viel Spaß. Denn wo viel geredet wird, kommt auch ziemlich viel Unsinn heraus. Und es wird viel geredet, vor allem in der Politik. Viel zu viel. Nicht nur im Bundestag, im Bundesrat, auf Parteitagen, Konferenzen, in Interviews, Talkshows und anderen Sabbelrunden. Vor allem Spitzenpolitiker müssen ständig irgendein Zeug reden. Und so hört sich das dann auch an. (mehr …)