von Juliane Baxmann
„Ich habe nicht studiert, komme aus einer Arbeiter*innenfamilie und das war im Verlauf meiner Karriere immer wieder ein Problem“, sagt Isabell Beer, 27. Sie ist Investigativ-Journalistin und arbeitet unter anderem für Funk, das Jugendangebot von ARD und ZDF. Sie wurde für den Deutschen Reporterpreis nominiert und gewann 2019 den Newcomerpeis der Otto Brenner Stiftung. Eigentlich kann man sagen: Isabell Beer hat es geschafft. Sie hat sich einen Namen in der Branche gemacht. Aber nur eigentlich.
Trotz preiswürdiger Recherchen bekam sie auf Bewerbungen nur Absagen. Forderungen nach anderen Sicherheiten (Pauschalen etc.) wurden abgelehnt. Von den gebotenen Honoraren konnte sie nicht leben. Anerkennung für die Leistungen einer jungen, offenbar talentierten Reporterin sieht in ihren Augen anders aus. „Ich hatte ein abgeschlossenes Volontariat und trotzdem hieß es immer wieder, dass ich doch mal studieren gehen sollte. Ich war nie genug“, sagt Beer.
Nach Erfahrungen mit einer Wochenzeitung, die Beer als enttäuschend bewertet, arbeitete sie als freie Journalistin, bis sie 2019 zu Funk kam. „Ich glaube, wäre das nicht passiert, wäre ich gar nicht mehr im Journalismus. Ich hatte dort endlich eine Sicherheit, auch ohne Studium“, sagt Beer heute.
Tatsächlich haben drei Viertel der Journalist*innen in Deutschland ein abgeschlossenes Studium, wie aus einer Studie von 2017 hervorgeht – eine Steigerung um 6,7 Prozentpunkte im Vergleich zu 2005.
Als Reaktion auf fehlende Bildungsdiversität führte der MDR in diesem Jahr das Ausbildungsprogramm MDR fresh ein, ein neunmonatiges Kurz-Volontariat für Menschen mit diversen Hintergründen. Die Hürden des klassischen Berufseinstiegs per Volontariat erscheinen vielen potenziellen Kandidat*innen zu hoch. Beim „großen Volo“ spricht der Leiter des MDR-BildungsCentrums, Frank-Thomas Suppee, von einer „Bestenauslese“. Andere Bewerber*innen hätten es da schwer.
Genaue Voraussetzungen für die Bewerbung bei MDR fresh gibt es nicht. Das Programm wird mit 1.790 Euro brutto im Monat vergütet. Absolvent*innen haben die Möglichkeit, als freie*r Mitarbeiter*in übernommen zu werden oder sich auf das große, 24-monatige Volo zu bewerben. Ganz abbauen kann MDR fresh die „Hürde Volo“ also auch nicht.
Der Soziologe Andreas Kemper erforscht sogenannten Klassismus[1] in den Medien. Ein Diskriminierungsbegriff, der eigentlich untergegangen sei, „da es in Deutschland eigentlich keine Klassengesellschaft mehr gibt“, sagt Kemper. Aber wieder nur eigentlich. Nach wie vor wird Journalismus überwiegend von einem bestimmten Teil der Gesellschaft für eine bestimmte Gruppe gemacht. Laut Kemper steckt dahinter auch wirtschaftliches Kalkül der Medienhäuser: „Wer kann sich bestimmte Medien leisten? Wer versteht, was in diesem Medium geschrieben steht oder gezeigt wird?“ Die Klassenunterschiede sieht Kemper aber nicht nur beim Publikum: „Auch unser Hochschulsystem ist klassistisch“, sagt der Wissenschaftler und verweist darauf, dass Kinder aus Arbeiter*innenfamilien seltener ein Studium anfangen als Akademiker*innenkinder.
Uwe Krüger lehrt Journalismus an der Universität Leipzig und hält einen gewissen Grad der Akademisierung für gut, weil sie reflektiertes Denken anstoße und die Studierenden lehre, Dinge kritisch zu hinterfragen. „Auf der anderen Seite ist diese privilegierte Bildung schlecht für die Problemperspektive, um Problemzugänge zu schaffen und Vertrauen zur Gesellschaft aufzubauen“, sagt Krüger. Den Journalist*innen fehlen also Einblicke und Einfühlungsvermögen in andere Teile der Gesellschaft.
„Wir müssen im Journalismus mehr Brücken bauen und Menschen Sachen verstehen lassen“, sagt Beer. Sie ruft betroffene Nachwuchsjournalist*innen dazu auf, sich Verbündete mit einem ähnlichen Hintergrund zu suchen, um Netzwerke aufzubauen, in denen man sich austauschen kann.
Solche Netzwerke entstehen durch Programme wie MDR fresh irgendwann automatisch. Aber das braucht Zeit. Immerhin: Der Bayerische Rundfunk startet im Herbst das PULS Talente Programm für Menschen mit „unkonventionellen Biografien“. Netzwerk Recherche und die Neuen deutschen Medienmacher*innen ermöglichen mit dem Vielfalt-Fellowship Journalist*innen mit Einwanderungsgeschichte, Rassismus- und/oder Armutserfahrung außerdem Praktika in Investigativ-Redaktionen.
[1] Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft oder der sozialen und ökonomischen Position