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»Das Zeitungssterben geht unvermindert weiter«
Penelope Abernathy ist eine Pionierin in der Forschung zu Nachrichtenwüsten. Wie blickt sie auf die Entwicklung der Medienlandschaft in den USA und was könnte Deutschland drohen?
Prof. Abernathy, Sie erforschen die Entstehung von Nachrichtenwüsten in den USA. Wie schlimm ist es?
In mehr als 200 der 3.100 Landkreise in den USA existieren keine Nachrichtenmedien mehr. Die Hälfte hat nur noch eine lokale Nachrichtenquelle. Tageszeitungen fehlen sogar in zwei Dritteln der Landkreise.
Und besser wird es erstmal nicht, oder?
Wir haben seit 2005 rund 2.500 Zeitungen verloren – mehr als ein Viertel aller Blätter im Land. Und bis Ende 2025 könnte ein Drittel der noch existierenden Zeitungen wegfallen. Zusätzlich haben die USA 60 Prozent der Reporter verloren.
Was bedeutet das für die Gesellschaft?
Ohne Lokalzeitung fehlt die Berichterstattung, die den Menschen hilft, täglich kluge Entscheidungen zu treffen. Hinzu kommt: Schätzungen zufolge werden 85 Prozent der Geschichten von nationalem Interesse zunächst von einer lokalen Nachrichtenorganisation aufgegriffen. Wenn ein Thema also an dieser Stelle nicht auffällt, kann ein Problem, das nationale Tragweite hätte, nicht national bekannt werden.
Sie sehen Risse im Fundament der Demokratie?
In einer Demokratie entsteht der unmittelbare Kontakt zur Politik auf lokaler Ebene. Man braucht ein System, das erklärt, was da vor sich geht und wie das mit den Vorgängen auf nationaler Ebene zusammenhängt.
Was passiert in einer Gemeinde ohne eigenes Medium?
Drei Dinge passieren: Erstens geht die Wahlbeteiligung zurück. Zweitens nimmt die Korruption in Politik und Wirtschaft zu und die Steuern gehen rauf, weil niemand die Verantwortlichen kontrolliert, wie sie mit Steuergeldern umgehen. Drittens: Desinformation und Fehlinformationen verbreiten sich stärker.
Die Forschung zu Nachrichtenwüsten nimmt vor allem die gedruckte Zeitung in den Fokus. Was ist mit digitalen Medien?
Wenn eine Zeitung stirbt, kann ein digitales Medium ihren Platz einnehmen. Aber: Die meisten neuen lokalen Digitalmedien überleben nicht länger als fünf Jahre. Hinzu kommt: Von den rund 600 lokaljournalistischen Websites in den USA berichten mehr als 90 Prozent aus großen Städten, in denen es bereits andere digitale Medien gibt.
Kann der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht dort einspringen, wo andere Medien aussterben?
Wir haben in den gesamten USA nur einige Hundert öffentliche TV-Sender, von denen nur elf überhaupt lokale oder nationale Nachrichten im Programm haben. Von den 1.200 öffentlichen Radiostationen sendet nur jede vierte tatsächlich lokale Inhalte oder erstellt diese Inhalte vor Ort.
In einigen US-Bezirken übernehmen deshalb Journalismus-Studierende die Lokalberichterstattung. Können diese journalistischen Welpen die Wachhunde sein, die es braucht?
Es ist eine ermutigende Entwicklung, dass sich 100 Universitäten im Lokaljournalismus engagieren. Das Problem: Es fehlt die Kontinuität, weil ein Studium nur eine begrenzte Zeit dauert und die Studierenden dann wieder weg sind. Außerdem muss man sich auf engagierte Professoren verlassen, die die Verantwortung übernehmen.
Immerhin: Das große Zeitungssterben infolge der Pandemie ist nicht wie erwartet eingetreten. Ein Hoffnungsschimmer?
Während der Pandemie konnten kleine Zeitungen Kredite bekommen, wenn sie die Zahl der Mitarbeiter konstant hielten. Jetzt ist das Geld weg. Das Zeitungssterben geht unvermindert weiter. Wir hatten es nur noch schlimmer erwartet.
Die Fragen stellte Larissa Scheidt.
16. August 2023