#nr21 | Medienkritik
Die Ausländer sind schuld
Bei der Berichterstattung über Menschen mit Migrationshintergrund kramte der Boulevard-Journalismus tief in der Klischeekiste. Warum machten manche Journalist:innen aus Clan-Hochzeiten Schuldzuschreibungen?
von Betül Sarikaya
Im Verlauf der Corona-Pandemie berichtete die Bild- Zeitung von „Parallelgesellschaften“, „Großhochzeiten“ und „Clan-Familien“ als mögliche Pandemietreiber. Anfang März trat das Medium eine Kampagne zum vermeintlich hohen Anteil von Migrant:innen auf Covid-Intensivstationen los. Der Artikel bezog sich auf ein Gespräch zwischen dem Leiter des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, und Chefärzt:innen diverser Kliniken. Obwohl Wieler den Schlussfolgerungen der Bild widersprach, blieb die Zeitung bei ihrer Stoßrichtung, weil angeblich „schon im Zuge der ersten Corona-Welle ‚Balkan-Rückkehrer‘ und Heimaturlaube zu den Treibern des Infektionsgeschehens gezählt“ hatten. Nur: Die RKI-Daten beweisen das keineswegs.
Falsche Schlussfolgerungen
Laut Keywan Tonekaboni von den Neuen Deutschen Medienmacher*innen ist es nicht das erste Mal, dass „migrantisch gelesene Menschen als Problem geframed“ werden: „Migration dient als monokausale Erklärung für eine Problemlage. Das kennen wir aus anderen Bereichen. Bei Corona war es wieder der Fall“. Richtig ist, dass Menschen mit Migrationshintergrund stärker von Covid-19 betroffen sein können. Ursachen dafür liegen aber nicht in der ethnischen Zugehörigkeit, sondern in sozioökonomischen Faktoren. Die Betroffenen leben häufiger in dichtbesiedelten Gegenden und beengten Wohnverhältnissen. Auch sind sie oft in Berufen mit stärkerem Risiko tätig, wie in der Alten- und Krankenpflege, als Reinigungskräfte, in Supermärkten oder bei Zustelldiensten.
Belege? Fehlanzeige!
Über diese Ursachen berichteten einige Leitmedien. Auch Bild hat erkannt, dass Armut ein Infektionsrisiko darstellt, versäumt aber nicht zu betonen: „Unklar bleibt nun aber, warum Menschen mit Migrationshintergrund ausgerechnet bei der schützenden Impfung zurückschrecken, wie es Gesundheitsminister Spahn in der CDU-Präsidiumssitzung angedeutet hat.“
Belege? Fehlanzeige! Tonekaboni widerspricht zugleich: „Bei Impfaktionen wie in Köln-Chorweiler hat man gesehen, dass der Zuspruch sehr hoch war. Da bleibt ein großes Fragezeichen, ob die Impfbereitschaft unter Migrant:innen wirklich niedriger ist.“ Solange Redaktionen die Diversität der Gesellschaft nicht abbilden, könne es zu „inhaltlichen Kurzschlüssen“ kommen: „Eine migrantische Großhochzeit wird als fremd geframed und möglicherweise wird ein stärkeres Augenmerk daraufgelegt. Währenddessen werden andere Kulturpraktiken, die als einheimisch etikettiert werden, differenzierter betrachtet“.
Neben Vorurteilen könnten auch fehlende Zugänge eine Rolle spielen. Oft werde gar nicht mit den Betroffenen geredet: „Entweder weil es zu viel Aufwand ist, oder weil man den Zugang nicht hat – oder beides.“
1. Juli 2021