#NR23 | Prekarisierung
Eine Frage der ­Schmerzgrenze

Als freie Journalistin und Autorin ist das Schreiben Verena Carls Leidenschaft. Doch wegen schlechter Bezahlung muss sie Aufträge ablehnen, Abstriche bei der Recherche machen oder Ausbeutung hinnehmen.

 

Verena, Warum bist du freie Journalistin geworden?
Ich habe mehrere Jahre als festangestellte Redakteurin gearbeitet und nebenbei angefangen, Romane zu schreiben. Auf Dauer ging nicht beides parallel. Ich hatte damals die Vorstellung, dass ich meine Zeit besser koordinieren könnte, wenn ich frei arbeiten würde. Also habe ich gekündigt.

Verena_Carl-4108_by Isadora TastWusstest du damals schon, worauf du dich einlässt?
Ja und das hat sich zum Teil bewahrheitet. Mit Schnelligkeit, guter Vernetzung, Ideen und Kontaktfreudigkeit ist es aufgegangen. Nur: Im Laufe der Zeit sind zwar meine persönlichen Ansprüche und die Themenvielfalt gewachsen – die Honorare aber nicht. Als prekär würde ich mein Arbeitsleben trotzdem nicht bezeichnen.

Erwischst du dich dabei, dass du dich selbst ausbeutest?
Unter einem bestimmten Tagessatz arbeite ich selten. Nur dann, wenn mich ein Thema kickt. Oder für mein eigenes Renommee.

Wie viele Artikel schreibst du im Monat?
Letztes Jahr hatte ich einen Rekord mit 70 Rechnungen. Mein normales Pensum liegt bei vier bis fünf Texten im Monat.

Und das reicht zum Überleben?
Ich kann nicht klagen. Dass ich finanziell auf großem Fuß lebe, kann ich trotzdem nicht behaupten.

Lohnt es sich, mit Redaktionen zu verhandeln?
Natürlich. Innerhalb eines bestimmten Rahmens geht das. Am Ende muss man für sich selbst definieren, wo die Schmerzgrenze liegt.

Wo liegt deine?
Für eine schöne Geschichte, die ich nur in einer Tageszeitung oder online veröffentlichen kann, arbeite ich auch mal zwei Tage für 130 Euro insgesamt. Aber das ist wirklich die Ausnahme. Man muss auch »Nein« sagen können. In der Regel lehne ich alles ab, das unter einem Tagessatz von 300 Euro liegt.

Kann man auf Verständnis aus den Redaktionen hoffen?
Vielen Redakteur*innen ist nicht klar, was die reale Arbeitszeit von Freien ist. 400 Euro für ein Interview klingt nach einem ordentlichen Honorar, aber man muss anteilig auch alles andere mit einrechnen: Büroorganisation, Buchhaltung, Abstimmungsschleifen, Exposés und Konzepte, Besprechungen, Fortbildungen sowie Krankheits- und Urlaubstage.

Was würdest du dir wünschen?
Mehr Solidarität, auch zwischen Festen und Freien. Dass Redakteur*innen zu ihren Vorgesetzten gehen und weitergeben, dass die Bezahlung nicht fair ist. Aber welche Redakteur*innen wollen sich bei der Chefetage unbeliebt machen? Es sind strukturelle Probleme. Und gegen die kommt man alleine nicht an.

Und der Berufsverband »Freischreiber« kann nichts dagegen ausrichten?
Als die Freischreiber 2008 gegründet worden sind, war ich mit dabei. Damals hatte ich schon die Vorstellung, dass wir gemeinsam die Macht haben zu sagen: »Für die Honorare arbeiten wir alle nicht.« Es sind auch immer wieder einzelne Erfolge erzielt worden, da haben Aktive im Verband viel tolle, ehrenamtliche Arbeit geleistet. Aber die generelle Stagnation oder sogar den Rückgang der Honorare haben wir trotzdem nicht aufhalten können. Auch deshalb haben viele resigniert dem Beruf den Rücken gekehrt.

Leidet die Qualität, wenn du schlecht bezahlt wirst?
Schlechte Qualität liefere ich nicht ab. Aber ja, ich muss Abstriche machen. Im Zweifelsfall heißt das: eine Studie weniger lesen, ein, zwei Gespräche weniger, den einen oder anderen Aspekt weglassen.

Bist du als Magazin-Journalistin vom Kahlschlag bei RTL/Gruner + Jahr betroffen?
Absolut. Von den 23 Magazinen, die jetzt eingestellt wurden, habe ich für sieben geschrieben. Nur ein Magazin ist übriggeblieben. Aktuell bin ich wieder neu auf der Suche, woher das Geld kommt.

Zermürbt dich die Unsicherheit?
Glücklicherweise bin ich psychisch ziemlich stabil. Ich kann aber absolut nachvollziehen, dass es anderen freien Journalist*innen mental schlecht geht. Die Situation kann sehr belastend sein.

Willst du auch in Zukunft weiterhin als Freie arbeiten?
Das weiß ich tatsächlich nicht. Wenn ich irgendwie mit Schreiben mein Geld verdienen kann, dann mache ich das auch. In welcher Form das sein wird, steht auf einem anderen Blatt. Ich kenne sehr viele in meinem Alter, die ausgestiegen sind. Mit ihren Fachkenntnissen sind sie in die Industrie, die PR oder in die interne Kommunikation gegangen. Gerade die guten Leute finden meist gut bezahlte Jobs – aber eben nicht mehr im Journalismus. Und das ist schade.

Die Fragen stellte Anne-Kathrin Oestmann.

 

16. August 2023