Sicherheit
Exiljournalist:innen in Deutschland: Leben zwischen Herkunfts- und Exilland
Journalist:innen fliehen aus ihren Heimatländern, weil sie dort wegen ihrer Arbeit bedroht werden. Im Exil sind sie zwar in Sicherheit, aber selten glücklich.
von Sinan Yener
Jedes Jahr werden Journalist:innen weltweit aufgrund ihrer Recherchen getötet oder inhaftiert. Ruhollah Zam ist einer von ihnen. Der persische Journalist wurde im vergangenen Jahr wegen seiner Beteiligung an Protesten im Iran hingerichtet.
Unterdrückung, Unsicherheit und Angst zwingen Journalist:innen ins Exil zu gehen. Dort sind sie zwar in Sicherheit, doch das bedeutet nicht, dass sie wie gewohnt weiterleben und arbeiten können. In Deutschland fehlt es ihnen vor allem an Aufmerksamkeit und Unterstützung, wie Interviews mit Exiljournalist:innen aus acht verschiedenen Ländern zeigen, die im Rahmen einer Masterarbeit entstanden sind. Bislang wurde der Exiljournalismus nur wenig erforscht. Die Gespräche mit den Exilant:innen bieten daher interessante Einblicke und zeigen: Die Flucht aus Ländern wie Afghanistan, der Türkei oder dem Iran, ist nur der erste Schritt auf einem schwierigen Weg.
Einer von dutzenden Journalist:innen, die in den vergangenen Jahren aus Sicherheitsgründen im deutschen Exil einen Zufluchtsort gefunden haben, ist Ahmad Walli Temory. „Die Taliban haben meinen 19-jährigen Bruder wegen meiner Arbeit getötet“, erzählt der afghanische Exiljournalist. Die islamistische Terrororganisation Taliban und der IS bedrohen und ermorden Journalist:innen, um kritische Stimmen unter Druck zu setzen. Allein in Afghanistan wurden im vergangenen Jahr acht Journalist:innen wegen ihrer Arbeit getötet. Eine andere afghanische Journalistin, die anonym bleiben möchte, erzählt, dass oft Frauen betroffen seien. Es sei nicht erwünscht, dass Frauen in Afghanistan arbeiteten. Allein im März dieses Jahres wurden dort drei Mitarbeiterinnen eines Fernsehsenders von Islamisten erschossen.
Der türkische Journalist Cevheri Güven erzählt, dass nach dem Putschversuch in seiner Heimat im Jahr 2016 in den sozialen Medien Listen von Journalist:innen kursierten, die verhaftet werden sollten. Unter den Namen sei auch sein Name gewesen, weshalb er mit seiner Familie nach Griechenland floh. Auch dort stand er unter Beobachtung der türkischen Geheimdienste. „Der türkische Botschafter in Athen hat offiziell meine Rückkehr von außerhalb Griechenlands beantragt.“ Daraufhin entschied sich Güven, nach Deutschland zu kommen. In seinem Heimatland läuft wegen mutmaßlicher Beziehungen zur Gülen-Bewegung immer noch ein Verfahren gegen ihn, in dem er zu 65 Jahren Haft verurteilt werden könnte.
Die Situation der Journalist:innen im deutschen Exil
Alle interviewten Exiljournalist:innen geben an, dass sie hart kämpfen müssen, um in Deutschland arbeiten und leben zu können. Sie berichten von finanziellen und sozialen Problemen – etwa aufgrund der Sprachbarriere. Einerseits sind diese Journalist:innen im Exil zwar frei und riskieren nicht, jeden Moment verhaftet, bedroht oder gar getötet zu werden. Auf der anderen Seite verlieren sie ihren im Heimatland oft jahrelang erarbeiteten Status. „Mein Leben wurde zerstört. Ich kann nicht mehr meinen Job ausüben“, berichtet die Exiljournalistin Zübeyde Sari, die in der Türkei jahrelang als Korrespondentin tätig war. Um weiter in ihren Job arbeiten zu können, verließ sie ihre Familie, ihr soziales Umfeld und kam nach Berlin. Hier arbeitet sie für das türkische Exilmedium Özgürüz. Sie macht deutlich: „Keiner von uns hat freiwillig sein Land verlassen. In Europa zu leben ist keine Belohnung für mich, sondern eine Strafe. Ich bin eine Korrespondentin, die vor Ort arbeitet. Meine Waffen sind meine Wörter. Im Moment lebe ich in einem Land, dessen Sprache ich nicht spreche und ich kenne auch dessen Regionen nicht. Jeder soll wissen, dass im Exil leben eine Strafe für uns Exiljournalisten ist.“
Viele der Exiljournalist:innen haben nur eine begrenzte Aufenthaltserlaubnis und stehen somit unter Druck, gleichzeitig die deutsche Sprache zu erlernen und in Vollzeit zu arbeiten. In der Folge müssen Journalist:innen im Exil ihren journalistischen Beruf aufgeben und andere Tätigkeiten ausüben, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Einige der Interviewten gaben an, dass sie deshalb Nebenjobs in einer Bäckerei oder der Automobilindustrie hätten.
„Ich verabscheue niemanden, aber es ist die Realität, denn obwohl du ein professioneller Journalist bist, ist es schwer, deinen Lebensunterhalt zu verdienen. Entweder muss man zusätzliche Arbeit leisten oder auf freiwilliger Basis arbeiten“, klagte die Journalistin Suheyla Kaplan. Einige ihrer Freunde arbeiteten in Reinigungsfirmen oder als Taxifahrer:innen. Aber: „Es ist nicht richtig für Journalisten, nebenbei zu arbeiten. Finanzielle Sicherheit ist unerlässlich, wenn Qualitätsjournalismus gewünscht wird.“
Alle interviewten Journalist:innen berichteten auch von den Schwierigkeiten, ihre journalistischen Aktivitäten fortzusetzen, da sie die deutsche Sprache nicht ausreichend beherrschten. Um deutsche Leser zu erreichen, sind sie auf Hilfe angewiesen, um ihre Berichte ins Deutsche übersetzen und korrigieren zu lassen. Aus diesem Grund bevorzugen sie, für Exilmedien zu arbeiten, für die sie in ihrer eigenen Sprache schreiben können. Die Zielgruppen der Exiljournalist:innen sind demnach entweder in Deutschland lebende Einwanderer oder Menschen in ihrem Herkunftsland. Um diese aus dem Exil erreichen zu können, gründen Exiljournalist:innen häufig Online-Nachrichten-Plattformen. Das Internet wird damit zum großen Vorteil des heutigen Exiljournalismus. Ein Beispiel ist der vom aserbaidschanischen Exiljournalisten Emin Milli und Aktivisten gegründete Onlinesender Meydan TV. Das Exilmedium erreicht mit einer halben Million Follower zahlreiche Menschen in Aserbaidschan. Ihre Videos würden teilweise innerhalb von drei Tagen drei Millionen Mal aufgerufen. Das zeige ein großes Interesse der Bürger:innen. Der aserbaidschanischer Exiljournalist Hebib Müntezir ist der Meinung, dass Bürgerjournalismus ein großer Erfolg sei, täglich erreichten über 50 Nachrichten mit Bildern und Videos von Bürger:innen die Meydan TV-Redaktion. Es sei jedoch nicht möglich, in Aserbaidschan eine zweite Redaktion zu haben. „Wir hatten Büros in Berlin, Baku und Tiflis. Unser Büro in Baku mussten wir wegen des großen Drucks schließen. Wir haben auch unser Büro in Tiflis geschlossen, denn einem unserer Mitarbeiter wurde dort wegen seiner journalistischen Tätigkeiten ein Sack über den Kopf gezogen und er wurde illegal nach Aserbaidschan verschleppt. Er ist immer noch im Gefängnis“, so Müntezir.
Auch das türkisch-deutsche Onlinemedium Özgürüz, welches von den türkischen Exiljournalisten Can Dündar und Hayko Bagdat gegründet wurde, erreicht mit seiner Berichterstattung über soziale Medien täglich hunderttausende Menschen. Die Einrichtung eines Exilmediums ist jedoch eine große Herausforderung, da Exilmedien in Deutschland stark von Spenden abhängig sind. Da diese aber nur sehr begrenzt zur Verfügung stehen, arbeiten die meisten Journalist:innen bei Exilmedien für einen geringen Lohn. Deshalb sei es schwierig, unter diesen Bedingungen neue Mitarbeiter:innen zu finden, erklärt auch ein anderer türkischer Exiljournalist, der anonym bleiben möchte: „Unsere Kollegen arbeiten mit wenig Gehalt. Deswegen ist es schwierig, jemanden zu finden. Auch Aufenthaltstitel für diese Journalist:innen zu erhalten, ist sehr hart. Es gibt Journalist:innen, die nach Deutschland und zu uns kommen wollen, aber wenn wir keine Aufenthaltstitel für sie bekommen, können sie nicht weiter bei uns arbeiten.“
Auch die Online-Angebote Amal, Berlin! und Amal, Hamburg! wurden von den Journalistinnen Julia und Cornelia Gerlach gegründet, damit Exiljournalist:innen in ihrer Muttersprache schreiben können. Aktuell liegen dort zwar keine Probleme in Hinblick auf die Finanzierung vor. Nichtsdestotrotz könnte es den Gründerinnen zufolge in Zukunft schwierig werden, da das Projekt zunächst nur für drei Jahre finanziert ist.
Mangelnde Unterstützung
Insgesamt sind die interviewten Journalist:innen sehr unzufrieden mit ihrer Situation vor allem in Hinblick auf die Unterstützung aus der deutschen Branche, da deutsche Medien kaum Exiljournalist:innen anstellen. Einige Journalist:innen sind auch der Meinung, dass das Interesse von Organisationen und Stiftungen an ihnen verloren gegangen sei. Diese Organisationen würden zwar zunächst Exiljournalist:innen als Gäste zu ihren Programmen einladen, aber dann vergäßen sie die Bedingungen, unter denen Exiljournalist:innen arbeiten, und welche Schwierigkeiten sie haben, nachdem ihre Programme beendet sind. Der persische Exiljournalist Ehsan Mehrabi meinte, dass es am Anfang seiner Exilzeit ein Interesse von Institutionen und Stiftungen gegeben habe, aber später seien die Kontakte abgebrochen. „Nach zwei Jahren habe ich das Gefühl, dass sie mich ganz vergessen haben“, so Mehrabi. Der syrische Exiljournalist Abdolrahman Omaren ist derselben Meinung: „Am Anfang hatten die Medien Interesse an Exiljournalisten und sie haben Workshops angeboten und unsere Geschichten wurden veröffentlicht. Aber danach ist irgendwie dieses Interesse verloren gegangen und wir wurden vergessen. Die Geschichten von Exiljournalist:innen, die veröffentlich wurden, wurden auch nicht bezahlt.“ Özgürüz-Mitarbeiterin Sari fordert darüber hinaus, Plattformen oder Arbeitsplätze für Exiljournalist:innen anzubieten, wenn man Exiljournalist:innen ernsthaft helfen wolle. „Die Organisationen veröffentlichen ihre Meinungen über die Türkei und sagen, wir machen uns Sorgen um die Situation der Journalisten in der Türkei. Das bringt uns aber nichts. Wir wollen Lösungen sehen. Kein Mitleid“, so Sari.
Der Exiljournalist Alexsei Bobrovnikov aus der Ukraine sagt: „Wir sind nur hier, um zu helfen. Wir sind nicht hier, um ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen, wir sind hier, um zu tun, was wir wollen, wir sind wachsam und ausgebildet, um zu berichten“, sagt Bobrovnikov.
Rückkehr
Die Mehrheit der Exiljournalist:innen will in die alte Heimat zurückzukehren, aber Krieg und die aktuelle politische Situation in den Heimatländern macht die Rückkehr den meisten Fällen unmöglich. Zermürbend ist vor allem die Ungewissheit, ob und wann sich die Zustände vor Ort verbessern werden. „Der Krieg in Syrien kann sehr lange, 10 oder 20 Jahren dauern, deswegen ist es im Moment nicht denkbar“, so Omaren. Auch Müntezir wartet auf einen Machtwechsel in Aserbaidschan, denn die Zukunft hänge vom Präsidenten Ilham Alijew ab, dessen Familie seit Jahrzehnten im Land herrscht. Wann und unter welchen Bedingungen die Journalist:innen zurückkehren können, ist nicht vorherzusagen.
5. August 2021