#NR23 | Interview
»Ich operiere, was kommt«

Für seine Live-Interviews ist Armin Wolf über Ländergrenzen hinweg bekannt. Warum der mehrfach ­preisgekrönte österreichische Fernsehmoderator trotzdem an den meisten seiner Interviews scheitert, wie angriffslustig Journalistinnen und Journalisten heutzutage sein sollten und welche zwei Dinge für ein Interview wirklich wichtig sind.

 

Herr Wolf, ein Kollege von Ihnen hat gesagt, man könne ein gelunge­nes Interview mit einer guten Soße vergleichen. Welche Zutaten dürfen ihrer Meinung nach nicht fehlen?
Ich würde das gar nicht so vergleichen. Ein gutes Interview ist ein Interview, nach dem man mehr über das Thema oder die Person weiß als vorher und sich dabei möglichst nicht gelangweilt hat.

War das denn nun eine gelungene Einstiegsfrage?
Für jemanden wie mich, der nicht kochen kann: Nein. (lacht)

PeterRigaud_Pressefoto2Interview ist ja auch Handwerk, also Vorbereitung. Wie findet man einen neuen Dreh für ein Interview mit Personen, die schon x-mal interviewt wurden?
Indem man diese Interviews zuvor alle gelesen hat und sich überlegt, für wen man das Interview überhaupt macht. Selbst einer Person, die schon hundertmal interviewt worden ist, müssen Sie keine extrem originellen Fragen stellen, wenn Sie für ein Publikum interviewen, das mutmaßlich den allergrößten Teil dieser Interviews nicht kennt. Die wichtigsten Fragen sind immer die, von denen Sie glauben, dass Ihr Publikum sie stellen würde.

Wie gelingt es, Ihre Interviews in der ZIB 2 für Jung und Alt informativ und interessant zu gestalten?
Schwierig, aber die ZIB 2-Zuseher*innen haben trotzdem etwas gemeinsam: Sie sind grundsätzlich an Politik oder am aktuellen Zeitgeschehen interessiert. Da ist das Alter schon wieder weniger wichtig. Eigentlich geht es aber mehr um das Thema. Wir reden im Normalfall mit wichtigen politischen Entscheidungsträger*innen oder mit Menschen aus Wirtschaft und Kultur, schon relativ breit, nicht super speziell. Die Altersfrage ist bei einem Aspekt wichtig: Ältere Zuseher*innen hassen es, wenn ich unterbreche, Jüngere finden es amüsant.

Inwieweit darf ein journalistisches Interview auch unterhaltend sein?
Es stört nicht, wenn ein Interview unterhaltend ist, aber es muss zum Thema passen. Was ein Interview nicht soll, ist langweilen. So verlieren Sie ihr Publikum sehr schnell und dann können Sie genauso gut zu einer Wand sprechen oder Tagebuch schreiben – das ist nicht der Sinn der Sache. Insofern ist es wichtig, jedes journalistische Format so aufzubereiten, dass es Menschen nicht offensiv langweilt.

Wie gehen Sie in einer Live-Sendung damit um, wenn Sie mit Fakten konfrontiert werden, deren Wahrheit Sie ad hoc nicht überprüfen können?
Schwierig und unangenehm. Das sollte so selten wie möglich passieren und deswegen gibt es für ein Interview nur zwei Dinge, die wirklich wichtig sind: Vorbereitung und Zuhören. Falls es trotzdem einmal passiert und ein*e Interviewpartner*in etwas herauszieht, das Sie in der Vorbereitung nicht finden konnten und das möglicherweise gar nicht stimmt, können Sie im Normalfall nur sagen, dass Sie das jetzt nicht überprüfen können, und müssen einfach weiterfragen.

Sie sind dafür bekannt, die Gegenposition einzunehmen, um Politiker*innen aus der Reserve zu locken. Wie reagiert man, wenn sich Interviewpartner*innen in Widersprüchen verstricken?
Darauf hinweisen. Das ist ja mitunter ein Ziel des Interviews. Ich mache eine sehr spezielle Form von Interview mit wichtigen Entscheidungsträger*innen. Dabei geht es darum, deren Positionen kritisch zu hinterfragen, Gegenargumenten und Widerspruch auszusetzen,damit sie nicht nur etwas verkünden, sondern es auch argumentieren müssen. Das Publikum kann sich dann überlegen, ob es das überzeugend findet. Wenn es also Widersprüche gibt, muss man diese im Gespräch herausarbeiten.

Während des Interviews: Achten Sie eigentlich auch auf die Körpersprache Ihres Gegenübers, auf dessen Mimik, die ja anzeigen kann, ob sich dessen Stimmung verdüstert?
Idealerweise würde man das – ich kann es leider nicht. Es überfordert mich. Ein Live-Interview ist eine sehr stressige Geschichte, weil Sie währenddessen so viele inhaltliche Entscheidungen treffen müssen. Ich bin froh, wenn es mir gelingt, sehr aufmerksam zuzuhören, inhaltlich durchzubringen, was ich mir vorgenommen habe, und trotzdem mitzubekommen, wenn etwas anders läuft, als ich es mir vorgestellt habe. Ich bin so auf den Inhalt konzentriert, dass ich nicht mitkriege, wenn beispielsweise ein Interviewpartner auf seinem Sakko-Revers irgendeinen Sticker trägt. Manchmal fragt mich meine Frau nach der Sendung: »Was war das denn?« und ich habe es nicht einmal bemerkt. Der Stress ist vermutlich auch ein Grund, warum die meisten Interviews scheitern.

Das sagen Sie über ihre eigenen Interviews auch, obwohl Sie einer der erfolgreichsten Fernsehmoderatoren im deutschsprachigen Raum sind. Ist das Koketterie?
Das ist überhaupt keine Koketterie, ich scheitere an praktisch allen Interviews. Seit ich die Sendung moderiere, habe ich an die 3.000 Interviews gemacht und bin mit genau zwei davon zufrieden. Bei allen anderen würde ich etwas anders machen, wenn ich nochmal die Chance dazu hätte. Manchmal sind es fünf Prozent, also vielleicht eine Frage oder eine Antwort, bei der ich früher oder später unterbrechen würde. Manchmal würde ich gerne 50 oder 60 Prozent des Interviews anders machen. Ich muss da ja in kurzer Zeit sehr viele Entscheidungen treffen. Und leider sind praktisch nie alle richtig. Aber da gilt die Devise von Samuel Beckett: »Try. Fail. Try again. Fail again. Fail better.« Deshalb wird es auch nie langweilig.

Also würden Sie sagen, dass zu einem guten Interviewer ein gewisser Grad an Perfektionismus gehört?
Ich glaube, zu allem, was Sie wirklich gut machen wollen im Leben, gehört ein gewisser Grad an Perfektionismus, sonst werden Sie zu schnell zufrieden sein.

Wie steht es um Ihre eigenen Emotionen? Führen Sie bessere Interviews, wenn Ihnen die Person sympathisch ist oder andersherum?
Das darf in meiner Arbeit überhaupt keine Rolle spielen und ist auch nicht so schwer. Es gibt sehr viele Berufe, in denen das so ist: Jeder Arzt und jede Ärztin müssen ihre Patient*innen so gut wie möglich behandeln, völlig egal, ob sie diese wahnsinnig nett oder unsympathisch finden. Wenn Sie das nicht können, dürfen Sie nicht Arzt oder Ärztin werden und das ist in meinem Job nicht anders. Ich operiere, was kommt.

Sie haben wiederholt gesagt, Harmonie sei nicht der Schlüssel zum Erfolg der Demokratie, sondern die Auseinandersetzung, der Streit. Um des lieben Friedens willen – sollten wir in Interviews vielleicht angriffslustiger sein?
Für das, was ich mache, nämlich kontroverse Interviews, wäre ein besonderes Harmoniebedürfnis tatsächlich ganz falsch. Es gibt ja auch Kolleg*innen, denen diese Form nicht besonders liegt, weil sie eben harmoniebedürftig sind und nicht sehr gerne hart diskutieren oder streiten. Mir hat das immer Spaß gemacht und darum glaube ich, kann ich das, was ich mache, auch halbwegs gut. Wenn man daran keinen Spaß hat, ist es wahrscheinlich schwierig. Müssen Journalist*innen grundsätzlich angriffiger werden? Das kommt darauf an, was sie machen. Ich finde, dass im politischen Journalismus Kritik und Skepsis extrem wichtig sind. Allerdings geht es auch darum, wie man streitet. Nur durch möglichst konstruktive, intelligente und sachkundige Auseinandersetzungen werden wir uns durch bessere Argumente weiterentwickeln können.

Die Fragen stellte Katharina van de Sandt.

16. August 2023