#nr21 | Pressefreiheit
IFG: Vernachlässigtes Werkzeug

Manche Bundesländer haben immer noch kein Informationsfreiheitsgesetz. Und wo es eins gibt, machen Journalist:innen nur sporadisch davon Gebrauch. Über ein viel zu selten genutztes Recherchetool.

von Luka Simon

„Deutschland ist spät dran mit seinen Transparenzverpflichtungen“, sagt Manfred Redelfs, der sich im Vorstand von Netzwerk Recherche (NR) für die Informationsfreiheit engagiert. Die Herausgabe von Informationen sei noch keine gängige Praxis bei deut­schen Behörden.

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Trio mit Nachholbedarf: In Bayern, Sachsen und
Niedersachsen gibt es bis heute kein IFG. Bild: Freepick.com

Seit 2006 gibt es in fast allen Bundes­ländern ein Informationsfreiheitsge­setz (IFG), das Bürger:innen das Recht auf Einsicht in amtliche Unterlagen gibt. Erst kürzlich gelang es der taz und der Plattform FragDenStaat, die IFG-Anfra­gen an Behörden weiterleitet, Einsicht in die Mail-Korrespondenz zwischen dem Bundesinnenministerium (BMI) und der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) zu erhalten. So konnte rekonstruiert werden, dass das BMI auf Druck der Bild-Zeitung Einfluss auf eine Textformulierung der bpb nahm.

Und doch fällt mit Blick auf doku­mentierte IFG-Anfragen bei FragDen­Staat auf: Das journalistische Poten­zial des Gesetzes wird in Deutschland noch nicht ausgeschöpft. „Gerade Journalist:innen nutzen FragDenStaat nicht so viel, wie sie es könnten“, bi­lanziert Arne Semsrott, Projektleiter der Plattform und Journalist bei netz­politik.org. Circa 80 Anfragen gebe es pro Tag, die meisten stammen sei­nen Angaben nach jedoch von NGOs, Aktivist:innen oder Bürger:innen.

Niedrige Erfolgsquote

Ein Problem bei IFG-Anfragen sind die im Gesetz festgelegten unbestimm­ten Ausnahmen. Redelfs kritisiert den „großen Ermessensspielraum der Be­hörden“, welche die Regelungen zu Lasten der Antragstellenden willkür­lich dehnen und als Ablehnungsgrund vorbringen können. Häufig genannte Gründe wie Betriebs- und Geschäfts­geheimnisse, innere und öffentliche Sicherheit, internationale Beziehungen oder personenbezogener Datenschutz seien aber nicht immer berechtigt, so Redelfs, sondern eine subjektive Ein­stufung der Behörden. Manchmal gebe es auch pauschale Ablehnungen.

Manuel Bewarder, Investigativ-Journa­list bei der Welt, erkennt ein anderes Problem: Sachbearbeiter:innen der Be­hörden seien zwar um Konsens mit An­tragstellenden bemüht, oft aber seien amtliche Informationen gar nicht vor­handen. Der Grund: Je mehr sich mit­tels IFG herausfinden lasse und je mehr Folgen das für Ministeriumsangehörige habe, desto mehr müsse damit gerech­net werden, dass manche Informati­onen gar nicht erst aufgeschrieben werden, um IFG-Anfragen zu entgehen, befürchtet Bewarder.

Die niedrige Erfolgsquote der gestell­ten Anfragen zeigt, dass Datentrans­parenz noch lange nicht so selbstver­ständlich ist wie in Skandinavien oder den USA. Semsrott hat über sein Portal in den vergangenen sieben Jahren sel­ber bereits knapp 1.740 IFG-Anfragen gestellt – nur etwas mehr als die Hälfte davon waren bislang erfolgreich.

Hohe Gebühren

Aus dem Tätigkeitsbericht 2020 des Bundesbeauftragten für Informations­freiheit geht hervor, dass die Anzahl der bei ihm eingegangenen Beschwer­den im Vergleich zum Vorjahr um fast 50 Prozent gestiegen ist: Von insge­samt 900 Anträgen baten Petenten in 647 Fällen um Vermittlung durch den Bundesbeauftragten. Gründe waren des Berichtes zufolge nicht stattgege­bene Informationszugänge, lange Be­arbeitungszeiten und hohe Gebühren. Bis zu 500 Euro dürfen laut Gebühren­verordnung des IFG auf Bundesebene für die Datenherausgabe, Einsicht­nahme und den Verwaltungsaufwand gefordert werden – ein besonders für freie Journalist:innen hoher finanzieller Aufwand. Die langen Wartezeiten seien vor allem problematisch für zeitnahes Fact-Checking, sagt Tania Röttger, Lei­terin vom Correctiv Faktencheck. Sie habe das IFG aus dem Grund in diesem Bereich noch nie angewendet.

Widerspruch einzulegen oder gegen ungerechtfertigte Datenzurückhaltung und hohe Kosten juristisch vorzugehen, setzt das Wissen um die Auskunfts­rechte voraus – das liege aber oft nicht vor, sagt NR-Experte Redelfs. Er sieht den Grund darin zum einen in den un­terschiedlichen Gesetzen der einzelnen Bundesländer, zum anderen werde das Thema in der Ausbildung zu wenig the­matisiert. Journalist:innen wie Sems­rott und Röttger haben die Rechts­grundlagen und Anfragetechniken erst über jahrelange Anwendung erlernt. Auf seiner Plattform informiert Sems­rott über das Gesetz, aber das reiche noch nicht, sagt er. Selbst wenn ein An­trag Erfolg hat, seien die Antworten der Behörden oft in komplexer juristischer Sprache verfasst, was Antragstellende einschüchtere. Die Correctiv-Autorin Röttger rät zudem, die ausgehändigten Informationen der Behörden auf ihre Vollständigkeit zu prüfen.

Das noch junge IFG steht vor einer un­gewissen Zukunft: „Es ist noch nicht gesagt, dass die Informationsfreiheit bleibt“, prognostiziert der FragDen­Staat-Aktivist Semsrott. Es gebe starke Stimmen aus Verwaltung und Politik, die das IFG als lästig empfinden und daher gerne wieder abschaffen wür­den, sagt er. Dies hält Welt-Journalist Bewarder allerdings für unwahrschein­lich: „Im digitalen Zeitalter, in dem es die Menschen gewohnt sind, sich selbst informieren zu können, kann ihnen die Politik dieses Recht nicht mehr nehmen.“ Für Röttger, Semsrott und Bewarder liegt die Verantwor­tung für die Etablierung des IFG bei den Journalist:innen: Sie müssen das Auskunftsrecht öfter nutzen und sei­ne Verwendung in Artikeln kenntlich machen, damit die Anwendung des IFG sowohl für Journalist:innen als auch für Behörden zu einer selbstverständ­lichen Praxis wird.

1. Juli 2021