#nr15 Spezial | Interview | Journalist:INNEN
Journalismus von Frauen über Frauen für alle
Früher ARD-Korrespondentin, heute „Deine Korrespondentin“ – Pauline Tillmann hat ihren Posten als freie Reporterin in St. Petersburg verlassen, um in Deutschland ein eigenes Medium zu gründen. Mit ihrem digitalen Magazin wollen Tillmann und ihr Journalistinnen-Team Geschichten von Frauen aus aller Welt erzählen. Aber auch die Korrespondentinnen selbst werden hier sichtbar.
Ein Interview von Eva Book*
Message: Seit Mai dieses Jahres ist Deine Korrespondentin online. Was möchtet ihr mit eurem Online-Magazin erreichen?
Pauline Tillmann: „Deine Korrespondentin“ hat eigentlich zwei Ziele. Zum einen will ich die Sichtbarkeit von Frauen erhöhen und zwar von Korrespondentinnen wie mir, also die weiblichen und jungen Korrespondenten. Zum anderen versuche ich, Frauen aus der ganzen Welt in den Mittelpunkt zu stellen. Viele haben interessante Geschichten zu erzählen, die in anderen Medien aber einfach hinten runterfallen, weil diese Frauen nicht in einem Erdbebengebiet ums Überleben kämpfen, sondern eine spannende Initiative im Regenwald gestartet haben. Die ist es aber trotzdem wert, erzählt zu werden. Jeder hat seine fünf Minuten of fame verdient.
Eine Crowdfunding-Kampagne hat für das Startkapital von 6.555 Euro gesorgt. Langfristig soll sich das Projekt über Abonnements finanzieren. Ist das Publikum bereit, für Inhalte mit diesem sehr speziellen Fokus zu zahlen?
Ich habe das Gefühl, die Zeit ist reif für Paid Content. Und es ist auch eine sehr gute Zeit, um spezielle Nischen zu besetzen, ein spezielles Publikum anzusprechen. Wir sprechen nicht so viele an wie beispielsweise Krautreporter, die ziemlich breit aufgestellt sind, sondern ein sehr spitzes Publikum. Das ist aber auch bewusst so gewählt, weil wir mit unserem Publikum eine eigene Community aufbauen wollen.
Eine rein weibliche Community?
Unser Alleinstellungsmerkmal ist, dass wir von Frauen über Frauen berichten – und damit natürlich auch in erster Linie Frauen ansprechen. Aber wir schließen Männer keinesfalls aus! Momentan ist es so, dass 80 Prozent unserer Crowdfunding-Unterstützer Frauen sind und 20 Prozent Männer. Wir überlegen uns jetzt schon sehr genau, wie wir auch die Männer stärker mit ins Boot holen können.
Der inhaltliche Fokus und die Redaktion sind dennoch weiblich. Braucht die deutsche Medienlandschaft mehr sichtbare Frauen in den Medien?
Die deutsche Medienlandschaft braucht auf jeden Fall mehr Frauen in Führungspositionen! Es ist doch unglaublich, dass wir in Deutschland derzeit keine Chefredakteurin von einer überregionalen Zeitung haben. Das kann nicht wahr sein in einem so modernen Land! Wir sind eigentlich schon sehr weit mit der Gleichberechtigung und gut aufgestellt, was Journalistinnen in den Redaktionen angeht. Aber bei den Chefpositionen wird trotzdem oftmals Männern der Vorzug gegeben.
Wird sich die Gleichberechtigung denn zukünftig auch auf der Führungsebene durchsetzen?
Ich glaube schon, dass sich etwas ändert, weil meine Generation das jetzt einfordert. Wir sind gut ausgebildete Frauen, wollen Karriere machen, aber eben vielleicht auch Kinder haben. Da muss man eine Vereinbarkeit von beidem einfach schaffen. Ich glaube, dass es Sinn machen würde, eine Frauenquote einzuführen: mindestens 30 Prozent Frauen in Führungspositionen. Es ist natürlich nicht so toll, eine Quotenfrau zu sein, aber zumindest bekommt man dann die Chance, sich zu beweisen. Sonst werden die Jobs unter den Jungs vergeben und das ist ein Problem.
Woran liegt es denn, dass Frauen in Karrierefragen zu wenig wahrgenommen werden?
Männer können viel selbstbewusster und breitbeiniger auftreten und sagen ‚Klar kann ich das, gar kein Problem‘, auch wenn sie etwas noch nie gemacht haben. Da sind wir Frauen tatsächlich viel bescheidener und zurückhaltender und das ist einfach so unbegründet. Man wächst ja in seine Rolle hinein. Wir glauben, dass es als Makel an uns hängenbleibt, wenn wir mit einem Projekt scheitern und das ist so falsch! Ich glaube, dass Frauen sich insgesamt zu wenig zutrauen. Das ist ein Stück weit ein Frauenproblem, weil man immer alles perfekt machen will und sich keine Fehler erlaubt. Aber insgesamt hängt das mit unserer Fehlerkultur zusammen: Deutsche sind nicht so fehlertolerabel und können Misserfolg nicht positiv schätzen. In den USA ist der Unternehmergeist stärker ausgeprägt. Da merkt man, dass ganz viele erfolgreiche Start-Up-Gründer vorher schon andere Start-Ups hatten, die nicht erfolgreich waren. Daraus lernt man natürlich. Das heißt für mich, ich kann jetzt nicht sagen, dass „Deine Korrespondentin“ durch die Decke gehen wird. Es ist mein erstes Start-Up und das wäre ziemlich vermessen. Man muss aber trotzdem etwas starten, um Erfahrungen zu sammeln.
Als freie Journalistin im Ausland hast du bereits Erfahrung mit der Selbstständigkeit gemacht. Mit „Deine Korrespondentin“ wirst du nun zur Unternehmerin. Geht es im Journalismus nicht ohne Mut zur Eigeninitiative?
Man sollte nicht darauf warten, dass man irgendwohin berufen wird, sondern sich selber eine Strategie überlegen, wie man sich sein Weiterkommen im Beruf sichert. Ich hätte nach meinem Volontariat beim Bayerischen Rundfunk auch warten können, bis ich irgendwann feste Korrespondentin werde. Das hätte noch fünf Jahre gedauert, vielleicht auch länger, vielleicht wäre es auch nie soweit gewesen. Aber das war nicht kongruent mit meiner Familienplanung. Ich wollte mit Anfang Dreißig, zusammen mit meinem Mann, mein erstes Kind bekommen. Hätte ich auf die sichere Stelle gewartet, wäre ich Ende Dreißig gewesen, wenn ich aus dem Ausland zurückgekommen wäre. Das wäre uns einfach zu spät gewesen. Man muss sich das vorher schon sehr genau überlegen und ich glaube, das machen viele Frauen nicht: Will man Kinder haben und wann will man Kinder haben? Ob es klappt, ist eine andere Frage, aber man muss in seiner eigenen Karriereplanung berücksichtigen, wann dieser Zeitpunkt ungefähr sein soll.
Welche weiteren Tipps würdest du jungen Journalistinnen geben?
Auf jeden Fall den Finger heben! Das ist immer noch ein Problem von vielen Frauen: Sie glauben, dass sie ganz fleißig sind, einen tollen Job machen und dass dann ihre Chefs schon erkennen müssen, dass sie zu mehr bereit wären und sie auswählen. Das ist natürlich ein totaler Trugschluss! Der wichtigste Tipp, den man jungen Frauen geben kann: Wenn sie von etwas träumen oder wenn sie sich vorstellen, wo sie gerne hinwollen, dann müssen sie das selber in die Hand nehmen. Das wird ihnen niemand auf dem Tablett kredenzen. Man muss darauf hinarbeiten und sich selber Kontakte verschaffen, damit man es aus eigener Kraft schafft.
Wie sieht denn die Zukunft, deiner Meinung nach, für Frauen im digitalen Journalismus aus? Werden sie es eher leichter oder schwerer haben?
Momentan ist eine Pionierzeit und viele Frauen haben Lust, diese mitzugestalten! Das goldene Zeitalter des Journalismus ist gerade erst angebrochen, weil wir natürlich ganz andere Formen haben, die Inhalte zu vermitteln. Ich glaube, dass Frauen dabei eine ganz wesentliche Rolle spielen werden, weil wir durchaus experimentierfreudig sind. Das heißt nicht, dass alle alles können müssen – Videos, Audiobeiträge und dazu noch Fotos –, sondern dass einfach die Möglichkeiten und Chancen so groß sind wie nie zuvor. Ich bin davon total berauscht und ich glaube, dass immer mehr Frauen das auch sein werden. Das ist großartig für den Journalismus an sich – und natürlich auch für Frauen im Journalismus.
*In einem späteren Beitrag für Message Online zieht Pauline Tillmann (selbst-)kritisch Bilanz zu ihrem Projekt.
14. August 2015