Pressefreiheit
Krankenhaus, Gefängnis, Exil – Berufsrisiken in Belarus
Bedrückende Schicksale und beeindruckender Mut – die Preisträger:innen des Free Media Awards
von Malte Werner
Natalia Lubnieuskaja wurde von einem Polizisten angeschossen, als sie im August 2020 über die Proteste in der belarussischen Hauptstadt Minsk berichtete. Ihre beiden Kolleginnen Katsiaryna Andreyeva und Darya Chultsova sitzen wegen ihrer Berichterstattung über Demonstrationen gegen das Lukaschenko-Regime eine zweijährige Gefängnisstrafe ab. Die Website TUT.by, die Medien weltweit mit Bildmaterial der Proteste versorgte, wurde im Mai gesperrt, mehr als ein Dutzend Mitarbeitende inhaftiert.
Statt aufsehenerregender Einzelfälle gehören Schicksale wie diese mittlerweile zum alltäglichen Berufsrisiko für die wenigen verbliebenen kritischen Journalistinnen und Journalisten in Belarus. Die belarussische Journalistenvereinigung BAJ beklagt systematische Unterdrückung und Gewalt gegen ihre Mitglieder. Hunderte Journalist:innen wurden nach dem Ausbruch der Proteste in Folge der offensichtlich manipulierten Präsidentschaftswahlen festgenommen.
Zeichen gegen staatliche Willkür und Gewalt
„Belarus ist das gefährlichste Land für Journalisten in Europa“, sagte Ane Tusvik Bonde von der norwegischen Menschenrechtsorganisation Human Rights House Foundation auf der Free Media Awards Conference am 2. November 2021 in Hamburg. Am Vorabend waren Natalia Lubnieuskaja, Katsiaryna Andreyeva, Darya Chultsova, die Redaktion von TUT.by sowie die Gerichts-Reporterin Katsjaryna Barisewitsch und der Belarussische Journalistenverband BAJ mit den Free Media Awards 2021 ausgezeichnet worden.
Mit dem Preis setzen die Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius und die norwegische Stiftelsen Fritt Ord seit 2016 ein Zeichen gegen staatliche Willkür und Gewalt und würdigen den Mut von Journalist:innen, Redaktionen und Medienplattformen aus Russland, der Ukraine, Aserbaidschan, Belarus, Georgien oder Armenien.
Andrey Bastunets von BAJ sprach angesichts der aktuellen Lage in seiner Heimat von einer „Orwellschen Sitaution“, in der nicht mehr nur Journalist:innen ins Fadenkreuz der Behörden gerieten, sondern auch ihr Publikum. Es reiche schon, einer Gruppe beim Messenger-Dienst Telegram beigetreten zu sein, die von einem von der Regierung als „extremistisch“ eingestuften Medium betrieben werde, um in Schwierigkeiten zu geraten.
Letzter Ausweg: Exil
Dmitry Jegorov vom Exilsender Belsat, der den Preis stellvertretend für seine inhaftierte Kollegin Katsiaryna Andreyeva in Hamburg entgegennahm, bestätigte die Gefahr für das Publikum. Dies führe zu einer Art Selbstzensur, weil sich die Redaktion ständig frage: Gefährden wir mit diesen Informationen unsere Zuschauer?
Wie er arbeiten fast alle kritischen belarussischen Journalist:innen mittlerweile im Exil. Von denen, die geblieben sind oder die nicht mehr fliehen konnten, erzählen die Preisträger:innen bedrückende Geschichten – von überfüllten, fensterlosen Gefängniszellen und Durchsuchungen von Redaktionsräumen und Privatwohnungen.
Angesichts der Repressionen im eigenen Land fühle es sich merkwürdig an, dass ihre Arbeit hier mit Mut in Verbindung gebracht werde, sagte Natalia Lubnieuskaja, die wegen ihrer Schusswunde 38 Tage im Krankenhaus behandelt wurde. „Für uns ist es wichtig zu sehen, dass die Vorgänge in Belarus auch in anderen Ländern präsent bleiben. Wir haben die Möglichkeit zu erzählen, was dort vor sich geht. Wenn unsere Stimmen verstummen, hat das Regime gewonnen.“
„Schreiben Sie ihnen eine Postkarte“
Andrey Bastunets von BAJ appellierte an die internationale Gemeinschaft, belarusssiche Exiljournalist:innen so gut es geht zu unterstützen – etwa bei der Visa-Vergabe oder durch finanzielle Mittel zum Aufbau neuer Redaktionen im Ausland.
Dmitry Jegorov vom Sender Belsat, der von Polen aus operiert, bat außerdem um moralische Unterstützung für die inhaftierten Kolleg:innen: „Schreiben Sie ihnen eine Postkarte.“ Die Adressen der politischen Gefangenen finden sich auf der Website von Belsat.
Weil die Preisverleihung im Jahr 2020 coronabedingt ausfallen musste, wurden in diesem Jahr neben den belarussischen Journalist:innen auch die Preisträger aus 2020 geehrt. Dazu gehören Mediazona und Projekt.Media aus Russland, der Dokumentarfotograf Aziz Karimov aus Aserbaidschan sowie die Fernsehsendung Schemes und der Journalist und Schriftsteller Stanislav Aseyev aus der Ukraine. Letzterer fasste den Sinn einer solchen Preisverleihung in seiner kurzen Dankesrede wie folgt zusammen: „Mir einen Award zu verleihen für jene Texte, für die ich zweieinhalb Jahre ins Gefängnis gesteckt wurde, ist vielleicht die beste Antwort an diejenigen, die dafür verantwortlich sind.“
4. November 2021