#nr19 | Auszeichnung | Relotius
Leuchtturm an Juan Moreno
Erst Nestbeschmutzer, dann Preisträger: Netzwerk Recherche zeichnet den Spiegel-Mitarbeiter für seine Aufdeckung der Relotius-Fälschungsserie aus
von Leon Tom Gerntke und Leonie Wunderlich
„Es gab im Reporterleben von Juan Moreno sicherlich schönere Erlebnisse, als jenes, für das er heute diesen Preis erhält“, eröffnete TV-Journalistin Julia Friedrichs ihre Laudatio für den Mann, der Relotius als erster auf die Schliche kam. Netzwerk Recherche würdigt die Aufdeckung der Manipulationen von Claas Relotius durch seinen engen Kollegen Moreno mit dem mit 3.000 Euro dotierten Leuchtturm-Preis.
Damit habe der freie Spiegel-Reporter eine bis dahin schier unglaubliche Facette der journalistischen Realität aufgedeckt, betonte Friedrichs. Kein Zufall, dass die junge Autorin des Redaktionsteams Docupy die Rede hielt: Dem Netzwerk Recherche Vorstand war es wichtig, dass die Laudatorin und der Preisträger sich – als freie Journalisten – auf Augenhöhe begegnen. Denn Morenos große Leistung sei es, gerade als freier Reporter, der zumindest mit einem Fuß außerhalb der Spiegel-Gemeinschaft stand, den Grundsatz des Reporterlebens verteidigt zu haben, lobte Friedrichs.
Moreno hatte 2018 gemeinsam mit Relotius an einer Reportage über eine Bürgerwehr gegen Flüchtlinge in Arizona gearbeitet: Moreno recherchierte in Mexiko, den US-amerikanischen Part übernahm Claas Relotius. In der Geschichte, die unter dem Titel „Jaegers Grenze“ am 16. November im Spiegel erschien, entdeckte Moreno Ungereimtheiten – und sprach die Ressortleitung darauf an. Die vertraute jedoch zunächst Relotius’ Erklärungen – und so entschied sich Moreno, auf eigene Faust und auf eigene Kosten in den USA zu recherchieren. Er wies nach, dass sein Co-Autor die Protagonisten nie getroffen hatte. Der Anfang einer einzigartigen Enthüllung.
Heldenhaft?
Für den Preisträger selbst war diese Enthüllung alles andere als heldenhaft. Ihm sei bei der Zusammenarbeit mit Relotius schnell klargeworden, dass dort etwas nicht stimmen könne. „Am Ende steht mein Name unter einem Text, von dem ich weiß, dass es so nicht gewesen sein kann”, erklärte Moreno seine Motivation. „Da weiß ich nicht, ob es heldenhaft oder preiswürdig ist, etwas zu sagen, oder ob es am Ende nicht die meisten von uns so gemacht hätten.” Umso befremdlicher sei es für ihn gewesen, nach Bekanntwerden der Manipulationen im Dezember von „einem Haufen Spiegel-Redakteure“ beklatscht zu werden. Zumal die Wände des Widerstandes nach seinen Anschuldigungen gegen den Kollegen in der Spiegel-Redaktion „relativ solide“ gewesen seien.
Dennoch sei das kein Anlass aus Juan Moreno den Helden und aus Claas Relotius den isolierten Schurken zu machen, schlussfolgerte Friedrichs in ihrer Laudatio. Vielmehr sollten diese Enthüllungen Journalisten dazu ermutigen, auf Missstände innerhalb der eigenen Redaktion hinzuweisen – unabhängig vom Status als festangestellter oder freier Journalist.
15. August 2019