Meist verantwortungsvoll
Welche Unterschiede gab es zwischen Norwegen und Deutschland in der journalistischen Reaktion auf Rechtsterrorismus? Eine Bilanz aus Sicht der Presseräte der beiden Länder.
dokumentiert von Janette Höfer, Christina Heller, und Janis Dietz
Wenn Finn Våga über den Attentäter Anders Breivik und die Anschläge auf Utøya und in Oslo spricht, nennt der Redakteur des Stavanger Aftenblads die schrecklichen Ereignisse im Juni 2011 das »dunkelste Kapitel in der jüngeren Vergangenheit«. Für die norwegischen Journalisten sei der Umgang mit diesem Vorfall die vielleicht größte Herausforderung gewesen. Bisher habe es in der Geschichte des kleinen skandinavischen Landes kein vergleichbares Ereignis gegeben, so Våga, Mitglied im Vorstand der norwegischen Journalisten- Vereinigung. Dieses singuläre Ereignis extremer Gewalt angemessen abzubilden, sei schwergefallen. Dennoch hätten die norwegischen Medien vorbildlich reagiert, findet der Aftenblad-Redakteur.
Natürlich seien auch die Journalisten von der Tragödie schockiert gewesen. Zusätzlich hätten sie sich mit vielen Fragen konfrontiert gesehen, die sie zunächst gar nicht beantworten konnten. Wie sollten Opfer und Hinterbliebene in Interviews behandelt werden, welche Fotos kann eine Zeitung zeigen und welche nicht? Beispiele für eine plötzliche Unsicherheit unter den Journalisten.
Doch insgesamt scheinen die norwegischen Medien ihrer Verantwortung gerecht geworden zu sein. Laut Våga hatte der Norwegische Presserat im Nachhinein weniger Beschwerden zu bearbeiten als erwartet. Problematisiert wurden vor allem Fotos, die nach dem Anschlag bei einer Rekonstruktion des Tathergangs aufgenommen worden waren. Sie zeigten Breivik mit gezogener Waffe auf Utøya. Solche Bilder verursachten unnötigen Schmerz bei den Opfern und der Bevölkerung, entschied das Gremium. Kritisch betrachtet wurde auch die Anzahl der Titelseiten, die den Attentäter zeigten.
Weitere Kritikpunkte waren unter anderem Fotos, auf denen Opfer identifizierbar waren. Anders als in Deutschland entschied der Norwegische Presserat jedoch, dass die Opfer mit Bild und vollem Namen gezeigt werden dürfen. Detaillierte Zitate Breiviks hingegen, die nur seine Selbstdarstellung förderten, aber keine Informationen enthielten, wurden vom Norwegischen Presserat kritisiert.
Scharfe Kritik übte Våga an bestimmten internationalen Veröffentlichungen. Breivik in Fantasieuniformen, aber auch Privataufnahmen, die ihn mit seiner Mutter und Schwester zeigten, seien veröffentlicht worden – in Norwegen sei dies nicht geschehen. Ausländische Medien hätten bei der Berichterstattung oft Grenzen überschritten, die von norwegischen Medien respektiert worden seien.
Beim deutschen Presserat, berichtete dessen Geschäftsführer Lutz Tillmanns, gingen 18 Beschwerden im Zusammenhang mit Breiviks Morden ein. Darin wurde kritisiert, dass die Opfer mit Bildern und vollem Namen gezeigt wurden. In Deutschland sei es presseethisch nicht vertretbar, ohne Zustimmung den vollen Namen von Opfer zu nennen oder ihre Fotos zu zeigen, stellte Tillmanns klar. Opfer hätten einen besonderen Anspruch darauf, dass ihre Persönlichkeitsrechte gewahrt würden. Das sei höher zu bewerten als das öffentliche Interesse an solch einem Fall. Allgemein stelle sich die Frage, wann Fotos als Dokumente der Zeitgeschichte anzusehen seien und insofern veröffentlicht werden dürften – und wann sie nur unangemessenem Sensationalismus dienten.
Im Fall der deutschen Berichterstattung über den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) ging Tillmanns stärker auf den generellen Umgang der deutschen Medien mit dem Thema Rechtsextremismus ein. Seit im November 2011 die Zwickauer Terrorzelle aufgedeckt wurde, hätten die Medien rechte Gewalt verstärkt thematisiert, bilanzierte der Geschäftsführer des Presserats. Die Aufarbeitung der Problematik sei unterdessen lückenhaft geblieben. Das liege vor allem am typischen Zyklus der Aufmerksamkeit für ein Thema. Nach einer kurzen Phase, in der das Thema überall besprochen werde, folge meist ein rapider Rückgang der medialen Thematisierung. Danach verenge sich die Berichterstattung nur noch auf Schlagworte.
Bleibt die Frage, ob der Presserat nur ex negativo tätig werden oder auch Handlungsempfehlung für eine bessere Praxis geben kann. Tillmanns blieb zurückhaltend. Das Gremium könne keine umfassenden Regeln aufstellen, wie die Medien am besten und nachhaltigsten mit dem Thema Rechtsextremismus umgehen sollten. Aber es könne dafür sorgen, dass sich ein Common Sense für qualitätsorientiertes journalistisches Arbeiten etabliere. Auch das sei eine wertvolle und notwendige Orientierungshilfe, meinte der GeschaÅNftsführer des Presserates.
Lückenhafte Aufarbeitung
Im Internetzeitalter trügen Journalisten mehr denn je eine enorme Verantwortung. Innerhalb kürzester Zeit müssten sie oft entscheiden, welche Fotos, Informationen und Namen veröffentlicht würden – und welche nicht. Entscheidungen unter Zeitdruck sind es häufig, die ethisch brisante Folgen nach sich ziehen können. Rudeljournalismus, bei dem einer vom anderen abschreibe, ohne selber Fakten zu checken und zu recherchieren, komme gehäuft vor und solle vermieden werden, betonte der GeschaÅNftsführer des Presserates. Der Journalismus sei heute manchmal von einer Tendenz zum Mainstream geprägt. Dieser Umstand, der Wettlauf um die originellsten Meldungen sowie die Neigung, Nachrichten vor Veröffentlichung nicht kritisch genug zu hinterfragen, sieht Tillmanns als Gefahrenpunkte.
Um die Qualität in journalistischen Medien zu wahren, brauche es daher immer eine breite öffentliche Diskussion, so Tillmanns. Die neuen Anforderungen, die mit dem Online-Journalismus verbunden sind, machten dies umso wichtiger. Journalismus müsse Verantwortung übernehmen, auch für die Auswirkungen seiner Berichte, deshalb sollten Journalisten Grundsätze, wie sie der Presserat aufstellt, unbedingt beachten, forderte Tillmanns.
»The heart is still an instrument«, sagte der Norweger Våga zum Abschluss. Damit sprach er das seiner Meinung nach hohe Verantwortungsbewusstsein vieler deutscher und norwegischer Journalisten im Fall Breivik an. Das Mitempfinden also als ein Organ der journalistischen Urteilskraft – ein Merkpunkt, der haften blieb.
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