Das Unerzählbare erzählen Add-on zum Heft
Ein Foto sagt mehr als tausend Worte und kann eine Geschichte auf eine neue emotionale Ebene bringen. Was aber tun, wenn visuelles Material aus politischen Gründen unterschlagen wird? Die Regisseure Marc Wiese und Ali Samadi Ahadi gehen Wege abseits des Mainstreams und vermitteln in ihren Filmen harte Fakten – mit Hilfe von Animationen.
Von Danilo Rößger (Text und Fotos)
Hinsichtlich der Vielzahl an Dokumentationsformaten im Fernsehen wird schnell klar: Für die Erzählung der langen Form gibt es keinen „Königsweg“. Besonders abgründige, schwierige und komplexe Themen fordern die Journalisten immer wieder heraus und zwingen sie zuweilen, von ungewöhnlichen Erzählformen Gebrauch zu machen. Einer der ersten, der in diesem Sinne dokumentarisches Neuland betrat, war der israelische Regisseur Ari Folman. Sein 2008 erschienener Film „Waltz with Bashir“ brachte den Zuschauer die Schrecken des Libanonkriegs in den 1980er Jahren mittels animierter Charaktere näher. Die erzählten Ereignisse wirken besonders intensiv, wenn die Erinnerungen und Emotionen seiner Protagonisten grafisch dargestellt werden. Folmans Mut wurde belohnt: „Waltz with Bashir“ erhielt mehrere Auszeichnungen und gilt als Blaupause für unkonventionelles Erzählen.
Von der Realität gezeichnet
Auch die Regisseure Marc Wiese und Ali Samadi Ahadi benutzen dieses Mittel in ihren Filmen „Camp 14“ und „The Green Wave“. Auf einer Netzwerk Recherche-Tagung Ende November 2013 in Köln gaben sie einen tiefen Einblick in die Entstehungsgeschichte ihrer Werke. Während Wiese die Realität in einem nordkoreanischen Arbeitslager in den Blickwinkeln dreier Augenzeugen schildert, dokumentiert Ahadi die gewaltsam niedergeschlagenen Aufstände in seinem Heimatland Iran. So wichtig es ist, über diese Themen zu informieren, so schwer fällt es oftmals, die richtigen Bilder zu finden. Während im Zuge der Demonstrationen im Iran sämtliches Filmmaterial sofort beschlagnahmt wurde, sind Bilder über die Arbeitslager in Nordkorea schlichtweg nicht vorhanden. Von Drehgenehmigungen an den Schauplätzen konnten Wiese und Ahadi nur träumen. Umso stärker sind die Eindrücke der Begebenheiten in den Köpfen der Beteiligten vorhanden. Wieso also nicht aus der „Camp 14“ Not eine Tugend machen und diese Bilder reproduzieren?
Eine gemeinsame Bildsprache finden
Die animierte Form erfüllt in diesem Zusammenhang also eine weitaus wichtigere Funktion als die des schmückenden Beiwerks – vielmehr stellt sie eine Möglichkeit dar, dem Zuschauer eigentlich Unerzählbares näherzubringen. Mit außergewöhnlichen Stilmitteln, etwa dem auf Fotos basierenden „Motion Comic“-Verfahren, wird eine Atmosphäre geschaffen, die das Innenleben der Gesprächspartner darstellt und deren Emotionen unterstreicht. Natürlich diktiere die Technik auch ein stückweit die Dramaturgie, betont auch Ali Soozandeh, Gründer des Filmemacher-Netzwerks „Cartoonamoon“. So müsse zunächst einmal eine Bildsprache gefunden werden. Der bedachte Einsatz von Bewegung, Farben und Formen erzeugt so Bilder im Kopf des Zuschauers, die Real-Dokumentationen nicht liefern können. So sieht auch Wiese in der Animation den größten Nutzen als „Baustein der Gesamtdramaturgie“ und kommt zu dem Schluss, dass sein Film ohne diese Herangehensweise kaum realisiert worden wäre.
Nicht real genug oder echter als echt?
In der Art der Vermittlung liegt allerdings auch ein Problem. Wünscht sich der Zuschauer nicht konkrete Bilder als „Garantie der Echtheit“? Ahadi relativiert: In der realen Dokumentation entstehe stets eine Vergleichbarkeit, die den Zuschauer stören könne, wenn sie nicht eins zu eins mit der Realität übereinstimme. Abstrakte Bilder hingegen erzeugen seiner Ansicht nach eine Projektionsfläche für die Phantasien des Zuschauers, der sich seine eigene Meinung darüber bilden kann. Im Fall von „Camp 14“ und „The Green Wave“ muss er es sogar, da Regierungen alles tun, um unbequeme Tatsachen nicht an das Licht der Öffentlichkeit zu lassen. Gründlichste Recherche ist hier der wichtigste Punkt, um überzeugend zu bleiben, da die Fakten durch die Animationen zwar unterstrichen, aber nicht belegt werden können.
Kraft durch Limitierung
Die Regisseure sind sich einig: Auch wenn bestehende Sehgewohnheiten neu justiert werden müssen, sei die Animation eine Chance – selbst wenn die Realität dadurch fragmentiert dargestellt wird. Ohnehin ist Ahadi der Ansicht, dass man die Kraft der Limitierung nur allzu oft verkenne. Dass sich manch hochbrisante Thematik ohnehin nicht vom Mainstream bedienen lässt, kann der filmischen Form dabei nur zu Gute kommen. Und trotzdem traue man sich noch zu selten, Dinge zu erzählen, die erzählt werden müssen. Wichtig sei, aus den gegebenen Mitteln etwas Eigenes und ganz Besonderes zu entwickeln – da würde es nicht schaden, sich auf Experimente einzulassen. Besonders wenn Zensur die Demokratie gefährdet, muss man als Geschichtenerzähler Umwege in Kauf nehmen.
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