Die crossmediale Zukunft der langen Form
Mit Multi-Storys, Scroll-Dossiers und Social Media stellen sich Medienhäuser und freie Journalisten neu auf. Trotz einiger Leuchtturm-Projekte hinkt Deutschland im internationalen Vergleich hinterher.
von Dania Maria Hohn und Rike Uhlenkamp
Dezember 2012. Die New York Times veröffentlicht auf ihrer Website die multimediale Reportage »Snow Fall« über ein Lawinenunglück am Tunnel Creek im Nordwesten der USA. Reaktionen auf das Online-Feature: ein medialer Sturm der Begeisterung, ein Pulitzer-Preis und die Etablierung eines neuen Verbs: »to snow fall« – die Verwandlung einer herkömmlichen Geschichte in ein interaktives multimediales Online-Feature. All das zeigt: Digitales Storytelling ist die Zukunft der langen Form im Netz.
»Deutschland hinkt hier im internationalen Vergleich hinterher«, machte Caterina Lobenstein im Workshop über »Geschichten in der Medienschmelze« deutlich. Grund dafür sei oft Geld- und Zeitmangel. Die freie Autorin der Zeit hat sich zusammen mit ihrer Kollegin Amrei Coen auf die Suche nach der Zukunft der Medien gemacht. In Hamburg, Tokio, Mumbai und vier weiteren internationalen Metropolen befragten sie Journalisten und Medienmacher, wie digitaler Journalismus gemacht wird und wie sich damit Geld verdienen lässt. Die besten Geschichten hätten sie dabei fast nie in klassischen Verlagen oder Medienhäusern gefunden, sondern bei den freien Journalisten.
Freie als »driving force«
Aber auch in Deutschland gibt es Pioniere. Einer von ihnen ist Jonathan Sachse. Der freie Journalist hatte 2013 eine Idee für ein multimediales Storytelling-Konzept: eine Symbiose aus Fotos, Videos, Grafiken und interaktiven Elementen zur hundertjährigen Geschichte der Tour de France. Gemeinsam mit seinem Kollegen Philipp Katzer und Zeit Online als Partner entstand das Scroll-Dossier »100 Jahre Tour de France«. Hauptstrang der Geschichte ist der Text; jedes Stück enthält Bilderstrecken, Videos und Grafiken, die die Geschichte nicht unterbrechen, sondern ergänzen. Was mit zwei freien Journalisten begann, wurde letztendlich zu einem 20-köpfigen Team aus Reportern, Programmierern, Datenjournalisten, Foto- und Videoredakteuren.
Kanäle synchronisieren
Cordt Schnibben vom Spiegel sieht die Zukunft in sozialen Netzwerken: »Twitter, Facebook, aber auch Google und Youtube – das sind alles Formen von moderner Dramaturgie. Man sollte anfangen, darüber nachzudenken, wie man dieses Medium für das, was einem wichtig ist, nutzen kann.« In diesem Zusammenhang sprach er von einer »Multi-Story«: Ein Thema müsse auf vier Kanälen – Print, Digital, Online und Social Media – unterschiedlich erzählt, die Dramaturgie synchronisiert werden.
Ziel dabei sei es, »die dramaturgischen Qualitäten, die in 140 Zeichen Botschaft sind, zu nutzen«. Crossmediale Konzepte seien notwendig, um auch die lange Form – die ganze Geschichte – wieder für den Leser attraktiv zu machen. Dabei müssten Journalisten wie Verleger die neuen Möglichkeiten erkennen und umsetzen, mahnte Cordt Schnibben. »Wenn sie sich nicht darum kümmern, werden sie in vier bis fünf Jahren von einer Sparrunde in die andere taumeln.«
Auch Caterina Lobenstein forderte ein Umdenken: »Der Guardian ist ein gutes Beispiel dafür, dass man Multimedia nicht nur in die Ecke schiebt. Dort gibt es eine große Redaktion mit Programmierern, Grafikern und Rechercheuren. So geht Multimedia richtig.«
Einen finanziellen und technischen Aufwand wie beim Guardian oder bei Zeit Online kann sich allerdings nicht jeder Verlag leisten. Die weitgereiste Journalistin weiß: »Das Know-how in Deutschland ist da. Aber das Geld fehlt, oder die Redaktionen denken nicht multimedial genug.«
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