Investigativ trotz aller Widerstände
Intensive Recherche kostet Zeit, Geld und Mühe. Sie kann sich in journalistischen Erfolgen und gesellschaftlichen Veränderungen auszahlen. Zwei preisgekrönte Reporter berichten von aufwändigen Nachforschungen.
von Julia Berghofer und Anna Waiblinger
Wo viele Reporter ihre Recherche beenden, fängt die Arbeit investigativer Journalisten erst an. Redaktionen entscheiden sich oft gegen aufwändige Vorhaben mit unsicherem Ausgang. Trotzdem gibt es Investigativ-Reporter, die sich sorgfältigen Nachforschungen und brisanten Themen verschreiben. Unter dem Titel »Hinterm Horizont geht’s weiter« berichteten sie von Projekten, die viel Zeit, Geld und Durchhaltevermögen kosteten – und die nicht nur journalistisch zu Erfolgen wurden.
Ingolf Gritschneder ist ein Verfechter der investigativen Recherche. Als freier Autor arbeitet er unter anderem für den WDR, die Süddeutsche Zeitung und die Zeit. 2012 wurde er mit dem Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie »Beste Reportage« ausgezeichnet. Mit seinen tiefgehenden Geschichten, die unter anderem in der WDR-Sendereihe die story gezeigt werden, hat er sich oft Feinde gemacht und sogar Klageandrohungen bekommen. »Das hindert mich aber nicht am Weitermachen«, betonte er.
Ein Beispiel dafür ist seine Reportage »Unter tödlichem Verdacht – Bayer und sein Wundermittel Trasylol«, in der er es mit dem mächtigen Pharmakonzern aufnimmt. Die 45-minütige Dokumentation wurde 2007 im WDR ausgestrahlt. Gritschneder recherchierte, dass Bayer ein Medikament auf den Markt gebracht hatte, das überdurchschnittlich oft schwerwiegende Nebenwirkungen wie Schlaganfälle oder Nierenschäden verursachte – obwohl die schädlichen Effekte des umsatzstarken Mittels bekannt waren. Trasylol wurde seit den 1990er Jahren bei Bypass-Operationen eingesetzt, um Blutungen zu stillen.
Kontakt zu Insidern
Die Recherche habe sich über mehr als zwei Jahrzehnte hingezogen, berichtet Gritschneder. Nach dem Jurastudium hatte er eine Stelle bei Bayer angenommen und sei schon damals auf das Thema gestoßen. Später wechselte er in den Journalismus. Nach der Veröffentlichung einer klinischen Studie von 2006, die Trasylol als eindeutig gefährlich einstufte, habe er intensiver nachgeforscht und Kontakt zu Insidern aufgenommen. Bayer sei durch den Film so unter Druck geraten, dass das Medikament vom Markt genommen wurde.
Nur selten drängen sich Reportern Geschichten so auf. »Manchmal kommt es einfach auf das Bauchgefühl an«, berichtete Rainer Kahrs, der als freier Autor für verschiedene ARD-Rundfunkanstalten arbeitet. Für Radio Bremen produzierte er 2010 »Das Geheimnis des Waffenschiffes Faina«, ein Feature, in dem er ein Netzwerk des internationalen Waffenhandels aufdeckte.
»Damals haben wir in den Redaktionen gehört, wie die Faina von Piraten gekapert wurde, aber das konnte nicht die ganze Geschichte sein«, sagte er. Kahrs Vermutung erwies sich als richtig. Seine Reise in die Ukraine, von wo aus der Frachter gestartet war, bezeichnet er als »Roadtrip«. Schließlich stellte sich heraus, dass die Waffenlieferungen ursprünglich aus Deutschland stammten.
Gritschneders und Kahrs Investigativ-Recherchen zeugen von Biss, Ausdauer, Risikobereitschaft und Sorgfalt. In beiden Fällen hing aber auch viel von der Zusammenarbeit mit den jeweiligen Redaktionen ab. Kahrs benötigte finanzielle Unterstützung, um in die Ukraine zu reisen, Gritschneder war auf juristische Rückendeckung angewiesen, als Bayer mit einer Klage drohte. Das Ergebnis aber spricht für sich: Zumindest in Gritschneders Fall gab es unmittelbare Konsequenzen auf dem Pharma-Markt, die die Investigativ-Recherche zu einem Erfolg machten.
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