»Das nützt meinen Lesern nicht«

Sie setzen auf Professionalität statt Leserpartizipation. Im Message-Streitgespräch diskutieren fünf Online-Lokaljournalisten über Konkurrenz, Paywalls und die Frage, warum Bürgerjournalismus keinen Mehrwert liefert.

Das Gespräch wurde moderiert von Astrid Hansen, Helene Debertin und Vanessa Rehermann

Gerade hatte die Pressestelle des Bundestags Bloggern die Akkreditierung verweigert und so die Statusdebatte um Blogs und professionellen Journalismus erneut angefacht (siehe S. 88), da traf Message fünf Medienschaffende zum Streitgespräch, die selbst oft mit dieser Frage konfrontiert sind: Ada von der Decken, Annabel Trautwein, Isabella David, Andreas Grieß und Christoph Zeuch arbeiten für digitale Lokalmedien in Hamburg.

Herr Zeuch, in unserer Einladung zu dieser Diskussion über digitalen Lokaljournalismus hat der Begriff »Blog« bei Ihnen Unmut ausgelöst…
Christoph Zeuch/Altona.Info: Ich finde, der Begriff kann eine Stigmatisierung sein. Das ist medienpolitisch problematisch, weil es bestimmte Neuanbieter im Markt kleinhält. Wir machen Lokalzeitung. Und die Definition für Lokalzeitung besagt nicht, dass es sie nur im Print gibt.

Ada von der Decken/Eimsbütteler Nachrichten: Ich rufe nicht bei einer Polizeipressestelle an und sage »Ich arbeite für ein Blog« – ich arbeite natürlich für eine lokale Onlinezeitung. Wir agieren wie eine normale lokale Tageszeitung, aber ich habe auch nichts gegen das Wort Blog.

Isabella David/Hamburg Mittendrin: Ich würde mir wünschen, dass wir darüber nicht reden müssten, weil ich ehrlich sagen muss, dass mir die Frage »Blog oder Zeitung?« zum Halse heraushängt. Lassen Sie uns doch lieber darüber diskutieren, wie wir es gestalten, und nicht, wie wir es nennen.

Dann also konkret zu Ihrem Leitbild – was sehen Sie als Ihre Aufgabe an?
Annabel Trautwein/Wilhelmsburg Online: Die Hintergründe zum Geschehen in Wilhelmsburg erklären, bekanntmachen, was als Nächstes ansteht, und auch dafür sorgen, dass die Leute aktiv an der Stadtteilpolitik teilhaben.

Andreas Grieß/Elbmelancholie: Wir sehen uns eher als ein Magazin denn als Tageszeitung und wollen vor allem den kleinen Geschichten einen Raum geben, die nicht in den großen Medien auftauchen.

v. d. Decken: Eimsbüttel ist mit 250.000 Einwohnern ein großer Bezirk – jede Stadt der Größe hätte eine eigene Zeitung, und diese Rolle übernehmen wir. Klar, das Hamburger Abendblatt deckt auch Eimsbüttel mit ab, aber hier liegen immer noch sehr viele Geschichten auf der Straße.

Zeuch: Wir wollen politisches Leitmedium in der Region sein, unter Wahrung der Überparteilichkeit und der Unabhängigkeit. Wir wollen lokale Demokratie wieder erlebbar machen und Partizipation anregen.

David: Uns ist aufgefallen, dass die Bezirkspolitik wenig Beachtung fand. Und es gibt auch von der politischen Ausrichtung her eine Lücke. Mittlerweile haben wir eine recht konservative Medienlandschaft in Hamburg, und davon grenzt sich Hamburg Mittendrin ab, indem wir auch Dingen und Themen eine Stimme geben, die sonst nicht so eine große Rolle spielen würden.

Sind Sie also ein Lückenfüller zum bestehenden traditionellen Journalismus – und wenn der besser wäre, gäbe es Sie gar nicht?
Zeuch: Ich verstehe uns nicht als Lückenfüller, sondern als direkten Wettbewerber auf dem Nachrichtenmarkt.

Trautwein: In Wilhelmsburg gibt es eine Lücke, definitiv. Wir wollen aber nicht das Medium sein, das den Raum füllt, den andere gelassen haben. Wir schaffen im Grunde eine Öffentlichkeit, die es hier so bisher gar nicht gegeben hat.

v. d. Decken: Juliane Wiedemeier von den Prenzlauer Berg Nachrichten, einer lokalen Onlinezeitung aus Berlin, hat so nett geschrieben: Viele denken, lokaler Onlinejournalismus sei der doppelte Griff ins Klo. Onlinejournalisten werden oft von etablierten Medien als die gesehen, die »die Pixel schieben«. Lokaljournalismus wird sowieso als piefig abgestempelt. Das ist eine elitäre und bornierte Perspektive. Man wäre ja verrückt, wenn man diese Themen liegen lässt und sich der Möglichkeiten beraubt, die der Onlinejournalismus bietet.
Welche Ansprüche haben Sie an Ihre Autoren?

Trautwein: Von der Arbeitsweise her bin ich an das gebunden, was jeder Profijournalist verinnerlicht hat. Da würde ich nie sagen: »Jeder kann mitmachen, Hauptsache, es liest sich nett.«

Grieß: Wir wollen keine drei Jahre Berufserfahrung voraussetzen. Uns interessiert, was die Leute wirklich können.

Gute Leute wollen aber bezahlt werden.
Zeuch: Wir haben in den ersten zwei Jahren Miese gemacht. Danach zog das Geschäft mächtig an, sodass wir seit fast drei Jahren auskömmliche Gehälter zahlen können. Wir machen uns auch Gedanken über unsere Organisationsform. Hier gibt es auch wieder die Möglichkeit, die Leser konkret zu involvieren. Der nächste Schritt ist dann die stärkere Kapitalisierung. Jetzt kann man auch mal anfangen, bestimmte Inhalte ausschließlich zahlenden Lesern zur Verfügung zu stellen.

Frau David, Sie schütteln den Kopf?
David: Ja, da bin ich vielleicht mehr Journalistin als Unternehmerin – unsere Inhalte sind frei verfügbar und bleiben es auch.

Zeuch: Das habe ich am Anfang auch gesagt!

David: Wir haben erlebt, dass die Leser unsere Arbeit gerade in der Zeit gewürdigt haben, als in Hamburg Teile der Stadt zum Gefahrengebiet erklärt worden waren. Unsere Berichterstattung darüber haben viele Leser zum Anlass genommen zu sagen: »Die sind da jeden Abend vor Ort, ich richte jetzt endlich mal einen Dauerauftrag ein.«

Zeuch: Eine Frage: Wenn euch jetzt ein Leser 500 Euro als Genossenschaftsbeitrag zahlt, würdet ihr nicht versuchen, ihm einen etwas exklusiveren Zugang zu den Informationen zu gewähren als dem Leser, der alles kostenlos sehen kann?

David: Er weiß doch vorher, dass er dafür nichts von uns bekommt.

Zeuch: Aber der Ansatz ist ja, die Wertschätzung des Mediums wiederzubekommen.

David: Der Ansatz ist Solidarität.

Trautwein: Ob ich Geld für einzelne Beiträge verlange, hängt doch extrem davon ab, wer die Zielgruppe ist, oder?

Zeuch: Die Frage ist, erreicht ihr irgendwann einmal die 65-jährigen Leserinnen und Leser?

David: Gerade die sind es, die sich in den Stadtteilen engagieren, die anfangen, unsere Beiträge in den Beiräten und Vereinen auszudrucken und auszulegen. So wird aus Online doch wieder Print und hängt dann im Schaukasten vom Bürgerverein.

Warum können Leser bei Ihnen eigentlich keine eigenen Artikel einreichen? Haben Sie schlechte Erfahrungen mit Bürgerjournalismus gemacht?
Trautwein: Mein Medium hat den Anspruch, unabhängig und überparteilich zu sein und zu erkennen, wo die Knackpunkte sind. Bei Bürgerjournalismus besteht die Gefahr, dass Leute ihre persönliche politische Agenda reiten, und das nützt meinen Lesern nicht.
In der Kommunikationswissenschaft werden Blogs und lokale Onlinemedien allerdings besonders für ihre Partizipationsmöglichkeiten gerühmt.

Grieß: Wenn der Bürger Artikel schreiben wollte, hätte er einen Blog. Es ist in eineinhalb Jahren tatsächlich einmal passiert, dass mir jemand einen Artikel unterjubeln wollte, aber ansonsten ist dieser Bedarf von Bürgern meines Erachtens gar nicht da.

Trautwein: Wenn man bei Leuten vorfühlt und fragt, ob sie Interesse am Schreiben haben, schrecken viele auch zurück. Sie sehen den professionellen Anspruch und glauben, dem nicht gewachsen zu sein.

David: Ich halte es sowieso für völligen Schwachsinn, dass es einen journalistischen oder partizipativen Mehrwert hätte, wenn irgendein Bürger etwas schreibt. Das sind ja immer nur Individualinteressen. Auf der anderen Seite fördern wir Partizipation im klassischen Sinne. Der Leser hat schon immer mit der Lokalzeitung kommuniziert, und wenn es eine gute Lokalzeitung ist, dann reagiert sie auch. Wenn wirklich die Hütte brennt, dann wissen die Leute: Sie können uns erreichen, auch mitten in der Nacht.

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Kommentare

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