Kämpft!
Der Journalismus befindet sich in einer Schockstarre. Dabei verfügen die klassischen Medien über höchste Kompetenzen auch im Informationsbereich. Doch wenn sich die Journalisten nicht bald bewegen, werden sie überrollt. Philipp Löwe plädiert für mehr Selbstvertrauen.
Es heißt: Journalismus ist nichts mehr wert. Weder im Netz noch am Kiosk. Online wird nicht gezahlt und Offline immer weniger gekauft. Darum geht in deutschen Redaktionen die Angst um. Die Angst um den Arbeitsplatz, vor der Ablehnung des Publikums, vor der ungewissen Zukunft – die Angst vor dem eigenen Bedeutungsverlust. Wer Angst hat, dem bleiben zwei Reaktionen: Er kann flüchten. Zum Beispiel ins ferne Silicon Valley. In der Hoffnung, die vermeintlichen Wunderknaben der digitalen Welt liefern einem die Wunderwaffe gegen die aktuellen Gefahren. Oder er kann angreifen, sich seiner Stärken bewusst werden, allen Mut zusammen nehmen und in die Offensive gehen. Die Klassenfahrt der Springer-Topleute war keine schlechte Idee: Die Zukunft des Journalismus ist Online. Und schon Kai Diekmanns erstaunliche optische Wandlung war es in meinen Augen wert. Allein die Tüftler im sonnigen Kalifornien wissen selbst nicht, wie die derzeitigen Finanzierungsprobleme zu lösen sind – ansonsten stünde vielen US-Verlagen das Wasser nicht bis zum Hals. Ganz abgesehen davon, dass die Sorgen der Deutschen dort niemanden sonderlich interessiert haben dürften – höchstens das vorhandene Risikokapital.
Angriff also. Doch was sind die Stärken, auf die wir Journalisten uns besinnen können? Da wären zunächst von Journalisten zu großem Renommee aufgebaute Marken, die noch immer viel Vertrauen genießen. Marken, die geholfen haben, Leserschaften über den Medienbruch hinweg zu halten und oft sogar zu erweitern. Spiegel Online, Bild.de, Süddeutsche.de, Focus.de und in Grenzen auch FAZ.net: Das Netz wird, wenn es um journalistische Inhalte geht, weitestgehend von »alten Medien« dominiert. Der Leser will nicht alles, was technisch möglich ist.
Doch im Netz will jeder alles machen. Zu jedem noch so unbedeutenden Promi-Event, zu jeder neuen PR-inszenierten iPhone-Vorstellung wird ein Feuerwerk abgebrannt: Liveticker, Berichte, Videos und Audio-Slideshows. Natürlich alles umsonst, weil niemand dafür zahlt. Warum auch, es gibt ja an jeder Ecke das Gleiche.
Das Publikum will wissen, was ist, warum das so ist und was es bedeutet. Nicht mehr und nicht weniger. Die Fakten kann jeder haben. Doch nicht jeder kann sie deuten und so einen Mehrwert generieren. Die Redaktion, die sich Zeit lässt, kann zeigen, dass die Welt nicht ganz so schnell und kompliziert ist, wie sie scheint.
Ein weiterer Vorteil im Kampf um Aufmerksamkeit sind Netzwerke. Eben weil die »klassischen« Medien Erfahrung darin haben, die Öffentlichkeit zu unterrichten, haben sie Quellen, von denen andere nur träumen können: Ein Informant geht eben zum Spiegel, zur Süddeutschen oder zu einer Fernsehmagazin-Redaktion, weil er weiß, dass seine Enthüllungen dort sicher sind – und größtmögliche Reichweite bekommen.
Der Leser will nicht alles, was technisch möglich ist
Es gibt allerdings kein Vorrecht auf brisante Informationen. Der Ruf, Stimme der Schwachen und Kontrollinstanz der Mächtigen zu sein, muss ständig neu erarbeitet werden. Diese zugegeben nicht leichte Herausforderung erfüllt der Journalismus derzeit immer seltener. Viel zu oft beschränkt sich die Berichterstattung auf eine möglichst zeitnahe, oberflächliche Abbildung beliebiger Ereignisse.
Im Netz gilt: Sei der Schnellste oder sei der Beste. Doch warum wollen eigentlich alle immer der Schnellste sein? Exklusivität ist flüchtig und am Ende weiß keiner mehr, wem der Dank gebührt. Wer jedoch der Beste ist, der hat mehr zu bieten. Wer den Mut hat, auch mal abzuwarten, kann mehr als nur reagieren. Der kann beobachten – und wenn der Rauch sich verzogen hat, einen Volltreffer landen.
Das Problem ist neben der fatalen Kostenlospolitik, dass nur auf Tempo getrimmte Marken austauschbar sind. So schafft man keine Alleinstellungsmerkmale, die es wert wären, dafür zu bezahlen.
Qualität können aber Redaktionen nicht bieten, die immer kleiner werden und immer häufiger den Journalismus nur simulieren. Das Ziel sollte nicht lauten: mehr Ertrag mit weniger Aufwand, sondern: relevante Themen, präzise Recherche, gute Dramaturgie, packendes Deutsch.
Das gibt es nur von ausgeruhten, motivierten Journalisten. Für Geld, das viele Verlage nicht ausgeben wollen und manche wohl auch nicht mehr haben. Das Problem ist jedoch, dass hier Ursache und Wirkung verwechselt werden: Erst verschwindet die Qualität. Und dann erst das Produkt.
Mit der Qualität aber ist es oft nicht weit her, wenn Interviews über die Autorisierung weichgespült oder Reporter losgeschickt werden mit vorweggenommenen Ergebnissen. Thesen, die sich der Redakteur am Schreibtisch ausgedacht hat, schränken unnötig ein und verhindern Fragen, die sich vielleicht erst am Ort stellen.
Die Pressefreiheit ist eine Freiheit wie jede andere. Man muss sie sich nehmen, erkämpfen und verteidigen – notfalls auch gegen die eigene Redaktion. Ich weiß, das braucht derzeit Mut und erfordert eine dicke Haut. Beides ist rar. Lieber wird geschaut, womit die Konkurrenz aufmacht, und das wird dann nachgemacht. Alle haben Angst, was zu verpassen. So hat jeder alles und alle dasselbe.
Warum nicht eigene Schwerpunkte setzen? Es wäre vermessen zu glauben, die Leser würden nur die eigene Publikation lesen. Und warum nicht mal etwas wagen? Zum Beispiel eine Personalrotation: Das Feuilleton schreibt den Wirtschaftsteil und die Wirtschaft kümmert sich um den Sport, während der Politikchef sich in der Kultur versucht und die Leute vom Sport die Politik machen.
Doch statt für Experimente wird das Geld für ein Mini-Investigativ-Ressort ausgegeben. Das ist im Grunde eine tolle Sache und soll Qualität suggerieren. Die Außenwirkung ist aber auch: Die anderen Ressorts recherchieren nicht so, wie es die Leser erwarten dürfen – weil sie es nicht können oder weil ihnen die Zeit fehlt.
Was fehlt, sind Produktmanager. Auch wenn jetzt viele Journalisten »buh!« rufen: Vielleicht könnten hier Produktmanager helfen – Redaktionsmitglieder, die nur das Online-Angebot weiterentwickeln. Sie könnten die Schnittstelle zwischen Geschäftsführung und Redaktion sein, die bisher der Chefredakteur aushalten musste. Der dann endlich wieder für mehr Profil sorgen könnte.
Ein Profil, das den Lesern und Usern eine Erklärung dafür liefert, warum sie eben genau jenes Produkt konsumieren – und nicht das der Konkurrenz. So ein Profil entsteht nur, wenn Grundsatzentscheidungen getroffen werden: Wer wollen wir sein? Wer ist unsere Zielgruppe? Worin sind wir besser als die Mitbewerber?
Die Antwort auf all diese Fragen bedeutet aber auch eine Beschränkung – und darin liegt der Schlüssel zum Erfolg: Sei der Schnellste oder der Beste. Verzettelung führt zu einem publizistischen Angebot, dem sowohl Wettbewerbsvorteile als auch Differenzierungsmöglichkeiten fehlen; es landet in der Mittelmäßigkeit.
Das bedeutendste Kaufargument und die Grundlage jeder Marke allerdings ist Qualität. Darunter verstehe ich: Originalität, Haltung, Verständlichkeit und Aufklärung – und für ihre Themen brennende Mitarbeiter. Dafür müssen der Gewinndruck gesenkt und Erlöse in die Redaktion reinvestiert werden. Das erfordert Bescheidenheit und die Erkenntnis, dass rein werbefinanzierter Journalismus niemals exzellenter Journalismus sein kann.
Insofern finde ich es nur konsequent, dass der Axel Springer Verlag erneut auf Paid Content setzt und den Mut hat, seinem Journalismus ein Preisschild anzuheften. Dass allerdings ausgerechnet teure Fußballrechte das Angebot vermarkten sollen, lässt dann doch wieder ein wenig am Selbstvertrauen zweifeln. 20 Millionen Euro soll die Lizenz gekostet haben. Dafür hätte man 119 erfahrene Redakteure für vier Jahre bezahlen können – nach DJV-Tarifvertrag wohlgemerkt. Kaum auszudenken, wie viele Scoops die hätten recherchieren können.
Nichtsdestotrotz, ich halte Springers Weg für richtig und viele werden ihn ebenfalls beschreiten. Wenn aber die Produkte nicht besser werden, wird auch ein Schulterschluss der Medienhäuser nichts bringen. Denn nur einen Klick entfernt warten schon die Öffentlich-Rechtlichen, die bekannten Online-Publika in nichts nachstehen, die teilweise sogar besser sind – eben weil sie nicht jedem Trend hinterherrennen (müssen).
Noch aber bleibt (fast) alles beim Alten. Nicht weil die Verantwortlichen sich keine Gedanken machen. Sie stehen so unter Druck, die richtige Entscheidung fällen zu müssen, dass sie die Entscheidung endlos aufschieben und dann doch alles unverändert lassen, weil sie Angst haben, das Falsche zu tun. Doch Angst wird nicht helfen; es geht um Flucht oder Angriff. Was soll es sein?
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