Schluss mit Rezepten
Zukunft des Journalismus? Hängt davon ab, ob wir mutig, innovativ und solide sind. Ein Zwischenruf von Lisa Rokahr
Ich hatte es immer gehofft, das Reporterforum hat es bekräftigt: Mobile Endgeräte und neue Distributionswege sind nicht die einzige Veränderung im Journalismus. Transformation findet auch innen statt, muss stattfinden. Wir Journalisten können besser sein, mutiger, unsere Sprache neu erfinden. Wir müssen neue Worte finden für das, was längst erzählt wurde. Dafür müssen wir ungewohnte Perspektiven einnehmen. Alex Rühle (SZ) erzählte, wie viel man erleben kann, wenn man eigentlich gar nichts erlebt. In einer Nacht im menschenleeren Stadion. Für eine Reportage geht er auch mal unkonventionelle Wege. Wie im vergangenen Jahr, als er gegen Moritz von Uslar die Strecke von München nach Berlin wanderte.
Der Erzähljournalismus ist gleichermaßenHeimat der unbemerkten Winzigkeiten und Bezwinger der Komplexität. Seine Grenzen reichen von Rühles »Wird schon gehen« bis zu der Afghanistan-Historie »Ein Leben in Kabul«: Der Narrativ beherrscht es, hier einen Gedanken zur Reise werden zu lassen und dort vielschichtige Konflikte anhand eines einzigen Lebens zu erläutern. Die Quellen der sprachlichen Gestaltungkraft sind authentische Beobachtung und treffender Ausdruck. Sprache schafft Bilder, erzeugt Emotionen und fördert Verstehen.
Diese Gestaltungskraft der Sprache gilt es auszuschöpfen. Ich finde wichtig, dass es nicht allein auf den Inhalt ankommt, sondern auch auf die Form. Weg vom linearen Erzählen, rät der eine, der andere fragt: Ist die Ich-Perspektive eigentlich immer noch verpönt? Gut, dass es beim Reporterforum für die richtige Darstellungsform keine Lösung gab, sondern eine Diskussion. Mut zur Formspielerei war das Ergebnis.
Dem Mainstream entfliehen, sich abgrenzen von der Routine alteingesessener Redaktionen, die dem Muster folgen: Anfeaturen, dann das Portal (»immer mehr Menschen«), dann die Rückblende, und so weiter. Warum nicht mal anders? Denn natürlich möchten die Leser etwas Neues! Aber vielleicht möchten sie nicht nur eine neue App, die passende Slideshow oder eine Animation zum Artikel. Vielleicht möchten sie eine neue Art von Artikel. Und vielleicht muss man dafür gar nicht in die Zukunft blicken, sondern auf alte Ideale: die Leser überraschen wollen, provozieren, zum Weinen bringen.
Denn noch immer ist nichts exotischer als unsere Umwelt , nichts sensationeller als die Zeit, in der man lebt.
Kein Selbstmitleid mehr. Ich erhoffe mir mehr Mut von Schreibern, Chefredakteuren und Verlegern. Mut, Wege einzuschlagen, von denen wir heute noch nicht wissen, ob sie sich rechnen.
Als Freie weiß ich selbst, wie schwierig es ist, mit Schreiben Geld zu verdienen. Aber es kann nicht sein, dass man den Erfolg des Journalismus nur an roten oder schwarzen Zahlen misst. Messbar ist er daran, wen er erreicht – und was er erreicht.
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