Mein Kollege, die Maschine

Schon heute können Programme Texte automatisiert schreiben.  Andere Software kann helfen, Artikel vorzubereiten oder zu verbreiten. Doch wer kontrolliert diese Algorithmen?

von Stefan Mey

Mitte März 2014 ereignete sich in Los Angeles eine kleine Sensation. Wenige Minuten nach einem Erdbeben in der Stadt erschien ein kurzer Artikel dazu auf der Webseite der Tageszeitung Los Angeles Times. Der stammte nicht wie üblich von einem Journalisten. Verfasst hatte ihn ein Algorithmus, den ein Redakteur der Zeitung entworfen hatte. »Quakebot« hatte Geodaten analysiert. Als die auf ein Erdbeben hinwiesen, generierte er mithilfe von Textbausteinen eine kurze Nachricht. Der Redakteur war vom Erdbeben wach geworden, überflog den Text und veröffentlichte ihn dann.

Für Frederik Fischer ist das ein extremes Beispiel, wie Maschinen journalistische Aufgaben übernehmen können. Fischer ist selbst Journalist und Gründer von Tame. Der Dienst analysiert Twitter, um aus dem Rauschen der Tweets relevante Trends und Meinungen herauszufiltern.

Fischer glaubt, dass Technologie den journalistischen Prozess unterstützen kann: »Es gibt keinen Grund, weshalb wir Maschinen nicht für die Erledigung banaler Aufgaben nutzen sollten, sodass wir den Kopf für die interessanteren Dinge freibekommen.« Für verschiedene klassisch journalistische Aufgaben existieren bereits heute technologische Helferlein. »Talkwalker« etwa hilft bei der Beobachtung von Themen. Mit dem Dienst lassen sich Neuigkeiten zu individuell definierbaren Suchbegriffen verfolgen. Bei der Distribution von Inhalten hilft die App Buffer, die einen günstigen Zeitpunkt für die Veröffentlichung von Beiträgen in sozialen Netzwerken zu ermitteln verspricht.

Und dann gibt es auch noch ein Start-up namens »Narrative Science«. Dessen Textgenerator lässt im großen Stil Artikel von Robotern schreiben. Dabei werden Ergebnisse von Footballspielen oder Unternehmensdaten in Textbausteine eingefügt. Das Wirtschaftsmagazin Forbes lässt so beispielsweise Unternehmensporträts verfassen.

Maschinen bereiten vor

Für Domenika Ahlrichs, stellvertretende Chefredakteurin von Zeit Online, würden solche Einsatzszenarien zu weit gehen. Maschinen könnten Redaktionen zwar bei der Vorbereitung von Geschichten helfen. Dann aber müsse menschliche Intelligenz übernehmen.
Ein weiteres Szenario für die maschinell unterstützte Recherche sind datenjournalistische Storys. Als aktuelles Beispiel nennt Ahlrichs eine Visualisierung der ärztlichen Versorgung in Deutschland: »Wir haben Daten über spezialisierte Ärzte per Scraping* gesammelt und das dem Einkommen der Leute vor Ort gegenübergestellt. Aus dieser Kombination ergab sich eine interessante Geschichte über die ungleiche Verteilung von Ärzten in Deutschland.«

Dass Datensätze aber die Themenauswahl auf Zeit Online übernehmen, schließt Ahlrichs aus: »Wir nutzen natürlich Echtzeit-Statistiken über das Lese- und Klickverhalten bei Artikeln. Auf dieser Grundlage können wir leichte Anpassungen vornehmen, beispielsweise in Bezug auf Überschriften. Wir wollen aber immer noch selbst entscheiden, welcher Artikel gut für unsere Webseite ist.« Diesen eigenständigen Blick auf die Welt würde das Publikum von Zeit Online auch erwarten.

Im Jahr 2011 hatte der Datenjournalist Lorenz Matzat für Zeit Online eine Visualisierung zur Vorratsdatenspeicherung erstellt, die mit einem Grimme-Online-Award und dem Online Journalism Award ausgezeichnet wurde. Matzats aktuelles Projekt ist Lokaler.de, ein Softwareprojekt, das Daten auf Karten abbildet. Für die Berliner Stadtmagazine Zitty und Tip bereitet er deren Datenbank zu Veranstaltungen und Locations auf. (S. auch den Themenschwerpunkt Kooperation ab Seite 44.) Seine Erfahrungen mit Redaktionen fasst er folgendermaßen zusammen: »Programmierer, die in eine Redaktion kommen, bringen eine andere Kultur mit. Der Kern ihres Jobs ist es, Prozesse zu automatisieren. Diese Automatisierung wird kommen. Das lässt sich nicht aufhalten.«

Wer kontrolliert?

In der Diskussion taucht immer wieder eine Frage auf: Wer kontrolliert dann eigentlich die Algorithmen, wenn sie eine so große Bedeutung im Journalismus erlangen? Wenn Algorithmen in Redaktionen Einzug halten und selbstständig Artikel schreiben, brauchen wir gut durchdachte Regeln für automatisierten Journalismus, meint Matzat. Die Frage nach der Kontrolle von Algorithmen stellt sich auch an einem anderen Punkt: Sollten Firmen ihre einflussreichen Algorithmen offenlegen müssen, auch wenn das deren Geschäftsinteressen widerspricht?

Frederik Fischer sieht hier vor allem ein Regulierungsproblem. Globale politische Strukturen fehlen, die große Firmen wie Google oder Facebook zu Transparenz zwingen könnten. Matzat hofft, dass bald eine Art Amnesty International diesen Job übernehmen könnte: »Wir brauchen eine NGO, die als Clearingstelle für die Kontrolle von Algorithmen fungieren kann.« Mit anderen Worten: Auch wenn Journalismus und Algorithmen zusammenwirken, sollte in der Partnerschaft der Mensch doch immer das letzte Wort haben.

Text unter Lizenz CC-BY-SA

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