#nr21 | Lokaljournalismus
Neustart im Lokalen
Das digitale Stadtmagazin RUMS aus Münster machte es vor, aber mit Katapult MV und VierNull warten schon die nächsten Projekte, um den Journalismus in ihren Regionen zu reaktivieren.
von Annika Schultz
Dem Lokal- und Regionaljournalismus geht es nicht gut: Jedes Jahr wird es schwerer, ihn zu finanzieren, weil sich die Zeitungen immer schlechter verkaufen. Seit 1995 sind ihre Auflagen um mehr als acht Millionen Exemplare auf rund zehn Millionen gesunken. Die Kombination aus Abonnements und Werbeeinnahmen als Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr, jedes Jahr fusionieren Redaktionen wie die der Münsterschen Zeitung und der Westfälischen Nachrichten – aber wo etwas wegfällt, da entsteht Platz für Neues. Digitale, unabhängige und konstruktive Start-Ups wie RUMS, VierNull oder Katapult MV wollen die Medienlandschaft in ihren Regionen vielfältiger machen, lokalen Journalismus jedoch anders interpretieren.
In Münster feierte das digitale Stadtmagazin RUMS („Rund um Münster“) im März sein einjähriges Bestehen. Redaktionsleiter Ralf Heimann und seine Mitarbeitenden informieren ihre Abonnent:innen zweimal in der Woche mit einem Newsletter und sonntags in einer Kolumne über das politische und kulturelle Geschehen in ihrer Stadt. Weniger Themen, mehr Tiefenrecherche und transparentes Arbeiten, um den Herausforderungen des lokalen und regionalen Journalismus zu begegnen: „Wir wollten die Lücke schließen, die entsteht, wenn in den immer kleiner werdenden Redaktionen keine Zeit mehr für Recherche bleibt“, sagt Heimann. Von Münster aus wollen die Macher:innen auch auf andere Städte schauen und versuchen, Rückschlüsse auf ihre eigene Umgebung zu ziehen. „Wenn es zum Beispiel um eine mögliche autofreie Innenstadt geht, schauen wir, wo sie schon existiert, wie sie funktioniert und was sie für Folgen hatte. Das können wir dann wieder auf Münster beziehen“, erklärt Heimann.
Aus Konkurrenten werden Partner
Noch ganz am Anfang ist dagegen ein Online-Projekt aus Düsseldorf: Anfang Mai riefen unter anderem die früheren Lokalchefs der einstigen Konkurrenten Rheinische Post und Westdeutsche Zeitung (mittlerweile ein Zeitungs-Zombie), Christian Herrendorf und Hans Onkelbach, VierNull ins Leben. Das Start- Up will mit Analysen, Reportagen und Portraits aus Politik, Wirtschaft, Verkehr und Umwelt über die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt berichten. Am Abend kommt noch ein kurzer Nachrichtenüberblick dazu. Statt täglich drei Lokalseiten zu füllen, wollen die Gründer nur wenige, dafür aber sehr fundierte Texte liefern. An der Vielfalt im Team müssen sie noch arbeiten, aber „wir wollen einen Beitrag zur publizistischen Vielfalt in Düsseldorf leisten und dadurch zur Qualität der Berichterstattung beitragen“, sagt Herrendorf.
Im Juni ist zudem mit Katapult MV eine neue Regionalzeitung für Mecklenburg-Vorpommern gestartet. Katapult ist bekannt dafür, Dinge anders zu machen: Karten und Grafiken statt Bilder, ein Fokus auf Print-Produkte und mit konsequenter Haltung wächst das Magazin seit seiner Gründung im Jahr 2015 stetig. Immer wieder trägt Gründer Benjamin Fredrich Streit mit anderen Medien öffentlich aus, etwa mit der Süddeutsche Zeitung oder dem Medienblog Übermedien. Diese Art stößt nicht immer auf Zustimmung, Aufmerksamkeit verschafft sie Fredrichs Projekten allemal.
Auch die zunächst nur online erscheinenden Regionalnachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern sollen sich von anderen Angeboten unterscheiden. Wie das Mutterblatt will auch Katapult MV auf datengetriebenen Journalismus setzen. „Passiert ein Unfall auf der A20, werden wir das nicht unbedingt mit einem emotionalen Foto melden. Stattdessen wollen wir schauen, zu welchen Uhrzeiten es besonders viele Unfälle gibt oder Statistiken auswerten, welche Abschnitte besonders gefährlich sind und so generalisierende Aussagen treffen“, erklärt Fredrich. Ganz ohne „normal“ bebilderte Artikel wird aber auch Katapult im Lokalen nicht auskommen. Fredrich geht von einem 50:50-Verhältnis aus. Die Regionalzeitung hat dabei jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit und will nicht ganzheitlich abbilden, was in Mecklenburg-Vorpommern passiert.
Suche nach Geschäftsmodell
Was die digitalen Lokalmedien miteinander verbindet: RUMS, VierNull und Katapult MV reagieren mit neuen Ideen auf die alarmierenden Entwicklungen im Lokaljournalismus. Was sie aber ebenfalls eint: die Suche nach einem funktionierenden Geschäftsmodell. Alle Angebote sind werbefrei und von ihrer Leserschaft durch Spenden und Abonnements finanziert. RUMS sorgte für Aufsehen in der Medienbranche, als das Start-Up nach sechs Monaten eine Paywall für ihren Newsletter einführte und ein knappes Drittel ihrer Leserschaft daraufhin ein Abo abschloss. Das war eine Konversionsrate, die weit über die Erwartungen hinausging. Etwa 1.600 Menschen bekommen den Newsletter mittlerweile. Das Projekt trägt sich dadurch selbst, auch wenn kaum Gewinn übrigbleibt. „Natürlich freuen wir uns sehr darüber, aber ich hätte mir gewünscht, dass wir noch schneller wachsen“, bekennt Heimann. VierNull hat über eine Crowdfunding-Aktion zumindest so viel eingenommen, dass die Grundkosten gedeckt sind und ein Budget für freie Autor:innen bleibt. Die Gründer finanzieren sich unterdessen über andere Projekte. Katapult MV hat dagegen innerhalb von nur vier Tagen durch eine Crowdfunding-Aktion 19.000 Euro in Form von Abonnements gesammelt. Je mehr Abos noch dazu kommen, desto mehr Büros möchte Fredrich in verschiedenen Städten in Mecklenburg-Vorpommern eröffnen. Zunächst ist das Projekt für ein Jahr finanziert. „Jetzt kommt es darauf an, dass wir auch wirklich gute Arbeit machen und diesen Vertrauensvorschuss nutzen“, sagt Fredrich. „Es liegt an uns.“
Mitten in der ersten Corona-Welle setzte Alexandra Haderlein ein Zeichen gegen den schleichenden Verlust von Pressevielfalt in Nürnberg. Ihr Lokalblog Nürnberg ging vor etwas mehr als einem Jahr mit dem Ziel an den Start, eine neue Form von Lokaljournalismus zu erproben: werbefrei, Community-orientiert, konstruktiv – und gemeinnützig. Das stetig wachsende Team ehrenamtlicher Helfer:innen, das mittlerweile unter dem neuen Namen Relevanzreporter firmiert, recherchiert seither lösungsorientierte Geschichten aus der Region, verschickt einen wöchentlichen Newsletter, macht einen Podcast und setzt sich vor allem sehr intensiv mit den Leser:innen auseinander. Nach einer Anschubfinanzierung durch das Grow-Stipendium, das Netzwerk Recherche seit 2016 gemeinsam mit der Schöpflin Stiftung an Gründer:innen im gemeinnützigen Journalismus vergibt, versucht die Redaktion aktuell, ein nachhaltiges Geschäftsmodell auf die Beine zu stellen. Denn auch die Pionier:innen im gemeinnütziger Journalismus brauchen für ihren Beitrag zur Pressevielfalt eine solide finanzielle Basis. (red)