Rechtsextremismus
„Nicht dabei zusehen, wie diese Gesellschaft immer rassistischer wird“
Seit 25 Jahren wagt sich die Journalistin Andrea Röpke in feindliche Milieus. Vor Journalistik-Studierenden der Universität Hamburg berichtet die Rechts-Expertin über die besonderen Herausforderungen von Recherchen unter Rechtsextremen und Nazis und diskutierte mit Ihnen über die politische Verantwortung von Journalisten in aktuellen politischen Auseinandersetzungen. Das Gespräch führte Jannis Frech (Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessur). Fragen kamen auch von den Studierenden und Message-Herausgeber Volker Lilienthal.
Frau Röpke, wie müssen wir uns Ihren Arbeitsalltag vorstellen?
Röpke: Mein Alltag als freie Journalistin – und ich finde das ist der schönste Beruf der Welt, wenn auch sehr anstrengend – sieht etwa so aus, dass ich einen Anruf oder eine Mail bekomme und mich jemand fragt ‚Hast du das gesehen, die AfD tagt geheim?’. Dann habe ich gerade wahrscheinlich was Tolles vorgehabt, private Pläne, das erledigt sich dann innerhalb weniger Minuten und ich fahre dann beispielsweise sehr kurzfristig wie im Juli 2018 nach Bremen-Huchting zu einer Markthalle, weil dort die AfD heimlich ihren Landesparteitag durchziehen möchte. Ganz ohne Presse, die scheint nicht erwünscht. Aber die Öffentlichkeit sollte ein Recht darauf haben, zu erfahren, was diese äußerst rechte Partei so treibt.
Was spielt sich dann vor Ort für gewöhnlich ab?
Man fährt hin, man filmt. Man schaut sich um. Die Polizei ist da und bald auch schon der erste Ärger. Die Polizei fragt nach unseren Presseausweisen, wir haben Presseausweise und zeigen sie ihnen. Man notiert unsere Daten und hält uns an, die Anwesenden nicht zu provozieren, machen wir natürlich nicht. Aber oft reicht einfach die bloße – unerwünschte – Anwesenheit und dann kann es schon losgehen und der erste AfD-Anhänger oder Politiker stürzt wütend auf uns zu. Wer die AfD aus ihrer Konspiration rausholt, ist natürlich kein beliebter Journalist. Die Rechten diffamieren uns als „Lügenpresse“, ihre Strategie ist es kritische Berichterstattung auszuschalten.
Was muss man dann in so einer Situation befürchten?
Rein komme ich gar nicht, nicht mal zu Parteitagen oder öffentlichen Veranstaltungen, da ich Hausverbot habe. Wie bei der NPD. Wenn man dann wie in Bremen nachfragt, warum PressevertreterInnen nicht zugelassen sind bei einem Parteitag, einer, wie sie selbst sagen, demokratischen Partei, dann heißt es nur barsch „zack, zack, verschwinde“. „Zeckenpack“, „Lügenpresse“, das sind so die üblichen Beschimpfungen. Und dann muss man zusehen, dass man verschwindet, bevor es da handgreiflich wird. So sieht der Alltag zurzeit aus.
Was sind Ihre Schwerpunkte jenseits der AfD?
Ich habe sehr viel in der Hardcore Neo-Nazi-Szene recherchiert, beschäftige mich intensiv mit den völkischen Siedlern. Zu diesem Schwerpunkt habe ich das Material für einige Fernsehdokumentationen geliefert. Ich recherchiere außerdem zur rechten Kindererziehung, zum Nationalsozialistischen Untergrund und zu rechter Gewalt. Warne aber auch vor den Mischszenen aus rechten Männerbünden, Kampfsportlern, Rockern und Hooligans.
„So, wie wir bisher gearbeitet haben, können wir nicht weitermachen“
Was ist aktuell die größte Hürde für Ihre Arbeit?
So, wie wir bisher gearbeitet haben, können wir nicht weitermachen. Ich glaube, wir müssen uns irgendwie die Zeit freischaufeln, analytisch zu arbeiten und zu überlegen, wie wir mit dieser neuen, riesigen rassistischen Bewegung, von der die AfD nur die parlamentarische Spitze ist, am besten journalistisch umgehen. Selbst investigative Hintergrundrecherche, das Entlarven von Mandatsträgern als kriminell und gewaltverherrlichend bleibt ohne Folge. Wir erreichen nichts mit unserer Arbeit, wie wir sie bisher geleistet haben. Wir müssen umdenken, uns breiter und effektiver aufstellen.
Wie kann das aussehen?
Zum Beispiel durch Projekte wie „Kein Raum für rechts“. Das geht dann über normale journalistische Arbeit hinaus. Wir haben dort in Zusammenarbeit mit Präventionsstellen ein fiktives, virtuelles Nazi-Zimmer nachgebaut. Dieses Zimmer ist offen zugänglich: Man kann zum Beispiel einen Schrank öffnen und sich die neueste Nazi-Mode ansehen. Oder sich anschauen, wie läuft die Kindererziehung bei Rechtsextremen? Wie sehen Brauchtumsfeiern aus? Das haben wir virtuell versucht nachzuzeichnen mit Film, Fotos, Interviews, alles verpackt in diesem Raum. Es gibt einfach noch viel zu wenig Aufklärung, die ankommt. Das ist ein Anfang im Journalismus, präventiv gegen rechts neue Schritte zu wagen. Andere führen Blogs, auch eine gute Sache.
Die Arbeit, die Sie leisten, die sich zum Beispiel in einer preisgekrönten TV-Dokumentation wie „Das braune Netzwerk“ niederschlägt, ist zeit- und arbeitsintensiv. Ein Jahr haben Sie für diesen Film recherchiert. Wie kann man sich das als Freie finanzieren?
Wie gesagt, ich finde, es ist der wunderbarste Beruf überhaupt. Schreiben und Filme produzieren bringt so viel Freiheit und ist die beste Therapie für mich, wenn man sich mit so einem Thema befasst, wie ich das seit 25 Jahren mache. Aber finanziell gesehen ist es schwierig, gerade bei Büchern. Da muss man schon gut haushalten. Die wirtschaftliche Seite ist sehr ernst zu nehmen, denn sonst funktioniert es nicht. Man verdient, aber muss dann eben auch die langen Phasen der Recherche überbrücken. Es gibt auch Jahre, in denen es besser läuft. 2011 haben wir alle als Fachjournalisten mehr verdient, weil in diesem Jahr der NSU aufgeflogen ist und es eine große Nachfrage nach unseren Fachkenntnissen gab. Dann kann man sich Reserven anlegen. Heute ist das schwieriger. Durch AfD, die Pegida, die Antiasyl-Initiativen und die Reichsbürger-Szene haben wir ein gigantisches rechtes Spektrum. Man kann eigentlich kaum noch nachkommen, jedoch werden nicht mehr nur wir Fachleute gefragt, sondern fast jede Redaktion beackert diese Themen eigenständig und verlässt sich wieder mehr auf Auskünfte von Verfassungsschutz und Polizei als auf uns als Experten. Daher ist es zurzeit wieder schwieriger finanziell, auch dadurch, dass so viele Veröffentlichungen ins Internet verlagert werden.
„Die rechte Szene hatte noch nie solch ein Massenmedium zur Verfügung wie die sozialen Netzwerke“
Ist denn die Recherche einfacher oder schwieriger geworden dadurch, dass das rechte Spektrum nun viel präsenter in der Öffentlichkeit ist?
Die rechte Szene hatte noch nie so ein Massenmedium zur Verfügung wie die sozialen Netzwerke. Bei Facebook ist die AfD die am meisten gelikte Partei. Das waren bis Anfang 2016 rund 255.000 „Gefällt mir“ – Angaben, so viel erreichten alle im Bundestag vertretenen Parteien zusammen bis dato nicht. Allein Pegida Dresden hatte bis Juni 2016 fast 4 Millionen Likes. Das heißt, es existiert eine politische Gegenöffentlichkeit, ein Gegenmedium, wie die Rechten es noch nie hatten.
Unsere Aufgabe ist es natürlich einerseits, diese Entwicklung innerhalb der Facebook-Gruppen oder auf Youtube zu beobachten. Das ist harte Arbeit, flapsig gesagt, müsste man eigentlich Schmerzensgeld dafür bekommen, sich diesen Hass in den Filterblasen täglich durchzulesen. Das fällt mir weitaus schwerer, als auf der Straße zu filmen und zu dokumentieren. Es ist einerseits leichter geworden, weil es transparenter ist. Selbst Rechtsterroristen haben heute Facebook-Accounts. Das gibt einen guten Überblick und man kann alles leichter verfolgen. Aber dann muss man auch hinfahren am Wochenende, und schauen: Findet das Rockertreffen tatsächlich statt? Sind die Rechten und die Hooligans wirklich vor Ort? Wir können es uns nicht so einfach machen, wie es scheint.
Um eine Dokumentation wie „Das braune Netzwerk“ zu produzieren, braucht es auch intensiven Kontakt zur rechten Szene. Welche Gefahren birgt so ein Verhältnis?
Wir wollten auf keinen Fall eine Form des embedded journalism mit den Rechten machen. Es braucht nicht unbedingt intensiven Kontakt, sondern intensive Recherche. Wenn sie mit uns reden, dann gilt es für mich direkt zu fragen und nicht um den heißen Brei herumzureden. Meisten sprechen sie aber gar nicht mit mir, verweigern Interviewanfragen. Früher bin ich eine ganze zeitlang direkt in die Neonaziszene hineingegangen, habe so Informationen gesammelt. Heute ist mein Gesicht bekannt und es schwieriger. Aber ohnehin sind die Rechten viel zu professionell geworden, sich auf ihre Aussagen zu verlassen ist heikel – und zum Teil naiv. Home Stories wie die mit Götz Kubitschek mache ich nicht. Mein Ding ist – richtig old school – Journalismus, der vor allem auf Recherchen beruht, weniger auf Plaudereien oder intensiver Kontaktaufnahme mit Neonazis.
In der WDR-Dokumentation zeigen Sie Auszüge aus einem internen E-Mail-Verkehr. Diese Dokumente wurden Ihnen vermutlich zugespielt. Wie geht man damit um?
Wir müssen vorsichtig sein und vor allem Informationen, die wir zugespielt bekommen, checken. Gerade bei der Professionalität neuer Szenen, wie der Identitären Bewegung, die uns ganz bewusst aufs Glatteis führen wollen, müssen wir wahnsinnig aufpassen. Mittlerweile sollte man befürchten, in irgendeine Falle zu tappen. Das ist eine Gefahr für uns politische Journalisten, da wir natürlich ein großes Quantum an Gegnern haben. Argwohn und Kontrolle sind wichtig. Man ist natürlich Hassobjekt, wenn man das so lange macht. Da braucht es auch die Vernetzung untereinander, um sich gegenseitig zu warnen. Ich arbeite eigentlich nie ganz alleine.
Die Doku zeigt auch Videoaufnahmen, die geheim gedreht wurden. Wie schnell verbaut man sich damit weitere Recherchen in der Szene und wird sozusagen berühmt berüchtigt?
Sie haben Recht. Mit jedem Bericht wird auch das Gesicht bekannter. Wir werden so eine Recherche in der Form dann nicht wiederholen können. Sie dürfen aber nicht vergessen, wie dynamisch und heterogen die rechte Szene mittlerweile ist. Da weiß oft eine Gruppe von der anderen schon nicht mehr. Und was dazu kommt: Alle sind wahnsinnig mediengeil. Jede der Gruppen will aus der Versenkung raus und hat Wichtiges zu sagen, will ideologisch der Vorreiter sein. Oder Dampf ablassen, wenn jemand zum Beispiel eine Gruppe oder Partei im Zorn verlässt. Davon profitieren die Medien immer wieder.
Als Frau sind Sie in Ihrem Recherchegebiet oft sexistischen Beleidigungen ausgesetzt. Würden Sie denn sagen, dass es generell ein Nachteil ist, als Frau in der rechtsextremen Szene zu recherchieren? Oder birgt das auch Vorteile?
Als Frau kann man es durchaus ein bisschen ausnutzen, dass es sich um dumpfe patriarchale Strukturen handelt. Meistens gehen sie zuerst auf die Männer los und dann gelingt es manchmal daneben zu stehen und zu filmen. Schön ist es aber nicht. Oder es gibt Veranstaltungen, da zieht man sich ein nettes Kostüm an, verhält sich unauffällig und kommt so doch rein in die Szene. Mittlerweile macht das aber bei Reportern kaum noch einen Unterschied. Die Rechten gehen genauso auf Kolleginnen los. Ich würde sogar sagen, manchmal sind die Frauen der Szene hysterischer gegenüber anderen Frauen, gerade bei Massen-Events.
Journalisten sollen ja eigentlich neutral und objektiv berichten. Sie scheinen da aber schon eine sehr deutliche Haltung zu haben?
Das stimmt. Ich bin vor allem auch ein politisch denkender Mensch, der in dieser Gesellschaft leben möchte und Verantwortung mitträgt. Ich habe immer Schwierigkeiten damit gehabt, mich aus einer Sache völlig herauszunehmen. Inhaltlich muss man da absolut objektiv herangehen. Deshalb würde ich immer sagen, wir lassen lieber etwas weg, als dass es Zweifel an der Sache gibt. Da habe ich eine starke Selbstverpflichtung. Aber ich möchte nicht dabei zusehen, wie diese Gesellschaft immer rassistischer wird.
Vor dem Phänomen der Demokratiemüdigkeit warnen Wissenschaftler seit Jahren. Fünfzehn Prozent der Deutschen wollen Umfragen zufolge wieder einen starken Führer. Die rassistischen Bewegungen in den USA oder in Frankreich lassen erkennen: Auch wir in Deutschland sind nicht gefeit vor so einer Entwicklung. Das heißt, ich engagiere mich natürlich. Auch über das Normale hinaus, das ist mir schon klar. Ich berichte und danach stehe ich zur Verfügung und suche das Gespräch mit Betroffenen aus der Region. Ich will nicht nur verbrannte Erde hinterlassen, indem ich zum Beispiel einen Ort als „Nazi-Dorf“ abstempele. Da habe ich eine starke moralische und politische Verpflichtung.
Gibt es Unterschiede in der Recherche, wenn man sich die klassischen Neonazi-Gruppen, z.B. Dritter Weg, im Gegensatz zu den neuen Rechten, sei es die Identitäre Bewegung oder Martin Sellner, ansieht?
Es gibt sowohl Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten. Die Neonazi-Szene macht keinen Hehl daraus, dass sie das demokratische System abschaffen will. Das möchte ein Höcke oder ein Gauland auch, die verpacken es nur anders. Sie wollen die Regierung stürzen und sozialen Unfrieden stiften. Eine weltoffene, humanistische Gesellschaft ist ihr Feindbild. Die Neonazis agieren allerdings noch militanter. Beide wollen eine Gegenöffentlichkeit herstellen. Heute will die AfD auch keine Presse mehr auf ihren Parteitagen, sie will am liebsten nur noch Pressemitteilungen veröffentlichen und Eigenes im Netz posten. Die Rechten betreiben Zensur. Das ist eine neue Qualität, aber letztlich nur die Zuspitzung dessen, was die Neonazis schon lange versucht haben und was ihnen so bisher nicht gelungen ist. Im Grunde genommen hat die AfD auch von deren Erfahrungen und Fehlschlägen gelernt.
Muss man da anders herantreten als bisher?
Ja, denn unsere Arbeit ist von starken Einschränkungen betroffen. Wir sind in der Defensive, Veröffentlichungen über Rechte leiden an „Abkürzeritis“. Welcher Name darf noch ausgeschrieben, welcher Neonazi offen per Bild gezeigt werden? Gespräche kann man nur noch zu zweit oder zu dritt führen, weil wir Belege brauchen, wenn sie uns verklagen. Wir überlegen doppelt und dreifach: Ist das juristisch haltbar? Denn juristisch ist es für uns ganz, ganz schwierig geworden. Alles eine Folge permanenter rechter Einschüchterungspolitik. Bei den großen Redaktionen ist das nicht anders. Wir haben alle mit juristischer Gegenwehr zu rechnen. Alles, was wir veröffentlichen, ist per se von einer Unterlassungsklage bedroht. Das ist Taktik.
„Wir haben es mit einer großen Front von politischen, professionellen und antidemokratischen Gegnern zu tun, die die freie Presse abschaffen wollen.“
Das heißt man muss jetzt alles ganz transparent belegen, damit man sich verteidigen kann?
Naja, es ist eher eine ganz andere Größenordnung. Früher hatte man es mit der NPD zu tun, mit Kameradschaften, die Anwälte hatten, die per se als Neonazis bekannt waren und im Verfassungsschutzschutzbericht standen. Heute haben wir es mit einer in der Mitte der Gesellschaft stehenden, etablierten Partei, der AfD und derem Umfeld, zu tun. Deren Riege von Anwälten kommt meistens aus dem Spektrum der Burschenschaften, die nicht mehr in der Form stigmatisiert werden können. Früher hieß es dann, das ist ein „Nazi-Anwalt“. Das haut heute so nicht mehr hin. Wir haben es mit einer breiten Front von politischen, professionellen und antidemokratischen Gegnern zu tun, die die freie Presse abschaffen wollen.
„Man darf sich von den Rechten nicht so vor den Karren spannen lassen. Wir müssen wieder eigene Inhalte bestimmen. Dazu braucht es mehr Mut innerhalb der Redaktionen.“
Wie beurteilen Sie den Umgang der Leitmedien mit der AfD?
Wir Fachjournalisten haben schon lange die hohe Medienpräsenz der AfD kritisiert, insbesondere in großen Talkshows. Wir gehen viel zu überkorrekt mit einer Partei um, die nicht fair mit uns umgeht. Die Radikalität gegenüber den Medien ist stark gewachsen und wir schauen zu. Wir sollten Selbstbewusstsein zeigen. Es darf nicht vorrangig darum gehen, mit Rechten zu plaudern, sondern Opfern und Betroffenen Gehör zu schenken und mit Fachleuten zu den Themen zu sprechen. Die Aufmacher der großen Zeitungen in dieser Woche zeigen die falsche Medienpolitik. So scheinen die Rechten die Schlagzeilen der großen Medienhäuser zu bestimmen. Wir sollten uns von denen nicht so vor den Karren spannen lassen und wieder eigene Inhalte bestimmen. Dazu braucht es mehr Mut und Engagement innerhalb der Redaktionen.
Sie sagten eingangs, dass, weil der Rechtsextremismus so in die Breite explodiert ist, es auch im Journalismus nicht so weitergehen kann wie bisher. Im Grunde fordern Sie damit neue journalistische Konzepte dafür, wie man über Rechtsextremismus berichten soll. Wen sehen Sie in der Verantwortung? Sind es Recherche-Netzwerke, die wissenschaftliche Forschung, die journalistische Ausbildung?
Verantwortlich sind wir alle. Ich finde die Erziehung von Journalisten zu per se „unpolitischen Medienmitarbeitern“ falsch. Journalisten dürfen politisch sein. Natürlich muss man Sachlichkeit walten lassen, allein durch die Recherche sind wir dieser verpflichtet. Man kann aber durchaus eine Haltung haben. Abseits davon würde ich nicht von Verantwortung sprechen, sondern meine eher Kreativität. Es herrscht eine Hilflosigkeit. Man recherchiert, man arbeitet, man zeigt, wie radikal und antidemokratisch diese und jener Politiker sind, und anschließend wird es doch ignoriert. Ich möchte gerne mit den jüngeren Kollegen zusammenarbeiten, die ganz andere, neue Ideen haben, die sich mit den neuen Medien auskennen und mit den zugehörigen Mechanismen locker umgehen. Wir müssen vor allem verstehen, wie die rechte Bewegung funktioniert, wie ihre langfristigen Strategien aussehen. Bisher sah es so aus, den Diskurs des Sagbaren zu erweitern, Tabus zu brechen. Mit gefährlichen Folgen: Den Holocaust in Frage zu stellen wird attraktiver. Fakten werden ignoriert. Hemmschwellen sinken. Einfach nur zu erwarten, dass wir die rechte Szene mit einer Enthüllung zum Schweigen bringen, funktioniert nicht mehr. Wir müssen deshalb mutiger und kreativer werden. Sollten verstärkt mit Wissenschaftlern zusammenarbeiten, auch wenn es nicht in unsere Zeit passt.
Die verdeckte Recherche ist in unserem Gespräch mehrmals angeklungen. Wie aber steht es um Aufnahmen mit versteckter Kamera? Thomas Kuban, ein Pseudonym, hat unter für ihn sehr gefährlichen Umständen damit gearbeitet, diese Methode inzwischen aber aufgegeben: einerseits wegen der psychischen Belastung, andererseits aus der Erkenntnis heraus, dass die breite, liberale Öffentlichkeit an seinen Enthüllungen dann doch nicht so interessiert war, wie man annehmen würde. Wie erfolgversprechend oder im Gegenteil gefährlich ist es, sich selbst als Person in die Milieus hineinzuwagen?
Bei Kuban kam auch noch dazu, dass er aus finanziellen Gründen aufgehört hat. Er musste einfach immer weiter aufrüsten. Die Gegenseite ist immer cleverer geworden, und er musste mit ganz anderen technischen Mitteln und Kameras arbeiten, um nicht entdeckt zu werden. Und er hat dadurch Entscheidendes aufgedeckt, beispielsweise die Dynamik und Bedeutung von rechter Musik für die Szene. Verdeckte Recherche ist wichtig. Und wir sind immer in Versuchung, weil wir bei gewissen Veranstaltungen einfach nicht mehr reinkommen. Das ist oft aber zu gefährlich, ich selbst mache es nicht und würde es auch nie meinen jungen Kollegen zumuten oder von ihnen verlangen. Trotzdem ist diese Arbeit nach wie vor wertvoll, aber oft eben auch wahnsinnig teuer.
Wenn man als Lokaljournalist in diesen Milieus recherchiert, kann sich der Hass der Rechten aufgrund der räumlichen Nähe schnell auf das engste Umfeld, z.B. die Familie, ausweiten. Wie groß ist diese Bedrohung?
Die Lokaljournalisten sind oft diejenigen, die am meisten im Visier stehen. Deren Redaktionen haben offene Türen, da kann jeder rein. Wir erfahren hier eine hohe Fluktuation, viele wollen wenn. dann nur kurz über das Thema berichten um sich nicht in Gefahr zu bringen. Zahlreiche engagierte Kollegen machen das nur ein paar Monate. Deshalb sind Kollektive sehr hilfreich, in denen die Recherche nicht auf einen Kollegen zurückzuführen ist. Eine andere Lösung dafür ist die Arbeit mit Pseudonym. Der erste Schritt sollte aber immer sein, eine Meldeauskunftssperre zu beantragen und persönliche Daten sperren zu lassen. Wenn aber die Ressourcen zu eng sind, dann hat das eben zu Folge, dass manche Lokalzeitungen die kritische Berichterstattung einstellen müssen. Das führt dazu, dass es verstärkt AfD-Pressemitteilungen unfiltert in die Medien schaffen.
Ist auch politische Satire ein geeignetes Hilfsmittel, um den Rechten die eigene Absurdität vor Augen zu führen?
Klar. Ich finde es sehr wichtig, dass wir uns das Selbstbewusstsein nicht nehmen lassen, über die Rechten zu lachen. Einfach wieder einen Mut zu entwickeln, das zu tun. Auch wenn man mal eine Klage in Kauf nehmen muss. Die kann gewonnen werden!
Abschließend noch die Frage: Können Sie überhaupt noch abschalten in der ständigen Konfrontation mit rechtem Gedankengut?
Man braucht tatsächlich ein intensives Privatleben. Ich habe Familie und Freunde, die nichts mit alldem zu tun haben. Ich bewege mich relativ wenig in journalistischen Kreisen. Aber die aktuelle Entwicklung rückt tatsächlich immer näher und ich kann nicht sagen, dass ich das so leicht wegstecke. Mir ist wichtig, mich immer wieder zu fragen: Wie bleibe ich möglichst authentisch mit meiner Arbeit? Veröffentlichung ist auch getane Arbeit. Danach kann ich abschalten, habe alles gegeben und kann sagen: Jetzt ist auch erst mal gut. Dann kann ich mich wieder um das Schöne im Leben kümmern,
Redaktion: Isabel Schneider
24. August 2018