#nr22 | Interview | Lokaljournalismus
„Ohne Kooperationen wird der Lokaljournalismus in Zukunft nicht denkbar sein“
Der Lokaljournalismus befindet sich in einer angespannten Situation: Sinkende Abozahlen und fehlende Anzeigenerlöse führen vielerorts in Redaktionen zu Stellenabbau und Sparmaßnahmen. Tiefgehende Recherchen bleiben wegen der fehlenden Ressourcen zunehmend auf der Strecke. Recherchenetzwerke wie Correctiv.Lokal sind eine Antwort auf die wachsenden Probleme. Das gemeinnützige Recherchezentrum möchte den Lokaljournalismus stärken, in dem es datenbasierte Recherchen in vernetzter Zusammenarbeit mit Journalist*innen aus ganz Deutschland anstößt. Prof. Dr. Wiebke Möhring von der TU Dortmund spricht im Interview über die Herausforderungen von Recherchenetzwerken und die Zukunft von Kooperationen im Lokaljournalismus.
Frau Prof. Dr. Möhring, Netzwerke wie Correctiv.Lokal möchten gemeinsam mit tausenden Mitgliedern tiefgehende Recherchen anstoßen, um den Lokaljournalismus zu stärken. Wie muss eine solche Zusammenarbeit organisiert sein, damit sie gelingt?
Möhring: Im Vorhinein muss immer sehr klar sein, wie die Strukturen und Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit aussehen. Es muss abgesprochen und klar benannt werden, welcher Kooperationspartner welchen Anteil an der Recherche leistet. Zusätzlich muss die Veröffentlichungsstrategie der Recherchen mit dem Netzwerk abgestimmt werden, damit am Ende kein Partner nachrangig berichtet und sich vernachlässigt fühlt.
Kritiker*innen werfen Recherchenetzwerken vor, dass es ihnen häufig an Flexibilität und Agilität fehle. Kollaboration alleine mache den Qualitätsjournalismus nicht per se besser.
Jede Organisationsform hat ein fluides Eigenleben. Dass es in großen Organisationen wie beispielsweise Correctiv.Lokal auch mal knirschen kann, liegt in der Natur der Sache von Zusammenarbeit. Es treffen unterschiedliche Redaktionskulturen und -strukturen aufeinander, was sicherlich bei jeder Recherche ein Stück weit herausfordernd ist. Ein Netzwerk muss eine gewisse Flexibilität haben, um sich an neue Kooperationspartner anpassen zu können, ohne dabei zu beliebig in seinen Strukturen zu werden. Dieses Spannungsfeld zwischen Flexibilität auf der einen und vorgegebenen Strukturen auf der anderen Seite ist der große Balanceakt, der in jeder neuen Recherche diskutiert werden muss. Diese Herausforderung ist auch stark abhängig von den beteiligten Akteuren. Insbesondere dann, wenn diese nicht auf der gleichen Ebene agieren, zum Beispiel was personelle und finanzielle Ressourcen angeht. Wenn die Akteure unterschiedlich stark aufgestellt sind, ergeben sich auch unterschiedliche Erwartungen in der Umsetzung der Recherchen.
Probleme in der Umsetzbarkeit von Recherchen können auch in anderen Bereichen entstehen. Beispielsweise wenn ein Recherchenetzwerk ein datenbasiertes Thema festlegt und die lokalen Kooperationspartner diese aufgrund von mangelnden Daten in ihrer Kommune einfach nicht umsetzen können.
Das kann auf jeden Fall ein Problem sein. Wenn man sich anschaut, wie unterschiedlich die Datenstrukturen sind, die wir aus Kommunen bekommen, ist das eine große Herausforderung. Wir haben das sehr gut in der Zusammenarbeit von Gesundheitsämtern während der Coronapandemie gesehen. Da gab es mancherorts Ämter, die ihre Daten noch per Fax verschickt haben. Die komplizierte Datenlage ist nach meinem Dafürhalten auch einer der Gründe, warum es bisher nur wenige aufwändige Datenprojekte dieser Art im Lokaljournalismus gab. Es kann teilweise wahnwitzige Kleinstarbeit pro Kommune bedeuten, brauchbare Datensätze aufzustellen. Netzwerke können bei solchen Problemen in der Umsetzbarkeit von Recherchen aber auch eine große Unterstützung sein.
Inwiefern?
Falls eine Redaktion in einer Recherche nicht vorankommt, muss sie nicht zwangsläufig in aufwändiger Kleinstarbeit nach eigenen Lösungen suchen. Vielleicht stand eine andere Redaktion aus dem Netzwerk vor kurzem ja vor einem ähnlichen Problem und hat dieses schon gelöst. Durch einen Austausch zwischen den Redaktionen in einem Netzwerk kann im besten Fall ein Transfer von „Umsetzungs-Know-How“ stattfinden und Rechercheprobleme schnell gelöst werden.
Interessieren sich die Rezipient*innen überhaupt für tiefgehende Datenrecherchen in den Lokalmedien?
Man sollte die Leute da nicht unterschätzen. Die lokalen Medien werden ja im besten Fall auch als „critical friend“ verstanden und das Interesse an tiefgehenden Recherchen ist im Lokaljournalismus da. Der große Vorteil von lokalen zu nationalen bzw. internationalen Recherchen ist, dass diese letztendlich im Alltag per Augenschein geprüft werden können. Die Leute bekommen dann vielleicht in Gesprächen auf dem Sportplatz mit, wie der Bürgermeister in Wirklichkeit tickt oder was im örtlichen Großunternehmen schiefläuft. Die Rezipienten sind im Lokalen in ein informelles Netz eingebunden, tiefgehende Recherchen können da auf großes Interesse stoßen. Dabei können Recherchenetzwerke wie Correctiv.Lokal eine große Unterstützung für Lokalredaktionen sein.
Wie wird sich der Lokaljournalismus in Zukunft weiterentwickeln?
Ohne Kooperationen wird der Lokaljournalismus in Zukunft nicht denkbar sein. Die Zusammenarbeit kann dabei auf verschiedenen Ebenen stattfinden. Bei der angespannten Personalsituation in vielen Lokalredaktionen ist es zukünftig einfach nicht sinnvoll, dass besonders in der alltäglichen Standardberichterstattung aufwändig versucht wird, immer wieder neue Konzepte zu entwickeln. Es ist viel hilfreicher, sich umzuschauen und sich neue Ideen einzuholen. Recherchekooperationen wie Correctiv.Lokal greifen diese Idee ja auf, indem sie den Lokalredaktionen interessante Themen anbieten und diese über mehrere Verbreitungsgebiete hinweg streuen. Es können sich aber auch ganz andere Kooperationen entwickeln. Lokalredaktionen könnten sich beispielsweise in Eigeninitiative zu einer spannenden regionalen Recherche zusammentun und eigene Projektteams bilden. Durch die verschiedenen Personalkonstellationen könnte dann beispielsweise ein guter Datenjournalist aus der einen mit einem guten Grafiker aus der anderen Redaktion zusammenarbeiten. Gewonnen hätten am Ende alle Projektpartner. Um die Qualität von Lokaljournalismus weiterzuentwickeln, wird an Kooperationen in Zukunft kein Weg vorbeiführen.
Die Fragen stellte David Hammersen.
28. September 2022