Dokumentation | Presserecht
Richter: „Man hütet Quellen wie das eigene Auge“
Das „Zoom“-Symposium der Deutschen Welle und des Instituts für Medienrecht und Kommunikationsrecht der Universität zu Köln beschäftigt sich regelmäßig mit internationalem Medienrecht. Auf der diesjährigen Veranstaltung am 11. Dezember 2019 in Berlin hielt der Leiter des Ressorts Investigative Recherche der Süddeutschen Zeitung, Nicolas Richter, einen Vortrag über Quellenschutz. Message dokumentiert die Rede mit dem Titel „Schutz der journalistischen Recherche und der Quelle – Was ist erforderlich, um investigativ arbeiten zu können?“ mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Für eine Journalistin oder einen Journalisten sind nur zwei Katastrophen denkbar:
Erstens: Man tut einem unschuldigen Menschen Unrecht an, mit falscher oder irreführender Berichterstattung.
Zweitens: Man gibt eine Quelle preis, die sich darauf verlässt, anonym zu bleiben.
Quellen sind für uns das A und O. Unsere Arbeit speist sich aus ihnen.
Es wäre irreführend zu sagen, Quellen seien das Kapital der Journalisten – Kapital ist etwas, das man ausgibt, worüber man verfügt. Aber Quellen sind Menschen. Über sie verfügt man nicht. Man pflegt ein Vertrauensverhältnis zu ihnen. Man weiß, dass sie sich einem ausliefern. Deswegen ist man verpflichtet, sie zu schützen. Man hütet sie wie das eigene Auge.
Quellen sind nicht immer einfach. Sie können Motive haben, die man nicht ausschließlich edel findet. Eine Quelle kann jemandem etwas heimzahlen wollen. Sie kann eine Bühne zur eigenen Profilierung suchen, sie kann Bestätigung darin suchen, dass sie andere zu Fall bringt. Sie kann ungeduldig sein, sie kann leichtsinnig sein. Sie kann sogar versucht sein, Gegner in eine Falle zu locken.
Wie auch immer man zu Motiven und Auftreten seiner Quellen steht: Hinhängen darf man sie auf keinen Fall.
Es ist ein anerkanntes Prinzip in Ländern mit freier Presse, dass Reporter ihre Quellen niemals offenbaren. Eine Ausnahme ist allenfalls in extrem seltenen Ausnahmefällen denkbar, wenn etwa Menschenleben auf dem Spiel stehen.
Es gibt Quellen, die alles daran setzen, im Verborgenen zu bleiben. Es gibt Quellen, die vor alle Weltöffentlichkeit treten, Edward Snowden zum Beispiel.
Snowden lebt seit Jahren im Moskauer Exil, er wird vermutlich nie in seine amerikanische Heimat zurückkehren können, weil ihm dort Strafverfolgung droht.
Er hat für seinen Akt der Aufklärung einen hohen Preis bezahlt.
Immerhin: Er hat diese Entscheidung selbst getroffen.
Nehmen wir an, ein Journalist hätte Snowdens Identität versehentlich verraten und Snowden hätte deswegen ins Exil fliehen müssen – wäre dies nicht ein furchtbares berufliches Versagen gewesen?
Es gibt verschiedene Ebenen, auf denen Quellenschutz ansetzen kann.
Quelle vor sich selbst schützen
Es gibt langjährige, erfahrene Quellen, sagen wir, in einem Ministerium, in einer Firmenzentrale. Es gibt aber auch unerfahrene. Jemand, der einen Missstand miterlebt und zum ersten Mal überhaupt das Gespräch mit einem Journalisten sucht. Jemand, der nicht genau überblicken kann, worauf er sich einlässt. Hier kann es sein, dass man als Journalist der erste Ansprechpartner ist und damit auch Berater. Man muss aufklären über Fragen wie: Soll die Quelle öffentlich auftreten oder unerkannt bleiben? Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie auffliegt? Kann sie gefeuert werden? Muss sie untertauchen? Lohnt sich das Risiko überhaupt für das, was sie tatsächlich zu enthüllen hat.
Hier ist es wichtig, ganz und gar ehrlich zu sein: Bloß weil ich als Journalist die Story machen will, sollte ich die Folgen für die Quelle nicht kleinreden. Die Quelle schützt man auch, indem man ihr misstraut: Ihre Informationen sollten mit gesunder Skepsis betrachtet und wo möglich überprüft werden. Als Journalist stellt man sich dabei folgende Fragen: Ist das Material authentisch? Ist es vollständig? Welche Interessen stehen hinter dieser Veröffentlichung?
Quelle vor Verfolgern schützen
Hier gelangt man schon in einen ersten Grenzbereich. Nehmen wir an, eine Quelle redet über das Organisierte Verbrechen oder über Machenschaften in einem Geheimdienst. Es könnte sein, dass die Quelle untertauchen muss, sich verstecken muss, oder, weniger dramatisch, einen Rechtsanwalt braucht, der sie verteidigt gegen eine Kündigung oder Klagen auf Schadenersatz oder gar vor dem Staatsanwalt.
Wir sind hier in der Pflicht aufzuklären, zu beraten, zu unterstützen. Aber es ist für uns irgendwann auch ein Dilemma: Wir zahlen nämlich grundsätzlich kein Geld an Informanten, zahlen in der Regel also auch keinen Anwalt für sie. Wir können zwar mithilfe unserer Justitiare im Verlag erste Ratschläge geben, aber für eine langfristige anwaltliche Betreuung müssen andere einspringen. Es gibt NGOs zum Schutz von Whistleblowern, die Hilfe anbieten, wir können an diese Organisationen vermitteln, aber nicht deren Rolle übernehmen.
Quelle vor der Technik schützen
Jeder erinnert sich an den Watergate-Film: Deep Throat im Parkhaus. Mitten in der Nacht tritt jemand mit einem Hut hinter einer Säule hervor. Heute kann man mit seinen Quellen elektronisch kommunizieren. Das hat Vorteile und Nachteile. Der Vorteil: Große Datenmengen lassen sich schnell und einfach übertragen. Der Nachteil: Elektronische Kommunikation hinterlässt Spuren, es lässt sich nachverfolgen, wann jemand einen USB-Stick in einen Computer gesteckt hat, um Daten mitzunehmen, es lässt sich nachverfolgen, wenn jemand übers Netz Informationen verbreitet.
Die technischen Herausforderungen des investigativen Journalismus sind so stark in der Vordergrund gerückt, dass sich manche Journalisten-Handbücher wie technische Gebrauchsanleitungen lesen. Eine Gruppe Journalisten hat jüngst einen Leitfaden veröffentlicht mit dem Namen „Perugia Principles for Journalists Working with Whistleblowers in the Digital Age“.
Zitiert wird der Reporter James Risen mit den Worten:“We’re being forced to act like spies, having to learn tradecraft and encryption and all the new ways to protect sources. But we are not an intelligence agency. We’re not really spies. So, there’s going to be a time when you might make a mistake or do something that might not perfectly protect a source. This is really hard work. It’s really dangerous for everybody.” (Wir sind keine Spione, sehen uns aber gezwungen, wie Spione zu arbeiten.)
Das beschreibt die Lage treffend.
Die Organisation Intercept hat sich zum Beispiel Vorwürfen ausgesetzt, sie habe den US-Behörden durch Ungeschick dabei geholfen, eine Quelle ausfindig zu machen. Es ging um eine Frau namens Reality Winner, die dem Intercept offenbar geheime Unterlagen zur Verfügung gestellt hatte. Das wäre tatsächlich eine verheerende Panne. Unter anderem sollen Details in den durchgestochenen Dokumenten die Quelle verraten haben. Es empfiehlt sich daher, Dokumente nicht im Original zu zeigen, allein schon wegen der Metadaten, die verraten können, wer ein Dokument angelegt oder gedruckt hat.
Wir bei der SZ und anderen investigativ arbeitenden Redaktionen rüsten also auf: Für den Erstkontakt bieten wir auf unserer Website einen sicheren Digital-Briefkasten namens SecureDrop, über den Informanten verschlüsselt mit uns kommunizieren können. Wir klären Quellen darüber auf, wie sie Kontakt aufnehmen können. Wir verwenden für unsere interne Kommunikation verschlüsselte Chatgruppen und E-Mails.
Insgesamt steht die Presse hier vor schnell wachsenden Herausforderungen. Die massive Verbreitung von Überwachungstechnologien und einem immer weiter verschärften Polizeirecht schränken weltweit die Freiheit ein, die die Presse braucht.
Quellen klären wir über diese Problematik auf, und manchmal empfehlen wir dann auch mal ein Treffen nach guter altmodischer Art – vielleicht nicht in der Parkgarage, aber vielleicht im Park oder, im Winter, irgendwo, wo es warm ist.
Quelle vor der dem Staat schützen
Nicht zuletzt müssen wir unsere Quellen vor dem Staat schützen, vor einer der mächtigsten Organisationen überhaupt. In den USA sind in den vergangenen Jahren immer wieder Menschen verfolgt worden, weil sie Informationen herausgegeben hatten. Nicht Journalisten, sondern deren Quellen. Verfolgt werden dann Verstöße gegen Geheimhaltungsvorschriften oder die Nationale Sicherheit, speziell gegen das Anti-Spionage-Gesetz. Auch Wikileaks-Gründer Julian Assange wird jetzt wegen möglicher Verstöße gegen das Anti-Spionage-Gesetz verfolgt, was eindeutig unverhältnismäßig ist.
Wir Journalisten können das trotz gründlicher Arbeit nicht immer verhindern. Aber wir müssen über solche Fälle ausführlich und kritisch berichten.
Und wir müssen auch hier in Deutschland dem Gesetzgeber streng auf die Finger schauen. Ein Beispiel war das noch recht junge Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen. Dem Namen nach schützt es grundsätzlich Geheimnisse, aber es beinhaltet auch, zum ersten Mal überhaupt im deutschen Recht, einen Schutz für Whistleblower.
Im Gesetzentwurf war dieser Schutz allerdings nicht ausreichend, erst eine verbreitete öffentliche Kritik der Presse bewegte den Bundestag zu Nachbesserungen.
Es gibt jetzt in Deutschland mehr Schutz gegen strafrechtliches oder zivilrechtliches Vorgehen gegen Quellen und Whistleblower, aber der muss noch verbessert werden. Als Nächstes muss die Bundesregierung die neuen Vorgaben aus Brüssel zum allgemeinen Whistleblower-Schutz umsetzen.
Diese Entwicklung ist wichtig: Sie zeigt, dass der Whistleblower, aber auch die anonyme Quelle im öffentlichen Bewusstsein angekommen sind. Es zeigt ein wachsendes Bewusstsein dafür, dass Whistleblower einen nützlichen, ja essenziellen Dienst leisten für die Gesellschaft, für die Demokratie. Sie decken Missstände auf, sie bringen Licht ins Dunkel, sie schaffen ein öffentliches Bewusstsein für unerkannte Probleme, für Korruption, für Machtmissbrauch.
Deswegen ist es so wichtig, dass Quellenschutz nicht mehr Sache der Journalisten allein ist.
Quellenschutz ist eine Aufgabe für die ganze Gesellschaft.
20. Dezember 2019