#nr19 | Sicherheit
Schützenswerte Verräter
EU-Parlament und Bundesregierung haben den Schutz von Whistleblowern verbessert und bewahren sie künftig umfassend vor Strafverfolgung und Repressalien. Die neuen Maßnahmen sind ein wesentlicher Fortschritt, weisen aber noch Schwachstellen auf
von Julian Schröder
Die Rechte von Whistleblowern in Deutschland und der gesamten Europäischen Union sind massiv gestärkt worden – und kaum einer hat es bemerkt. Am 16. April beschloss das EU-Parlament neue Schutzmaßnahmen für Whistleblower. Zusätzlich verabschiedete die Bundesregierung zwei Tage später ein Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen. Auch das schützt Whistleblower und Journalisten ausdrücklich vor Strafverfolgung, falls die „Offenlegung geeignet ist, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen”, oder bei der „Aufdeckung einer rechtswidrigen Handlung” hilft, so der Gesetzestext.
Gewaltiger Fortschritt
Deutschland setzte damit eine EU-Richtlinie von 2016 um. „Die Situation für Journalisten war schon immer ganz hervorragend”, meint der stellvertretende Vorsitzende des Whistleblower-Netzwerks Johannes Ludwig. „Bei Whistleblowern war das bisher nicht der Fall.” Das neue Gesetz sei deswegen ein gewaltiger Fortschritt, obwohl es eigentlich um den Schutz von Geschäftsgeheimnissen geht, sagt der Experte und frühere Medien-Professor, der mit dem Whistleblower-Netzwerk für die Sicherheit von Hinweisgebern kämpft.
Während das Bundesgesetz Whistleblower vor der Strafverfolgung des Staates bewahrt, schützt die neue EU-Richtlinie Hinweisgeber künftig auch vor der Vergeltung von Unternehmen und Organisationen. Whistleblower zu entlassen, einzuschüchtern oder anderweitig zu sanktionieren, wenn sie einen Missstand aufdecken, soll dann unter Strafe stehen. Die Bundesregierung hat zwei Jahre Zeit, diese neue Richtlinie in nationales Recht umzusetzen.
Bleibt der Journalismus außen vor?
In ihr ist auch geregelt, über welche Kanäle Whistleblower ihre Informationen weitergeben dürfen. Hinweisgeber sind künftig angehalten, Missstände zuerst organisationsintern zu melden. Sie können sich aber auch direkt an staatliche Behörden wenden, sofern ihre Beschwerden auf taube Ohren stoßen oder sie Repressalien innerhalb ihrer Organisation befürchten. Ludwig sieht das kritisch: „Auch Behörden funktionieren nicht immer gut. Wenn es um wirklich drastische Sachen geht, ist es immer hilfreich, wenn sich ein Whistleblower an Medien wendet.” Journalisten könnten auch jetzt schon umfassenden Informantenschutz garantieren.
Allerdings verbietet die EU-Richtlinie Whistleblowern, die Medien zu informieren, ohne vorher die Behörden kontaktiert zu haben. Nur wenn die staatlichen Stellen nicht reagieren, die Behörden selbst in Verbindung mit dem Fehlverhalten stehen oder eine offenkundige Gefahr für das öffentliche Interesse erkennbar ist, wäre ein solcher Schritt erlaubt. Aber da muss man abwarten und genau hinschauen, was die (nächste) Bundesregierung aus der EU-Vorlage macht, meint der Vize-Chef des Whistleblower-Netzwerks Ludwig. Er befürchtet, dass Behörden aus Datenschutzgründen eingegangene Hinweise nicht veröffentlichen werden und die Bevölkerung nie von den illegalen Machenschaften erfährt.
Whistleblowern gibt die Richtlinie Rechtssicherheit. Allerdings nur, wenn sie Verstöße gegen EU-Recht aufdecken. Der Bundesregierung und dem Bundestag bieten sich nun bei der Umsetzung in deutsches Recht die Chance, ein zusätzliches Zeichen für die Presse- und Informationsfreiheit zu setzen. Dafür müssten sie sich entscheiden, die Sicherheit von Informanten auch bei Hinweisen zu Verstößen gegen deutsches Recht zu garantieren.
Ludwig erwartet jedoch eher nicht, dass die große Koalition die vorgegebene Richtlinie der EU noch verschärfen wird.
15. August 2019