Journalisten international
„Ein wenig Bitterkeit ist in allem“
Der Parlamentskorrespondent Ehsan Mehrabi hat sich von der iranischen Regierung nicht einschüchtern lassen und bezahlte das mit seiner Freiheit. Nach über einem Jahr im gefürchteten Evin-Gefängnis gelang ihm die Flucht nach Deutschland.
Von Julia Berghofer
An die Drohungen hatten sich Ehsan Mehrabi und seine Kollegen schon lange gewöhnt. Regelmäßig sandte die iranische Regierung Rundschreiben an die Redaktionen der reformistischen Tageszeitungen wie Etemad, Shargh oder Bahar und schrieben den Redakteuren vor, worüber sie berichten durften und worüber nicht. Journalisten wie der 38-jährige Mehrabi ließen sich aber keinen Maulkorb umbinden. „Die Briefe haben uns nicht daran gehindert, unsere Arbeit fortzusetzen“, sagt er. Für seine rebellische Haltung hat er einen hohen Preis gezahlt.
Dabei sieht Mehrabi ganz und gar nicht aus wie ein politischer Unruhestifter. Sein dichtes schwarzes Haar ist perfekt frisiert, der graue Anzug über dem blütenweisen Hemd sitzt tadellos. Am Arm trägt er eine goldene Uhr. Wenn er Persisch redet, klingt seine Stimme zurückhaltend. Manchmal lächelt er vorsichtig, auch wenn sein Blick stets ein wenig gedankenverloren bleibt. Die Erinnerungen an zwei Monate Einzelhaft, an Folter und Verhöre lassen sich nicht ohne weiteres abschütteln.
Früher war Mehrabi im Iran ein angesehener Redakteur. 15 Jahre hat er als Parlamentskorrespondent für Tageszeitungen Hambastegi und Etemad gearbeitet. Den Drahtseilakt, zwar kritisch zu schreiben, aber dennoch rechtzeitig die Kurve zu kriegen, wenn es brenzlig wurde, hat er lange Zeit gut hingekriegt. Bis zu dem Tag, an dem er es sich herausnahm, mit der persischen Redaktion der BBC ein Interview zu führen. Die iranischen Machthaber interpretierten dies als „Tätigkeit gegen die nationale Sicherheit“ und steckten Mehrabi ins Evin-Gefängnis. In der bekanntesten Strafanstalt am Stadtrand von Teheran sitzen all diejenigen, die es sich mit dem Regime verscherzt haben: kritische Intellektuelle, abgesetzte Minister und Redakteure.
Die Zeit im berüchtigten Trakt 350 quittiert Mehrabi heute mit Galgenhumor. Im Iran gebe es ein treffendes Sprichwort: „Wir haben die Redefreiheit, aber nicht die Freiheit nach der Rede“, sagt er und versucht ein Grinsen. Viele seiner Kollegen hat die Regierung Ahmadinedschad 2009 entlassen oder weggesperrt, Zeitungen wurden über Nacht verboten. Um ein Exempel zu statuieren, erklärt Mehrabi. Selbstzensur kam für ihn trotzdem nicht in Frage.
Im Februar 2010 bezahlte Mehrabi den Unwillen, sich zu beugen, mit der Freiheit. Nach einer monatelangen Tortur aus Verhören und Folter im Evin-Gefängnis verurteilte der Islamic Revolutionary Court den Journalisten 2011 zu einem Jahr Haft.
Das Schlimmste am Gefängnis sei für ihn nicht die physische Folter gewesen, betont der Journalist immer wieder, sondern der psychische Druck. „Für jemanden, der nie inhaftiert war, ist es schwer vorstellbar, wie schlimm es sein kann, wenn ein Mensch so erniedrigt und beleidigt wird“. Was genau passiert ist, gibt Mehrabi nicht preis. Nur, dass er erst 64 Tage in Einzelhaft verbracht habe, danach zusammen mit 100 anderen Männern in einer 50 Quadratmeter großen Zelle vor sich hin vegetiert habe. Alle Informationen, die von der Außenwelt kamen, hätten auf ihn verstörend gewirkt, er habe sie nicht verdauen können. „Wie ein Mensch, der einen Monat nichts gegessen hat und plötzlich eine schwere Mahlzeit vorgesetzt bekommt“, beschreibt er das Gefühl.
Nach seiner Freilassung floh Mehrabi sofort aus dem Land. Außer seiner Frau hat er alle Angehörigen zurückgelassen. Zuerst landete das Paar in der Türkei, wo die Behörden sie abwiesen. Erst ein Jahr später, als alle bürokratischen Hürden überwunden waren, gelangten sie über die deutsche Organisation Flüchtlingshilfe Iran nach Berlin.
Den Amtsantritt des neuen Ministerpräsidenten Rohani hat Mehrabi nur aus der Ferne mitbekommen. Die Stimmung unter seinen Kollegen sei derzeit „vorsichtig optimistisch“. Er selbst ist skeptisch, glaubt nicht, dass sich die Situation der Journalisten „über Nacht“ ändern wird. Die Entscheidung, den Iran zu verlassen, habe er zwar nie bereut. Dennoch beschreibt er sei seine Flucht als eine „bittere Erfahrung“. Aber auch dafür haben die Iraner einen weisen Spruch: „Ein wenig Bitterkeit ist in allem“.
Und bitter sei nicht nur die Trennung von Familie und Freunden, mit denen Mehrabi nur sporadisch über Facebook Kontakt hat, sondern auch der Neuanfang in einem fremden Land. Ein bisschen Deutsch spricht er nach vier Monaten schon. Ob er aber jemals Artikel auf Deutsch schreiben kann und will, weiß Mehrabi nicht. „Ich hoffe, dass ich bis dahin nicht zu alt und zu müde sein werde“.
27. Januar 2014
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