Presserecht & Ethik
Grenzen der Konfrontation
Sie ist keine Pflicht, manchmal gar nicht möglich, gehört aber dennoch zu den journalistischen Tugenden: Konfrontation im Journalismus. Eine Nachfrage.
von Martin Wittler
Xavier Naidoos Song „Marionetten“ löste jüngst eine wochenlange Debatte aus: Ist der Sänger ein Rechtspopulist? Lange wurde medial nur über, aber nicht mit ihm diskutiert. Warum?
„Eine generelle Pflicht, kritisierte Personen oder Institutionen zu konfrontieren, besteht so nicht“, sagt Spiegel-Justiziar Sascha Sajuntz, der Artikel des Magazins auf rechtliche Fallstricke prüft. Konfrontiert werden müsse „nur, wenn über unbewiesene Vorwürfe berichtet wird“, sagt Sajuntz. Kommt auch der Kritisierte zu Wort, tragen die beiden Sichtweisen zu einer differenzierteren Berichterstattung bei. Der Journalist profitiert. Im Fall Naidoo wiederum profitierte letztlich nur der Künstler selbst, wurde ihm doch wochenlang eine Bühne geboten. Die Welt urteilte deshalb: „Am Ende triumphiert, wer am meisten Lärm macht.“ Ein Phänomen, das auch fernab der Showbranche existiert.
Provozierte Aufmerksamkeit
Das Recherchezentrum Correctiv hatte genug davon, dass Journalisten über jedes Stöckchen sprangen, das die AfD ihnen vor die Füße warf, und wollte der Partei keine unnötige Aufmerksamkeit mehr schenken. Allerdings lieferte Correctiv der AfD ungewollt Publicity, als das Portal das frühere Privatleben der AfD-Politikerin Iris Dworeck-Danielowski als Hobby-Prostituierte zum „Sexskandal“ machte und dafür stark kritisiert wurde. Correctiv-Gründer David Schraven zeigt Einsicht: „Anfänglich in der Kommunikation über Social Media das Wort ‚Sexskandal‘ zu benutzen, war missverständlich und sicher nicht klug.“ Correctiv war vom agierenden Aufklärer zum reagierenden Bestandteil der Ping-Pong-Aufmerksamkeitsökonomie geworden. Inzwischen beschäftigt der Fall die Gerichte.
Die AfD-Politikerin wurde erst persönlich konfrontiert, dann über ihren Anwalt, der aber nicht zitiert werden wollte. Dass die Konfrontation eine Recherche nicht immer weiter bringt, weiß auch Frank Ilse, Lokalchef Harburg des Hamburger Abendblatts. Gerade Pressestellen von Behörden oder Ministerien würden nicht selten versuchen, ein Thema auszusitzen, sagt er. „Dann ist es sinnvoll, eine faire Deadline zu setzen und das auch zu kommunizieren. Ist bis dann keine Antwort da, wird unter einem entsprechenden Hinweis in der Geschichte auf die Stellungnahme verzichtet“, sagt Ilse. „Das kann ganz wirkungsvoll sein.“
Haltung ist erlaubt
Was bleibt also vom alten römischen Grundsatz audiatur et altera pars (lat.: Man höre auch die andere Seite), auf dem auch der medienrechtliche Gegendarstellungsanspruch beruht? Diese Frage beschäftigt auch viele Besucher der nr-Konferenz, die jedes Jahr in die Konfrontationssprechstunde von NDR-Justiziar Klaus Siekmann kommen. Journalismus bleibt hier eine Gratwanderung: Die Konfrontation ist der Versuch, Beweggründe und Zwänge von jemandem verständlicher zu machen, der öffentlich kritisiert werden soll. Das heißt aber nicht, die eigene Haltung verleugnen zu müssen. „Kritik darf selbstverständlich auch deutlich artikuliert werden, Haltung ist dem Journalisten nicht verboten“, bringt es Spiegel-Justiziar Sajuntz auf den Punkt.
15. Juni 2017