Verifikation
„Wir glauben erstmal gar nichts“

Journalistisches Bildmaterial hat den Anspruch, Wirklichkeit möglichst unverzerrt darzustellen. Doch was, wenn Bilder gar nicht zeigen, was ist? Im Interview verrät Malte Zeller, der zum 1. Juli die Leitung der Spiegel-Bilddokumentation übernimmt, worauf es beim visuellen Fact-Checking ankommt.

 

Herr Zeller, Sie arbeiten mit sechs Kollegen als Dokumentationsjournalist im Bereich Bild. Was muss man sich darunter vorstellen?

Zeller: Wir prüfen Bilder und Bildunterschriften, die im Spiegel erscheinen, auf inhaltliche Richtigkeit. Dabei verfahren wir nach dem Motto: Wir glauben erstmal gar nichts. Das gilt für alle Fotos – egal, ob sie von einer großen Bildagentur oder von irgendwo aus dem Netz kommen, in Hamburg oder Syrien aufgenommen wurden. Wir prüfen alles, was geprüft werden kann.

In der Bilddokumentation wird sorgfältig überprüft, ob Bildunterschriften und andere Textinformationen zum Foto mit den visuellen Inhalten im Einklang stehen – wie bei dieser Aufnahme des Fotografen Jean-Francois Badias. / Foto: Pilsl

In der Bilddokumentation wird sorgfältig überprüft, ob Bildunterschriften und andere Textinformationen zum Foto mit den visuellen Inhalten im Einklang stehen – wie bei dieser Aufnahme des Fotografen Jean-Francois Badias. / Foto: Pilsl

Was heißt das genau?

Die idealtypische Bildverifikation verläuft nach den journalistischen W-Fragen: Wer macht was, wann, wo, wie und warum? Wir überprüfen die Bildinformationen des Fotografen und checken auch: Passt das Foto überhaupt zum Text?

Wie gehen Sie bei der Verifikation vor?

Die klassische Methode erfolgt über Vergleichsbilder aus verschiedenen Quellen. Hinzu kommen Textrecherchen, die uns mehr über den Bildkontext verraten. Bestehen immer noch Zweifel, befragen wir Experten, kontaktieren teilweise auch die Fotografen. Bei den Bildunterschriften arbeiten wir ähnlich wie die Textdokumentation: Wir haken korrekte Informationen Wort für Wort ab. Sind wir unsicher, wird das Bild nicht verwendet.

Was sind die gängigsten Werkzeuge, die Sie nutzen?

Für die Lokalisierung von Fotos nutzen wir häufig Online-Tools wie Google Earth oder Street View. Die Rückwärts-Bildersuche von Google oder TinEye hilft uns ebenfalls dabei, mehr Informationen zu erhalten oder die Ursprungsquelle zu identifizieren. Wenn verfügbar, schauen wir uns die EXIF- oder GPS-Daten der Kamera an. EXIF-Daten können allerdings irreführend sein, dafür reicht eine falsch eingestellte Kamera.

Sie nutzen größtenteils seriöse Bildquellen. Braucht es diese präzise Prüfung überhaupt?

Ja, denn auch Nachrichtenbildagenturen machen Fehler, beschriften falsch oder mehrdeutig. Selbst bei Fotografen, die der Spiegel losschickt – sozusagen als bestmögliche Quellen – kam es in der Vergangenheit vor, dass beispielsweise das falsche Gebäude fotografiert wurde. Wir achten zudem darauf, keine Bildmontagen oder Symbolbilder zu verwenden. Wenn doch, dann nur mit Kennzeichnung. Wir wollen unsere Leser nicht für dumm verkaufen.

Wie viel Material verifizieren Sie pro Ausgabe?

Malte Zeller (38) durchlief nach einem Mediendokumentations-Studium an der HAW Hamburg die Trainee-Ausbildung in den verschiedenen Abteilungen der Spiegel-Dokumentation. Zum 1. Juli übernimmt er die Leitung des Bildverifikationsteams. / Foto: Pilsl

Malte Zeller (38) durchlief nach einem Mediendokumentations-Studium an der HAW Hamburg die Trainee-Ausbildung in den verschiedenen Abteilungen der Spiegel-Dokumentation. Zum 1. Juli übernimmt er die Leitung des Bildverifikationsteams. / Foto: Pilsl

Etwa 200 Fotos. Ein paar Bilder für die Spiegel-App fallen hier auch hinein. Es werden pro Magazin durchschnittlich zwei Bilder ausgetauscht und etwa 15 Bildunterschriften korrigiert.

Die digitale Technik erlaubt heute Manipulationen, die rein optisch kaum mehr identifizierbar sind. Nutzen Sie auch fotoforensische Analyseverfahren?

Wir prüfen eher inhaltlich-journalistisch als technisch. Wir sind keine Fotoforensiker und Analyseergebnisse von Seiten wie FotoForensics oder Reveal liefern uns in der Regel sehr uneindeutige Ergebnisse in Bezug auf eine mögliche Bearbeitung. Solche Verfahren können deshalb höchstens als zusätzliche Anhaltspunkte dienen. Es ist schwer, sich bei technischen Manipulationen ganz sicher zu sein.

Gibt es überhaupt absolute Sicherheit?

In manchen Fällen kann man ein Foto nicht bis ins letzte Detail verifizieren. Dann muss man auch mal etwas als „plausibel“ bewerten – oder eben nicht. Das ist häufig unbefriedigend, liegt bei der Bildverifikation aber in der Natur der Sache. Es ist immer eine Suche nach vielen verschiedenen Indizien, die für oder gegen die Glaubwürdigkeit eines Fotos sprechen.

Das Interview führte Chantal Alexandra Pilsl

13. Juni 2017