Ringvorlesung "Lügenpresse"
Augstein: „Journalisten haben Grund, sich zu schämen“
„Ja, es gibt immer Grund zur Selbstkritik, aber es gibt auch Grund zur Scham.“ Diese Aussage von Jakob Augstein, Herausgeber und Chefredakteur von „der Freitag“, stand am Dienstagabend, 17. Januar 2017, im Mittelpunkt seines Vortrags an der Universität Hamburg. Augstein erläuterte, weshalb er vor allem den Journalismus und die Politik dafür verantwortlich macht, dass es zum Lügenpressevorwurf kommen konnte.
Von Laura Bähr und Marie-Therese Hukker
Die ursprüngliche Aufgabe des Journalismus sei die eines unbestechlichen Kontrolleurs. Als vierte Gewalt solle er so vor Machtmissbrauch in der Gesellschaft schützen. Dieser Funktion seien die Journalisten in den letzten Jahren aber nicht genügend nachgekommen. „Wir wollten zu sehr zur Elite gehören, dabei haben wir die Kontrollinstanz aus den Augen verloren“, stellte Augstein klar. Politik und Medien schienen sich einig und es sei wenig dagegen unternommen worden, dass die Mächtigen ihre Version der Wahrheit in die Welt setzten. „Dabei kann die Wahrheit nie als absolut angesehen werden“, relativierte er. Der Journalismus müsse deutlich machen, dass es sich bei jeder Nachricht und jedem Bericht lediglich um eine Konstruktion der Wahrheit handle. „Wahrheit kann immer nur in der Eigenschaft einer allgemein anerkannten Konvention bestehen.“
Dass sich jeder Fünfte in Deutschland fremd fühle, so ein Umfrageergebnis, hänge auch mit dem Versagen von Politik und Medien zusammen. So wäre es Augstein zufolge die Aufgabe der Zeitungen gewesen, alle Stimmen des Volkes aufzunehmen und wiederzugeben. Stattdessen sei eine Wirklichkeit geschaffen worden, in der Menschen gelernt hätten, ihren eigenen Augen nicht mehr zu trauen. Außerdem werde so getan, als sei Ungerechtigkeit notwendig, kritisierte Augstein. Im Volk rumore es, gleichzeitig würden die Bindungskräfte der Gesellschaft erlahmen. „Deutschland ist ein ungerechtes Land“, kritisierte der Herausgeber des „Freitag“ in seiner Hamburger Rede. Das gelte nicht nur in Bezug auf das Verhältnis von Arm und Reich, sondern auch im Hinblick auf den Journalismus.
Die Medien seien sich bei den wichtigen Fragen der Welt zu einig, dabei sei Vielfalt der Schlüssel zu ihrer Akzeptanz. „Der Meinungskorridor der Journalisten war schon mal breiter“, bedauerte Augstein. Dabei sei das Meinungsspektrum im Land zurzeit viel größer als in den Medien ersichtlich. Die Zeitungen hätten sich mehr um die Mitte ihrer Leser gekümmert anstatt um die Mitte der Gesellschaft. Die Öffentlichkeit sei verblüffend achtsam für Dazugehörige, aber kümmere sich nicht um die Leute außerhalb. Vielmehr sei die Presse ein „artifizielles Geschäft“, denn nur wer abgebildet werden wolle, komme in den Medien auch vor. Somit würde nur eine Version der Wirklichkeit medial hergestellt werden. Auch die Politik habe an dieser Stelle versagt und die Fragen der Gesellschaft überhört. Dass Deutschland in vielerlei Hinsicht ein ungerechtes Land sei, werde viel zu selten thematisiert.
Überraschend kommen diese Entwicklungen für den politischen Beobachter Augstein allerdings nicht. Die Abnahme an politischer Partizipation und das Misstrauen gegenüber den Medien seien schließlich schon lange bekannt. „Die Revolution ist längst gekommen, nur leider von der falschen Seite“, so Augstein. Ein politisches System ändere sich nämlich leider nicht aus Vernunft, sondern aus Angst. Die Menschen, die bisher geschwiegen hätten, meldeten sich jetzt zu Wort. Die AfD habe ihnen eine Stimme gegeben. „Es ist tragisch, dass erst die AfD uns dazu bringt, über Gerechtigkeit zu sprechen“, kommentierte Augstein.
Politiker und Journalisten seien erst unruhig geworden, als es um ihre eigene Freiheit ging. „Das Problem ist, dass die Journalisten verzweifelt versuchen, den Fehler im System zu finden“, erklärte der Journalist, der auch als Kolumnist bei „Spiegel Online“ und als Streitredner auf Phoenix bekannt ist. Was sie dabei nicht erkennen, sei, dass sie selbst der Fehler sind. Der Herausgeber des „Freitag“ gab sich am Ende seines Vortrages pessimistisch. Er selbst sehe in absehbarer Zeit keine Lösung für das Problem und glaube auch nicht an die Lernfähigkeit einiger Journalisten. „Die Journalisten haben leider erst begonnen, die Dinge zu hinterfragen, als es wirklich nicht mehr anders ging“, fasste Augstein das Problem zusammen. Das Bewusstsein, dass stets nur eine bestimmte Wirklichkeit für ein ausgewähltes Publikum abgebildet werden könne, sei für die Zukunft des Journalismus von enormer Bedeutung.
Jakob Augstein ist Vorstand der Rudolf-Augstein-Stiftung, der Familienstiftung der Augstein Erben. Diese hatten 2006 durch eine Gabe an die Universität Hamburg die Einrichtung der Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessur für Praxis des Qualitätsjournalismus möglich gemacht. Lehrstuhlinhaber ist Volker Lilienthal, Mitkoordinator der Ringvorlesung „Lügenpresse – Medienkritik als politischer Breitensport“.
1. August 2017