Ringvorlesung "Lügenpresse"
Wenn Misstrauen in die Medien zum Problem für die Politik wird
„Verlorenes Vertrauen, verlorene Leser, verlorene Bürger?“ Dieser Frage ist Prof. Dr. Katharina Kleinen-von Königslöw am 9. Januar 2017 im Rahmen der Ringvorlesung „Lügenpresse“ an der Universität Hamburg nachgegangen. Die Kommunikationswissenschaftlerin verdeutlichte anhand eigener Studien, wie sich das Bürger-Vertrauen in die Medien entwickelt hat. Ihren Fokus legte die Referentin hierbei insbesondere auf die Konkurrenz von etablierten Nachrichtenmedien und sogenannten „new information intermediaries“, wie Suchmaschinen oder soziale Netzwerke in der angloamerikanischen Forschung genannt werden.
Von Micha Lemme
Nach einer normativ geprägten Einführung, in der Kleinen-von Königslöw die Funktionen der Nachrichtenmedien charakterisierte, ging sie über zu empirisch geprüften Forschungsergebnissen. Diese stammten zwar zu großen Teilen aus der Schweiz, seien deswegen aber nicht weniger aussagekräftig, so die Professorin. Das Vertrauen in die Medien bleibe im Zeitvergleich relativ stabil und sei ähnlich hoch wie das Vertrauen in die Justiz oder die gesetzgebende Gewalt. Deutlich werde anhand der erhobenen Daten jedoch, dass das Vertrauen sinke, wenn nach „den Medien“ im Allgemeinen gefragt werde. Getreu dem Motto „Ich vertraue den Medien, die ich nutze“ würden Vertrauenswerte erst nach oben schnellen, sobald man nach konkreten Medien fragen würde, erklärte Kleinen-von Königslöw.
Doch um diese Feststellungen deuten zu können, müsse man zuerst definieren, was „Vertrauen“ in diesem Zusammenhang bedeute. „Wir können nicht jede einzelne Nachricht überprüfen, deswegen müssen wir vertrauen“, versuchte es die Referentin knapp zu formulieren. Auffällig in den Forschungsergebnissen aus der Schweiz sei, dass das Medienvertrauen hauptsächlich durch Erwartungen an die Qualität journalistischer Arbeit erklärbar sei. Die Faktoren Gemeinwohlorientierung oder Unabhängigkeit spielten kaum eine erklärende Rolle, so Kleinen-von Königslöw, die seit dem Wintersemester 2016/17 an der Universität Hamburg im Fachgebiet Journalistik und Kommunikationswissenschaft lehrt.
Wie lässt sich also, ausgehend von dieser Vertrauenslage, der langsame, aber stetige Anstieg der Nachrichtenverweigerer und der starke Reichweitenverlust der Tageszeitungen erklären? Kleinen-von Königslöw erkannte klare Veränderungen im Bereich der Informationsbeschaffung. Die Digitalisierung führe zu einer Individualisierung der Nachrichtennutzung, die sich zunehmend in Richtung der schon genannten „new information intermediaries“ verschiebe. Diese neuen Nachrichten-Lieferanten würden die klassischen Journalisten als Informations-Gatekeeper ablösen. Faktoren wie Empfehlungen im eigenen Netzwerk, Konsistenz oder Selbstbestätigung rückten als Charakteristikum von Glaubwürdigkeit mehr und mehr an die Stelle von Faktoren wie Reputation der Qualitätsmedien, so Kleinen-von Königslöw. Einschränkend merkte die Professorin an, dass diese Entwicklung in den Vereinigten Staaten noch weitaus stärker zu beobachten sei als im deutschsprachigen Raum.
Emanzipation der Bürger von Nachrichtenmedien
Die nachgezeichneten Tendenzen hätten zwar auf die Meinung des einzelnen Bürgers keine großen Auswirkungen, denn dieser sei insbesondere in seiner politischen Einstellung „schlicht und einfach schwer zu überzeugen“. Doch auf gesellschaftlicher Ebene habe aufkeimendes Medienmisstrauen stärkere Konsequenzen. So verringere fehlendes Vertrauen in politische Informationsvermittlung auch das Vertrauen in politische Entscheidungen und unterwandere damit demokratische Mehrheitsentscheidungen, die auf fairem und legitimem Weg getroffen werden.
Letztlich sei die individualisierte Nachrichtennutzung nur als „Emanzipation der Bürger von Nachrichtenmedien“ zu verstehen, wenn der jeweilige Bürger auch über ausreichende Medienkompetenz verfüge. Hiermit spielte Kleinen-von Königslöw vor allem auf Wissen über die Funktionsweisen von Suchmaschinen und sozialen Netzwerken an. Darüber hinaus seien jedoch auch Kenntnisse über die Funktionsweise des Journalismus und über zentrale psychologische Mechanismen, die in diesem Bereich von Bedeutung sind, notwendig. Diese Kompetenzen müssten einerseits schon im Kindesalter angeregt werden, sollten aber auch Menschen vermittelt werden, die erst in höherem Alter mit der Digitalisierung in Kontakt kämen.
1. August 2017