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„STRG_F“: Journalismus auf YouTube
Besonders bei jungen Menschen macht YouTube einen großen Teil der Mediennutzung aus. Klassische Nachrichtenangebote, allen voran der öffentlich-rechtliche Rundfunk, haben das Nachsehen. Ein Projekt von ARD und ZDF geht jetzt dahin, wo die junge Zielgruppe längst ist. Kann das gut gehen?
von Anna Neumann und Sebastian von Hacht
Die klassischen Medien – also Zeitungen, Radio- und Fernsehen – haben nicht nur die Aufgabe, die Gesellschaft zu informieren, sondern sie sorgen ein Stück weit auch für die Sozialisierung ihrer Konsumenten. Auf YouTube übernehmen letzteres die sogenannten Influencer. Egal ob Bibi, Dagi Bee oder Simon Unge: Sie alle lassen ihre Zuschauer an ihrer Welt teilhaben. Oder zumindest an dem, was sie als ihre Welt präsentieren. Das junge Publikum dieser Kanäle baut verstärkt eine parasoziale Beziehung zu den Influencern auf, berücksichtigt Tipps und Trends und vertraut auf das, was die Influencer erzählen. Klassische Medien mit ihren Informations- und Unterhaltungsangeboten werden dabei zunehmend vernachlässigt.
Doch wie reagieren alteingesessene Medieninstitutionen wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk auf den schleichenden Bedeutungsverlust? ARD und ZDF haben 2016 ihr digitales Jugendprojekt „funk“ gestartet, an dem auch viele YouTuber beteiligt sind. Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 14 und 29 Jahren sollen mit dem Onlineangebot erreicht werden. Also eine Zielgruppe, die ansonsten eher selten Medienangebote der Öffentlich-Rechtlichen nutzt. Das Konzept: Auf den Social-Media-Plattformen Facebook, Twitter, Instagram, Snapchat und eben auch YouTube werden verschiedenste Formate veröffentlicht, die nur für diese Plattformen produziert werden. Von 2016 bis 2017 wurden über alle Kanäle hinweg rund 256 Millionen Views auf YouTube gezählt, 90 Millionen Aufrufe auf Facebook.
Neben diversen Unterhaltungsformaten gibt es seit Februar 2018 auch erstmals ein auf Recherche ausgelegtes Format namens „STRG_F“. Die geläufige Tastenkombination zum Suchen ist der Titel des YouTube-Kanals, der federführend von der Redaktion der NDR-Sendung „Panorama“ zum „funk“-Portfolio beigesteuert wird. Einmal wöchentlich geht es dabei laut eigener Beschreibung um Themen, die vor allem 20- bis 29-Jährige politisch und gesellschaftlich berühren. Rund 71.000 User haben den Kanal mittlerweile abonniert. Im ersten und nach Klickzahlen bisher erfolgreichsten Video des Kanals geht es um die Recherche rund um Investmentvermittler, die versuchen, über Social Media junge Leute anzuwerben. Die Reportage zeigt die Machenschaften hinter WhatsApp-Gruppen, in denen fragwürdige Tipps gegeben werden, wie man angeblich in kurzer Zeit reich wird.
Anja Reschke, Leiterin des Ressorts Innenpolitik beim NDR-Fernsehen und Moderatorin von „Panorama“, sagte über den neuen YouTube-Kanal in einem Statement: „ Ich habe mich immer gefragt, wie es uns gelingen kann, investigative Inhalte, auch mal anstrengende Themen, in denen es um Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Umwelt und deren kritische Betrachtung geht, jungen Menschen zu erzählen. Denn natürlich interessieren sie sich dafür, was um sie herum passiert und was wie zusammenhängt. ‚STRG_F‘ ist genau dieses Angebot an junge Leute.“
Auch auf der diesjährigen Jahreskonferenz von Netzwerk Recherche in Hamburg war YouTube ein Thema. Ein Panel diskutierte die Medienmacht der Videoplattform. Mit dabei: Kommunikationsforscher und Medienexperte Prof. Dr. Lutz Frühbrodt von der Hochschule Würzburg. Aktuell forscht der Professor für Fachjournalismus zur Bedeutung und Entwicklung von YouTube. „Bei den erfolgreichsten Kanälen spielt Information und Journalismus allerdings eine untergeordnete Rolle“, sagt Frühbrodt. „‚STRG_F‘ ist da wirklich noch ein Vorreiter. Es stehen nicht Influencer vor der Kamera, so wie in den meisten Videos, sondern eben Journalisten.“
Ebenfalls auf dem Podium: Salome Zadegan. Die Journalistin hat ein Volontariat beim NDR absolviert und in dieser Zeit an der Entwicklung von „STRG_F“ gearbeitet. Es habe bei „funk“ einfach den Wunsch gegeben, mehr journalistische Formate in das Angebot aufzunehmen, erklärte die Redakteurin. „Und dann haben wir beim NDR angefangen und rumentwickelt.“ Sich dabei an anderen Formaten mit dieser Ausrichtung zu orientieren, sei nach Zadegans Angaben gar nicht möglich gewesen, da es kaum Vergleichbares gebe. „Bei der Optik und der Art Geschichten zu erzählen, wollten wir uns einfach ausprobieren und uns nicht an etwas abarbeiten“, so die Journalistin. Am Anfang seien viele Stile pilotiert worden, auch mit mehr Magazin-Charakter oder in kommentarartiger Form. Dies habe aber nicht funktioniert. „Wir haben uns dann an Reportagen versucht, aber immer auf eine neue Weise und nicht so, wie man es aus dem Fernsehen kennt. Und wir haben schnell gemerkt, dass das unser Weg ist.“
Auf Augenhöhe
„STRG_F“ ist laut Zadegan erstmal auf eine Laufzeit von einem Jahr ausgelegt. Nach sechs Monaten soll ein erstes Zwischenfazit gezogen werden. „Wir haben das Glück, dass wir jetzt nach vier Monaten bereits fast alle selbstgesteckten Ziele erfüllen konnten“, sagt Zadegan.
Den Anspruch besonders investigativ zu sein, haben die Macher von „STRG_F“ nicht: „Das Label ‚investigativ‘ ist eine Bürde. Was genau investigativ ist, hängt immer von der Zielgruppe ab. Wir haben uns dieses Label selbst nicht gegeben, da es ein kaum zu realisierendes Versprechen wäre, bei 52 Filmen im Jahr zu sagen, wir sind investigativ“, beschreibt Salome Zadegan die Intention des Teams. Gleichzeitig gebe die Redaktion den Zuschauern aber schon das Versprechen etwas herauszufinden. „Bei uns ist die Recherche die Geschichte. Auf Augenhöhe mit unseren Zuschauern bleiben wir dadurch, dass bei uns Menschen aus der Zielgruppe für die Zielgruppe arbeiten.“
Lutz Frühbrodt sieht in „STRG_F“ eine Mischform aus klassischen Fernsehelementen und andersartigen YouTube-Features: „Neu in der Herangehensweise ist sicherlich die verstärkte Personalisierung. Persönliche Befindlichkeiten des Reporters werden dargestellt, ähnlich wie bei Influencern.“ Diese Art treffe natürlich auch den Zeitgeist von YouTube und spreche damit die anvisierte Zielgruppe an. Wichtig sei aber, dass die Darstellung journalistisch bleibt und keine zu persönliche Ebene zu den Zuschauern aufgebaut werde. Hier müsse man sich von klassischen Influencer-Videos abgrenzen, so der Experte. Insgesamt merke man aber, dass das Format noch in der Findungsphase ist: „Die Spannbreite reicht von schnellen Schnitten im YouTube-Stil, über Versprecher, die nicht rausgeschnitten werden, bis zu ruhigeren Erzählweisen.“ Persönlich fehle Frühbrodt noch die Metaebene. Bestimmte Tugenden, für die die Öffentlich-Rechtlichen stehen, könnten seiner Meinung nach hier durchaus bewahrt werden. „Um dem vielzitierten Bildungsauftrag gerecht zu werden, könnten die Recherchen noch mehr hinterfragt werden.“
Experte ist skeptisch
Doch ist die Präsenz von ARD und ZDF auf YouTube allgemein überhaupt der richtige Weg? „Für die Öffentlich-Rechtlichen bietet YouTube leider keine neutrale Plattform, sondern ist natürlich auch ein Konkurrent“, glaubt Lutz Frühbrodt. Ziel müsse es sein, die Zuschauer der Videos auch wieder als Zuschauer der herkömmlichen Angebote im Fernsehen zu gewinnen. Ob eine solche Strategie wirklich erfolgsversprechend ist, stellt Professor Frühbrodt in Frage. Aber die Sender müssten in jedem Fall aktiv werden und dem neuen Gegner nicht einfach das Feld überlassen.
Für Salome Zadegan ist der Schritt, den ARD und ZDF mit „STRG_F“ gegangen sind, ein ganz wichtiger gewesen. Er habe einen Prozess angestoßen. „Ich finde es großartig wie bereit die Sender sind, sich auf Geschichten einzulassen, die per se erstmal nichts mit öffentlich-rechtlich zu tun haben“, unterstreicht die Redakteurin. Man sei jetzt da, wo die junge Zielgruppe ist. „Und nun werden wir immer weiterentwickeln und anpassen.“