#nr21 | Journalist:INNEN
Vergifteter Arbeitsplatz
Autoritärer Führungsstil und Diskriminierung in Redaktionen belasten die psychische Gesundheit von Journalist:innen. Wie begegnen sie Machtmissbrauch in ihrem beruflichen Alltag?
von Alina Schneider
„Meine Arbeit und die Branche, in der sie stattfindet, haben mich krank gemacht“, schrieb die Investigativjournalistin Pascale Müller Anfang des Jahres in einem Twitter-Thread. Neben prekären Arbeitsbedingungen prangerte sie darin auch destruktive Machtstrukturen in der Medienbranche an, unter denen vor allem von Rassismus betroffene und weibliche Medienschaffende zu leiden hätten. Diese müssten „härter arbeiten, mehr Belege bringen, mehr Quellen haben“ als ihre männlichen Kollegen – sonst mache man sich des Aktivismus verdächtig.
Bei Recherchen wurde mir teilweise von Vorgesetzten vorgeschrieben, was ich zu tragen hätte. Das habe ich leider immer wieder erlebt, dass meine Kleidung kommentiert wurde
Auch Müller selbst sah sich zu Beginn ihrer journalistischen Laufbahn mit solchen Vorwürfen konfrontiert. Einmal habe ihr ein leitender Redakteur für eine Reportage zum Thema sexualisierte Gewalt vorgeworfen, ihre Arbeit sei ein „aktivistischer Akt“. Die Journalistin sieht das als Beleg für den anhaltenden Sexismus in der Branche. „Es gibt niemanden in der Spiegel-Redaktion, der einen Diesel fährt und Probleme bekommt, weil er einen Pro-Diesel-Kommentar schreibt. Es gibt nur bestimmte Themen, denen dieser Vorwurf gemacht wird“, so Müller.
Eine Frage der Macht
Gerade junge Medienschaffende stören sich zunehmend an antiquierten Einstellungen in männlich dominierten Redaktionen. „Bei Recherchen wurde mir teilweise von Vorgesetzten vorgeschrieben, was ich zu tragen hätte. Das habe ich immer wieder erlebt, dass meine Kleidung kommentiert wurde“, berichtet die Journalistin Isabell Beer. Bevor sie anfing, als Reporterin beim funk-Format „Y-Kollektiv“ zu arbeiten, musste auch sie Erfahrungen mit Sexismus in Redaktionen machen.
Kein Einzelfall, wie eine im medium magazin veröffentlichte brancheninterne Umfrage von Pascale Müller und Eva Hoffmann zeigt: Von 189 befragten Journalist:innen gaben 81 Prozent an, in ihrem Job Sexismus oder andere Formen von Diskriminierung erlebt zu haben. Zwei von drei Befragten berichteten von autoritärer Führungskultur und Mobbing in Redaktionen. Gerade zu Beginn ihrer Karriere sahen sich viele Journalist:innen diesen Strukturen ausgeliefert. „Im Praktikum, im Volontariat oder auf der Journalistenschule – Machtmissbrauch zeigt sich vor allem dort, wo das Machtgefälle besonders groß ist“, sagte Eva Hoffmann in einem Live-Talk des medium magazins.
Unter Zugzwang
Der Deutsche Journalisten-Verband sieht die leitenden Redakteur:innen in der Pflicht, verantwortungsvoll mit ihrer Machtposition umzugehen. Betroffenen von Sexismus und Diskriminierung rät der Berufsverband, sich an den Betriebsrat zu wenden. Gleichzeitig scheinen die jüngsten Vorfälle für ein Umdenken innerhalb der Redaktionen zu sorgen. Laut Müller und Hoffmann haben inzwischen 19 der 20 größten deutschen Medienhäuser externe Beschwerdestellen eingerichtet. Einige von ihnen bieten zusätzlich psychologische Beratung an. Auch Trauma-Beraterin Petra Tabeling organisiert Resilienz-Workshops für Medienschaffende. Sie empfiehlt Betroffenen, Unterstützungsnetzwerke aufzubauen. „Sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen, kann eine gute Strategie sein, um negativen Konsequenzen für die eigene Psyche vorzubeugen“, so die Journalistin.
Pascale Müller und Isabell Beer geht es inzwischen besser – auch dank beruflicher Veränderungen. Ihre Grundforderungen bleiben bestehen: ein respektvolles Arbeitsumfeld, faire Bezahlung und diskriminierungsfreie Redaktionen.
1. Juli 2021