#nr20 | Finanzierung
Vogelfrei

In der Corona-Krise sind viele freie Journalist*innen den Sparmaßnahmen der Redaktionen schutzlos ausgeliefert. Starke finanzielle Einbußen sind die Folge

von Camila Weiss Franco

Plötzlich waren alle Aufträge weg und bereits bestellte Beiträge verschoben. Das hört Carola Dorner, Vorsitzende von Freischreiber e. V., seit Ausbruch der Krise von vielen freien Kolleg*in­nen. Bestätigt werden ihre Erfahrungen durch eine Erhebung des Deutschen Journa­listen­-Verbands (DJV) von Mai 2020. Demnach sei das Durchschnittseinkommen der Freien in den Krisenmonaten von 2.500 auf 820 Euro brutto gefallen. „Damit sind die freien Journalisten und Journalistinnen zum Teil unter Hartz-IV-Niveau gerutscht“, ordnet der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall die Zahlen ein.

Keine Rücklagen

Das Kernproblem hat aber nichts mit Corona zu tun. Seit Jahren würden freie Journalist*innen für bessere Honorare kämpfen, sagt Freischreiberin Dorner. Ohne Erfolg. Laut Freischreiber-Honorarreport 2020 verdienen Freie im Mittel nur 22,73 Euro pro Stunde. Brutto. Die Folgen dieser Unterbezahlung werden nun durch Corona sichtbar: „Viele von uns sind nicht in der Lage, Rücklagen zu bilden“, sagt Dorner und fügt hinzu: „Journalismus darf jetzt kein Unterbietungswettbewerb werden.“

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Bei Honoraren, die eher Taschengeld ähneln, trifft die Krise freie Journalist:innen besonders hart. // Foto: AllanSMW CC BY-NC-SA 2.0

Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk erkennt der ARD-Freienrat ein weiteres Problem: den uneinheitlichen Umgang der Sender mit der Krise. Für Freienrat-Sprecherin Christina Fee Moebus habe sich gezeigt, dass krisenfeste Tarifverträge wichtig seien. Als positive Beispiele für die Absicherung der festen Freien nennt der Freienrat Radio Bremen, den SWR und den RBB. Radio Bremen etwa zahlte an arbeitnehmerähnliche Freie eine Garantiesumme von 80 Prozent des monatlichen Durchschnittsgehalts von 2019. Dem Sender war es nach eigenen Angaben „gleich zu Beginn der Corona-Pandemie wichtig, frühzeitig ein Zeichen zu setzen und zu verhindern, dass die Honorarverdienste der freien Mitarbeitenden ins Bodenlose abrutschen“.

Abwanderung befürchtet

Vom NDR hätte sich die freie Journalistin Stella Peters Ähnliches gewünscht. Eigentlich hatte sich der NDR am Tarifvertrag orientiert, der einen Minderungsschutz vorsieht und sich nach der Beschäftigungsdauer im Sender richtet. Allerdings ohne Dialog mit den Freien. „Ungefähr eine Woche lang hatten wir keine Informationen vom Sender zu Sofortmaßnahmen. Die beschlossenen Regeln zum Schutz der Freien wurden ohne gemeinsamen Prozess entwickelt“, erzählt Peters. Ihrer Einschätzung nach hat die Reaktion des Senders viele Mitarbeitende enttäuscht. Dazu kommt, dass der NDR innerhalb der nächsten vier Jahre 300 Millionen Euro einsparen muss und voraussichtlich auch bei den Freien sparen wird.

Für den Vorsitzenden des DJV, Frank Überall, wird die schwierige Lage der Freien längerfristige Folgen für den Journalismus haben: „Ich sehe die Gefahr, dass wir weniger gut qualifizierte freie Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen haben werden, weil viele ihre Zukunft im Journalismus infrage stellen“. Diese Einschätzung teilt Peter Freitag, stellvertretender Vorsitzender der Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union: „Es war vorher schon so, dass Freie nach Nebentätigkeiten in journalismusähnlichen Bereichen, wie PR, suchen mussten. Diese Tendenz steigt wegen der Krise.“

Deswegen appelliert Überall an die Medienhäuser: Redaktionen sollten gute Freie an sich binden, damit sie in der Zukunft noch genug professionelle Journalist*innen für die Berichterstattung hätten. Denn nur mit Festangestellten allein lasse sich kein Medienangebot produzieren.

 

1. September 2020